Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Kosovo gerät durch Prozesse in Den Haag tief in die Krise
Nach der Eröffnung der Kriegsverbrecherprozesse gegen Kosovos Dauerregenten Hashim Thaci und die frühere UCK-Führung droht der Staatsneuling in die schwerste Krise seiner erst zwölfjährigen Geschichte zu schlittern. Neuwahlen und die erneute Unterbrechung des Dialogs mit Serbien zeichnen sich ab.
Den vertrauten Amtssessel hat Kosovos gestrauchelter Dauerregent Hashim Thaci mit der Anklagebank getauscht. Mit sichtlichem Unwillen ließ der wenige Tage zuvor abgetretene Ex-Präsident bei seinem erstmaligen Erscheinen vor dem Kosovo-Sondergerichtshof in Den Haag die Verlesung der Anklageschrift über sich ergehen.
Die Anklage entbehre „jeglicher Grundlage“, wies der frühere Kommandant der Befreiungsarmee UCK den Vorwurf der Verantwortung für Kriegsverbrechen wie Mord, Verfolgung und Folter während des Kosovokriegs 1999 zurück: „Ich erkläre mich in jedem Punkt für unschuldig.“
Hunderte von Kosovo-Serben, Roma aber auch Albaner, die der Kollaboration mit der jugoslawischen Volksarmee verdächtigt wurden, sollen in UCK-Gefangenenlagern zu Opfern schwerer Verbrechen geworden sein. Bei ihrer Beweisführung gegen Thaci und andere frühere UCK-Kommandanten beschränkt sich die Anklage auf knapp 100 gut dokumentierte Fälle: Nur mit hiebund stichfesten Beweisen dürfte es gelingen, Thaci die Verantwortung für von UCK-Kämpfern begangene Kriegsverbrechen nachzuweisen.
Über die „Ungerechtigkeit“, die der UCK und ihrem „gerechtfertigten Kampf“angetan werde, erregen sich in Kosovo nicht nur die Veteranenverbände.
Es müsse eine internationale Plattform „zur Unterstützung unserer Leute“vor Gericht und zur Erinnerung an den „sauberen Krieg der UCK“geschaffen worden, fordert Isa Mustafa, der Chef der regierenden LDK.
Doch nicht nur wegen der von vielen Kosovaren abgelehnten juristischen Aufarbeitung der dunklen Seiten des Befreiungskriegs droht der Staatsneuling in die schwerste Krise seiner zwölfjährigen Geschichte zu schlittern. Die Eröffnung der Kriegsverbrecherprozesse verschärft die labile Lage in Kosovo. Mit Adullah Hoti (LDK) hat im Juni bereits der dritte Premier des Jahres die Regierungsgeschäfte übernommen. Das Ende seiner Minderheitskoalition dürfte nun noch schneller als erwartet in Sicht kommen: In Pristina zeichnen sich vorzeitige Neuwahlen und die Unterbrechung des Dialogs mit Serbien ab.
Seine eifrige, aber etwas unglückliche Pendeldiplomatie zur Wiederbelebung des Dialogs der unwilligen Nachbarn scheint der erst im Sommer ernannte EU-Sonderbeauftragte Miroslav Lajcak bis auf Weiteres einstellen zu können. Denn in Kosovo mehren sich die Stimmen, die Gespräche mit Serbien vorläufig abzubrechen.