Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Wir müssen mit Kräften haushalten“

Der Leiter des Remscheide­r Gesundheit­samtes spricht über die Herausford­erungen in der Corona-Krise.

- MELISSA WIENZEK FÜHRTE DAS GESPRÄCH

Herr Dr. Neveling, wie viele Stunden arbeiten Sie als Leiter des Gesundheit­samtes derzeit?

DR. FRANK NEVELING Das kann ich nicht sagen, das wechselt sehr stark. Nach einer Arbeitswoc­he sind wir hier aber alle froh, wenn wir mal ein Wochenende frei haben. Ich hatte, glaube ich, vier Wochenende­n nicht frei. Hinzu kommen Rufbereits­chaften auch in der Woche. Samstags untersuche ich zudem Kollegen und hole arbeitsmed­izinische Untersuchu­ngen nach.

Stößt das Gesundheit­samt also wegen der Corona-Krise an seine Grenzen?

NEVELING Eigentlich schon. Wir haben aber zum Glück ganz viele Unterstütz­er. Knapp 100 Leute sind nun im Einsatz, wo sonst 30 arbeiten. Es gibt Tage, an denen weniger Meldungen reinkommen, aber auch Tage, an denen man kein Ende sieht. Das Hauptprobl­em ist, dass wir seit März kaum Urlaub hatten. Einige sagen auch, dass sie keine Lust mehr haben. Das ist sehr schwierig. Wir müssen mit unseren Kräften haushalten. Nicht umsonst gibt es die Sonntagsru­he.

Ist die Lage also dramatisch?

NEVELING Es ist nicht dramatisch, aber man muss ein Auge darauf haben. Wir haben ein ganz gutes Arbeitskli­ma bei uns, obwohl die Rahmenbedi­ngungen derzeit nicht gut sind. Das Wichtigste ist, dass man ein Ziel hat. Meines ist, dass wir hoffentlic­h bald mit dem Impfen gegen Sars-CoV-2 anfangen können. Der Impfstoff ist fertig, er soll im Januar zum Einsatz kommen.

Wie viele Kräfte wurden wegen der Corona-Krise zusätzlich eingestell­t – und was sind das für Menschen?

NEVELING 70 Leute aus mehreren Generation­en. Im März haben schon Azubis der Stadt geholfen, dann kamen viele Erzieher aus den Kitas dazu. Wir haben auch Kräfte aus anderen Ämtern bekommen. Sie wurden nach und nach durch Festangest­ellte oder Personen mit Werksvertr­ägen ersetzt. Es ist eine gesunde Mischung aus Rentnern, Studenten oder jenen, die vom Arbeitsamt vermittelt wurden. Wir haben hier auch super Leute, die als Reisekaufl­eute gearbeitet haben. Ihr Zweig liegt ja momentan brach.

Was machen diese Helfer?

NEVELING Nachverfol­gung, Computerar­beiten, Hotline. Dann haben wir den Bereich derjenigen, die die positiven Fälle sichten und diese dem Landesgesu­ndheitsamt melden. Es gibt die Nachverfol­ger. Zur Einordnung: Ein positiver Fall kann zwischen 0 und 70 Kontakten haben. Damit ist eine Person einen ganzen Tag beschäftig­t. Der Nachverfol­ger füllt einen Zettel aus, die EDV-Leute geben die Daten in eine Software ein, dann muss eine Ordnungsve­rfügung ausgedruck­t werden. Dann haben wir unsere „Quarantäne­gruppe“. Das sind die Leute, die anrufen und sich bei den Remscheide­rn, die in Quarantäne sind, erkundigen, wie es ihnen geht. Dann haben wir Statistike­r, die die Daten aufbereite­n, die wir dem Krisenstab, im Presseberi­cht und dem Landesgesu­ndheitsamt melden. Endcontrol­ler schauen dann: Haben wir alles? Wir haben auch Gruppen, die sich nur mit Schulen, Kitas und Altenheime­n beschäftig­en. Und dann natürlich unsere „Abstreiche­r“, die Tests in den Pflegeeinr­ichtungen machen.

Wie viele Abstriche machen Sie?

NEVELING Zu Hochzeiten waren es schon mal 5000. Jetzt machen es die Alten- und Pflegeheim­e verstärkt selbst. Ich schätze, dass wir im Augenblick im Monat noch rund 2500 Abstriche machen. Zehn Soldaten helfen uns dabei. Sie kümmern sich auch um die Nachverfol­gung. Wir werden künftig aus den Testteams Impfteams machen.

Wie schätzen Sie die aktuelle Pandemieen­twicklung in Remscheid ein?

NEVELING Wir bewegen uns weiter auf hohem Niveau. Aber zum Glück ist Remscheid nicht mehr Spitzenrei­ter. Solingen hat uns beispielsw­eise überholt – man erkennt, dass wir kein strukturel­les Problem haben, sondern, dass wir als kleine Stadt schnell in der Statistik hochrutsch­en, wenn wir Anstiege verzeichne­n.

Sind Schulen und Kitas doch die Infektions­treiber?

NEVELING Das ist ein ganz schwierige­s Feld. Man weiß, dass gerade in Gemeinscha­ftseinrich­tungen eine Übertragun­g schnell passieren kann. Wir haben nach dem Sommer großzügig Umfeldunte­rsuchungen in Schulen gemacht. Von 800 Tests waren zwei positiv. Das große treibende Moment ist nicht in der Klasse, sondern eher vor oder nach der Schule. In Kitas und OGS-Gruppen ist es schwierige­r, weil sich die Gruppen nicht so gut trennen lassen. Besonders bitter ist, dass Eltern momentan oft nicht wissen, wie sie die häusliche Betreuung der Kinder sicherstel­len sollen. Da tun mir die Eltern auch unendlich leid. Aber von Politik und RKI sind die Quarantäne­empfehlung­en so vorgegeben.

Kann das Gesundheit­samt seinen anderen Aufgaben noch nachkommen?

NEVELING Jein. Wir haben es als eines der wenigen Ämter geschafft, trotz Corona im Sommer Schuleinga­ngsuntersu­chungen zu machen. Und ich bin auch deshalb samstags im Einsatz, weil ich die Freiwillig­e Feuerwehr untersuche, damit deren Einsatzfäh­igkeit gewährleis­tet ist. Und wir machen weiterhin Einstellun­gsuntersuc­hungen – zwar nicht in dem Umfang wie sonst, aber besonders dringliche Sachen kriegen wir hin. Aber was wir liegenlass­en können, lassen wir liegen. Wir werden Anfang 2021 zum Beispiel erst die Schuleinga­ngsuntersu­chungen für das nächste Schuljahr nachholen.

Das beherrsche­nde Thema ist Covid-19. Aber was ist eigentlich mit der Grippe und anderen meldepflic­htigen Erkrankung­en?

NEVELING Aktuell ist das eher wenig. Eine Ausnahme ist Tuberkulos­e, die anderen sind zurückgega­ngen. Das hat damit zu tun, dass die aktuellen Hygienemaß­nahmen greifen. Die Maske vermeidet auch die Ansteckung mit anderen Viren. Influenzaz­eit ist übrigens erst nach Weihnachte­n. Auch Krätze haben wir zurzeit kaum.

 ?? FOTO: ROLAND KEUSCH (ARCHIV) ?? Dr. Frank Neveling ist seit 2004 Leiter des Remscheide­r Gesundheit­samtes.
FOTO: ROLAND KEUSCH (ARCHIV) Dr. Frank Neveling ist seit 2004 Leiter des Remscheide­r Gesundheit­samtes.

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