Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Österreich sieht einer besonderen Wintersaison entgegen.
Geradezu fieberhaft wird in Österreich diskutiert, ob es überhaupt eine Wintersaison geben wird. Vertreter der vor allem auf ausländische Gäste angewiesenen Alpenregionen versichern, die Virusgefahr im Griff zu haben.
WIEN „The snow must go on“: Die Lürzer Alm in den Salzburger Obertauern wirbt, als könne man mit einem Wortspiel die Ungewissheit wegzaubern. Bundeskanzler Sebastian Kurz verordnete bereits Ende September das Rezept gegen die Ansteckungsgefahr: „Skivergnügen ja, aber ohne Après-Ski.“Ein Machtwort, das vielerorts als oberlehrerhaft empfunden wird, nicht nur in Ischgl, dem ehemaligen, vom Virus verseuchten „Ibiza der Alpen“. Tourismusgroßunternehmer Peter Schröcksnadel, nebenbei Präsident des österreichischen Skiverbandes, redete sich bei einer TV-Debatte über den vor knapp zwei Wochen verhängten harten Lockdown in Rage: „Die Regierung macht Angst, ich finde, dass man hier sehr, sehr stark übertreibt.“
Die Vorbereitungen sind trotz hartem Lockdown vielerorts angelaufen. Witterungsmäßig wären die Voraussetzungen jedoch gut. Der Kälteeinbruch war am vergangenen Wochenende rechtzeitig gekommen, weshalb die Schneekanonen auf Hochtouren brummen. Neuschnee gibt es über 2000 Meter Meereshöhe
reichlich. Am stärksten drängen die Seilbahnunternehmer und deren Interessenvertreter Franz Hörl für eine Saisoneröffnung noch vor Weihnachten: „Wir haben den festen Willen, aufzusperren“, sagte er kürzlich vor Journalisten in Innsbruck. Der harte Lockdown gilt vorerst bis einschließlich 6. Dezember. In Österreich ist die Zahl der Corona-Infizierten mit 550 pro 100.000 Einwohner viermal höher als in Deutschland; eine Absenkung auf das für die Allgemeinheit gesundheitlich vertretbare Niveau von 50 bis Weihnachten ist eher fraglich.
Viele Tourismusbetreiber und deren Standesvertreter halten jedoch die Reisewarnungen wichtiger Gästeherkunftsländer wie Deutschland und Holland für das größte Problem und überlegen, ob sie an Weihnachten und Silvester überhaupt öffnen sollen. „Wir in Tirol rechnen mit Saisonbeginn kurz vor Weihnachten“, gibt sich Holger Gassler von Tirol Werbung auf Anfrage optimistisch. Ischgl beispielsweise will am 17. Dezember wieder öffnen.
Genaue Daten über Stornierungen erfährt man nicht. Standesvertreter von Hotel- und Ferienwohnungen-Betreibern berichten,
Weihnachten und der Jahreswechsel wären in vielen Skigebieten ausgebucht gewesen. Gassler meint, in Tirol habe die Verschärfung des Lockdowns die angelaufene Buchungswelle sofort wieder gestoppt. Daniel Gehrer, für das Deutschland-Geschäft zuständig, ergänzt, die Gäste würden danach sehr kurzfristig buchen: „Die Nachfrage ist grundsätzlich gut.“
2019 zählte der Wintertourismus in Österreich rund 73 Millionen Übernachtungen. Auch die vergangene Saison versprach einen neuerlichen Höchststand, hätte man sie virusbedingt nicht schon Mitte März beim Stand von 60 Millionen schließen müssen. In diesem Winter steht eine noch kürzere Saison bevor, die Hälfte der bisherigen Übernachtungszahl wäre schon ein Erfolg.
Drei von vier Wintertouristen kommen aus dem Ausland, davon die Hälfte aus Deutschland; einheimische Gäste können also den Verlust nicht wettmachen. Umso mehr würde man sich über Gäste aus der Schweiz freuen, die keine Reisewarnung hindert, Skiurlaub in Österreich zu machen. Die Schweizer schätzen vor allem das für sie günstige Preis-Leistungs-Verhältnis.
Fällt die Saison ganz aus, kostet das Österreich nach Schätzungen des Wirtschaftsforschungsinstituts
1,5 Prozent des Bruttonationalprodukts. Laut Wirtschaftskammer zählt Österreichs Tourismus- und Freizeitwirtschaft mehr als 90.000 Betriebe mit rund 600.000 Arbeitsplätzen. Der Anteil des Tourismus an der gesamten Wirtschaftsleistung beträgt sieben Prozent.
Der Staat öffnet daher großzügig das Füllhorn über virusgeschädigte Betriebe aller Branchen. „Koste es, was es wolle“, gab Kanzler Kurz die Devise aus. Experten schätzen eine niedrige zweistellige Milliardensumme allein für Ersatzzahlungen entgangener Umsätze, Fixkostenzuschüsse, stark ermäßigtem Umsatzsteuersatz sowie Steuerstundungen bis Ende 2021.
Schließlich mussten die Betriebe zusätzlich in virusbedingte Sicherheitsmaßnahmen investieren. „Die Liftbetreiber und Hotels wären diesbezüglich für den Winter gut vorbereitet“, versichert Gassler von Tirol Werbung. An Ticketkassen und Liftstationen gilt Maskenpflicht, Ordnungshüter und Kameras überwachen den Mindestabstand von einem Meter. Spezielle Geräte säubern nach jeder Fahrt die Luft in den Liftgondeln. Hotels und Restaurants müssen Gäste für die Verfolgung möglicher Infektionsketten registrieren. Vielerorts können sich Touristen zudem nach dem Einchecken in einer Screening-Station auf das Coronavirus testen lassen. In Bahnhöfen, Hotels und Restaurants ist auch für drahtlosen Zugang zum Internet gesorgt.