Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Sinterklaas ohne Auftrieb
Das Nikolausfest hat in den Niederlanden einen deutlich höheren Stellenwert als in Deutschland. Doch die Feiern müssen dieses Jahr wegen der Pandemie ausfallen. Stattdessen richten unsere Nachbarn den Fokus auf Weihnachten.
Nie zuvor hat Sint Nicolaas seine treuesten Anhänger in den vergangenen Jahrzehnten so vorgefunden: ernüchtert nach Monaten des Lockdowns, müde vom Social Distancing und mit deutlich weniger Begeisterung für den Pakjesavond. Auf den Abend des 5. Dezember, wenn im ganzen Land Geschenke ausgetauscht werden, fiebern in normalen Zeiten nicht nur Kinder wochenlang hin. Doch Sinterklaas 2020, das ist ein bisschen wie die vergangene Fußball-WM, für die sich die Niederlande nicht qualifiziert hatten: Das Fest findet statt, aber so richtig in Stimmung kommt kaum jemand.
Für die deutschen Nachbarn ist dieses Fest eines der Teilchen, die sich zum etwas stereotypen Puzzle der vermeintlich niedlichen Niederlande zusammenfügen. Doch wer einmal erlebt hat, wie Angestellte in den besten Jahren bei der Betriebsfeier auf dem Schoß des Sint Platz nehmen und ihn bald darauf mit einem fröhlichen Lied verabschieden, wie Familien und Freunde im Vorfeld Überraschungsgeschenke basteln und an Gedichten für ihre Lieben feilen, dem wird die enorme Bedeutung dieses Fests klar.
Nun ist es nicht einfach so, dass der „Goedheiligman“am Samstag weniger gefeiert wird. Normalerweise ist dieser Abend der lang erwartete Höhepunkt, seit Sinterklaas Mitte November, so will es die Legende, mit seinem Dampfschiff aus Spanien anlegt – jedes Jahr an einem anderen Ort. Die dortige Ankunft wird landesweit im TV übertragen, es folgen lokale Paraden überall im Land, um ihn willkommen zu heißen.
In diesem Jahr dagegen wurden diese Massenveranstaltungen meist abgesagt, wobei einige Orte ersatzweise eine Online-Ankunft ohne Publikum organisierten. Der große Einzug wiederum wurde in einem „geheimen“Städtchen namens Zwalk organisiert, das, so der organisierende TV-Sender NTR, „so neu ist, dass es noch nicht auf der Landkarte steht“.
Das auf NTR in dieser Zeit täglich ausgestrahlte „Sinterklaasjournaal“, das jedes Jahr die Erlebnisse von Nikolaus und seiner „Pieten“genannten Helferschar zeigt, geht in seiner spielerischen Form nach besten Kräften auf die veränderten Bedingungen ein. So spricht Sinterklaas davon, anderthalb Meter Abstand zu halten. Der Hoofdpiet, eine Art Hilfssheriff des Nikolaus, weist einen Kollegen zurecht, weil dieser, ohne sich die Hände zu waschen, die Steuer-Kabine des Dampfschiffs betritt.
Auch ein Aufruf der Kommune Amsterdam bleibt im Bezugsrahmen des beliebten Fests, klingt dabei aber sehr nachdrücklich: „Der Sint und seine Pieten sind wieder im Land! Wir können es nicht abwarten, Sinterklaas zu feiern, aber wir befinden uns noch immer auf der höchsten Risiko-Stufe.“Es folgt eine Erklärung, dass, um die weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern, öffenliche Sinterklaas-Veranstaltungen auf der Straße, in Schulen, Einkaufszentren und Sportvereinen nicht gestattet sind. Im häuslichen
Kreis dürfen maximal drei Gäste eingeladen werden.
Eine wenig überraschende Folge dieses Sinterklaas-Fests mit angezogener Handbremse ist, dass zahlreiche Niederländer in diesem Jahr umso mehr ihren Fokus auf Weihnachten richten, das anders als in den Nachbarländern dem innig geliebten Sint eigentlich nicht das Wasser reichen kann. Wie der Sender RTL Nieuws berichtet, wollen 35 Prozent der Teilnehmer einer Umfrage in diesem Jahr wegen der Corona-Beschränkungen kein Sinterklaas feiern. 80 Prozent wiederum gaben an, Weihnachten feiern zu wollen.
Unter welchen Bedingungen jedoch Weihnachten und der Jahreswechsel in den Niederlanden begangen werden, ist noch nicht klar. Aufschluss darüber erwartet man in einer weiteren Ansprache des Premiers Mark Rutte am 8. Dezember. Die Hoffnung vieler Menschen auf eine Lockerung der Maßnahmen ist allerdings nicht sonderlich realistisch. Inzwischen haben sich die Zahlen bei etwa 5000 Neuinfektionen täglich eingependelt.
„Mit diesen Statistiken wird das schwierig”, kommentierte Rutte unlängst die Option einer Lockerung. Jaap van Dissel, der Vorsitzende des Gesundheitsinstituts RIVM, sagte Ende November: „Wir sehen jetzt seit zwei Wochen, dass die Zahlen etwas sinken, aber auf einem zu hohen Niveau stehenbleiben. Das hat zur Folge, dass auch der Gesundheitssektor noch zu stark belastet ist.“