Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
„Es fehlen weibliche Rollenvorbilder“
Ungleichbezahlung von Männern und Frauen betrifft auch Lehrende. Die Physikerin hält die Unterschiede für „erschreckend“.
Frau Havenith-Newen, Professorinnen in NRW verdienen im Durchschnitt monatlich 521 Euro brutto weniger als Männer in vergleichbarer Position. An manchen Hochschulen sind es sogar mehr als 1000 Euro weniger. Hat Sie das Ergebnis dieser Studie überrascht?
HAVENITH-NEWEN Nein, überhaupt nicht. Das Ergebnis ist erschreckend, aber nicht neu. Es gab zu dem Thema vor einigen Jahren auch schon eine Studie der US-Eliteuniversität Massachusetts Institute for Technology.
Die bereinigte Gehaltslücke, der „Gender-Pay-Gap“, fällt in der Wissenschaft mit 7,7 Prozent sogar höher aus als die gesamtgesellschaftliche, die bei sechs Prozent liegt. Wie erklären Sie sich das?
HAVENITH-NEWEN Männer sagen in Auswahlgesprächen oft: „Ich bin zwar teuer, aber jeden Euro wert.“Frauen verkaufen sich schlechter, sie erwähnen manchmal sogar, was sie nicht können. Außerdem spielen Geschlechter-Stereotype eine große Rolle.
In welcher Hinsicht?
HAVENITH-NEWEN Viele Studien zeigen, dass ein- und derselbe fiktive Lebenslauf unterschiedlich bewertet wird: Wird er einer Frau zugeordnet, fällt das Gehaltsangebot niedriger aus. Selbst weibliche Testpersonen gewährten Frauen niedrigere Gehälter. Auch fehlen weibliche Rollenvorbilder, gerade in den Naturwissenschaften.
Gab es die für Sie?
HAVENITH-NEWEN Nein. Ich stamme aus einem kleinen Eifeldorf. In meiner Generation sollten Frauen eigentlich gar nicht studieren. Dass ich mich ausgerechnet für Physik entschied, war dann auch schon egal. Es brauchte eine gewisse Ignoranz. Auftrieb gab mir ein Studienaufenthalt in Berkeley, Kalifornien: Da gab es viele weibliche Rollenvorbilder. Auch in Italien liegt der Anteil der Physikerinnen bei 50 Prozent. In Deutschland ist es ein Fehler, dass Schülerinnen das Fach Physik so früh abwählen können.
Treten Frauen heute wirklich noch bescheidener auf als Männer?
HAVENITH-NEWEN Nicht alle. Meine Erfahrung ist aber: Wenn eine Frau
eine hohe Forderung stellt, wird sie häufig als aggressiv wahrgenommen. Ein Mann gälte eher als selbstbewusst und durchsetzungsstark.
Bei Professoren handelt es sich doch um Beamte. Da sind die Spielräume bei Gehaltsverhandlungen ja gar nicht groß…
HAVENITH-NEWEN Größer, als viele denken. Seit der Bologna-Reform gibt es W-Professuren mit relativ niedrigen Grundgehältern und Aufschlägen, die individuell ausgehandelt werden müssen. Seither hat sich die Gender-Pay-Gap in der Wissenschaft sogar noch vergrößert. Das zeigt: Für Frauen sind transparente Berufungsverfahren und Gehaltsstrukturen sehr wichtig, also etwa klar formulierte Ziele für wissenschaftliche Veröffentlichungen, die Einwerbung von Drittmitteln oder wissenschaftliche Preise.
Warum ist die Gehaltslücke in der
Hochschulmedizin am größten, obwohl es doch sehr viele weibliche Medizinstudierende gibt?
HAVENITH-NEWEN Je hierarchischer der Fachbereich, desto deutlicher sind die geschlechterspezifischen Unterschiede bei der Bezahlung. Ein Problem sind auch die nicht nur in diesem Bereich starken männlichen Netzwerke.
Haben Sie damit auch selbst Erfahrungen gemacht?
HAVENITH-NEWEN Oh ja! An der Universität Bochum wurde anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens im Jahr 2015 eine Broschüre herausgegeben, in der der Professoren-Herren-Fußball-Club vorgestellt wurde. In dem Text hieß es ganz offen, die wichtigsten Entscheidungen für die Uni träfe man oft beim Bierchen nach dem Spiel. Da beschloss ich: Das können Frauen auch.
Was taten Sie?
HAVENITH-NEWEN Ich gründete eine Gruppe für Professorinnen. Wir machten Wochenend-Wanderungen oder trafen uns zu gemeinsamen Essen. Unser Ziel war es, die speziellen Interessen der weiblichen Professorinnen zu vertreten und den Anteil der Professorinnen in politischen Entscheidungsgremien wie etwa dem Senat der Universität zu erhöhen: Unter den 13 gewählten stimmberechtigten professoralen Mitgliedern war damals nur eine Frau.
War das schwierig?
HAVENITH-NEWEN Zunächst ja. Mir wurde unterstellt, dass es sich nur um Ränkespiele handelt – mit dem Ziel, hocherfahrene Männer auszubooten. Wir haben es trotzdem geschafft, indem wir Frauen motivierten, sich für die Wahl aufzustellen zu lassen. Nach den Wahlen waren sieben der 13 stimmberechtigten ProfessorInnen weiblich. Mindest-Ziel
muss meiner Meinung nach sein, dass Frauen in Gremien auf über 30 Prozent kommen: Dann ändert sich die ganze Stimmung.
Befürworten Sie eine Frauenquote?
HAVENITH-NEWEN Ja, bei der Besetzung der Universitätsgremien. Bei der Besetzung der Professuren ist das hingegen schwierig: Oftmals haben Sie nur ein oder zwei Stellen in einem bestimmten Fachgebiet zu vergeben, nicht immer gibt es zu dem jeweiligen Profil passende Professorinnen. Wichtig sind hier mehrheitlich extern besetzte Berufungskommissionen.
Hat Ihr Engagement für Gleichstellung an der Bochumer Uni Ihnen Nachteile gebracht?
HAVENITH-NEWEN Nein. Aber das liegt unter anderem daran, dass ich dort schon lange tätig bin. Wir dürfen den Kampf für die Gleichstellung nicht den jungen Frauen überlassen,
die noch evaluiert werden und Angst davor haben, dafür bezahlen zu müssen. Mit 25 Jahren war ich übrigens auch noch strikt gegen eine Frauenquote, weil ich dachte, ich müsse nur gut genug sein und könne dann alles erreichen. Spätestens seit der Geburt meiner beiden Kinder wurde mir klar, wie weit wir noch von Gleichstellung entfernt sind.
Hatten Sie ein Schlüsselerlebnis?
HAVENITH Ja, nach der Geburt meiner Töchter hieß es oft, wenn ich weiter kommen wolle, müsse ich mich entscheiden: Kinder oder Karriere. Das war eine Zeit, in der die Einführung der Programme für Frauenförderung von einzelnen sogar noch mit den Worten kommentiert wurde: Dann kann man auch direkt Hundeförderung betreiben. KIRSTEN BIALDIGA FÜHRTE DAS INTERVIEW.