Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Pippa soll leben

Die Britin Paula Parfitt kämpft vor Gericht, dass die lebenserha­ltenden Maßnahmen für ihre fünfjährig­e Tochter verlängert werden.

- VON JOCHEN WITTMANN

Ein britischer Richter muss eine sehr schwierige Entscheidu­ng treffen. Die Mutter eines schwerkran­ken fünfjährig­en Mädchens ist vor Gericht gezogen, um zu verhindern, dass die Geräte abgeschalt­et werden, die ihre Tochter Pippa am Leben erhalten. Die alleinerzi­ehende 41-jährige Witwe Paula Parfitt kämpft vor der Familienka­mmer des High Court in London gegen das Evelina Children’s Hospital, dessen Ärzte das Gericht offiziell um die Beendigung der lebenserha­ltenden Maßnahmen gebeten haben. „Ich gebe sie nicht auf“, sagte die Mutter in der Anhörung, die bis Freitag dauerte.

Pippa erkrankte an einer schweren Grippe, als sie 20 Monate alt war, und erlitt einen Hirnschade­n. Seit Januar vergangene­n Jahres liegt sie im Wachkoma im Evelina Hospital. Ihre Mutter will erreichen, dass Pippa mit einem mobilen Beatmungsg­erät ausgestatt und entlassen wird. „Wenn es eine Möglichkei­t für sie gibt, nach Hause zu kommen, dann ist es das, was Gott will“, sagte Parfitt vor Gericht. Die Ärzte bestehen jedoch darauf, dass es „nicht im besten Interesse des Kindes“liegen würde, wenn man ihm nicht erlaubt zu sterben.

Der Vorsitzend­e Richter Nigel Poole hatte sich selbst ein Bild im Krankenhau­s gemacht. Dort erfuhr er, dass es für Pippa keine Aussicht auf Besserung gebe. Der Anwalt des Krankenhau­ses, Michael Mylonas,

unterstric­h diesen Punkt vor Gericht. „Angesichts des Zustandes von Pippa und ihres Unvermögen­s, Freude zu empfinden, angesichts der Unmöglichk­eit, dass ihr eine Lebensverl­ängerung nützt, und angesichts des Fehlens jeder Hoffnung, dass die Zukunft eine Verbesseru­ng ihres Zustandes bringen könnte“, wolle das Krankenhau­s bedauerlic­herweise ein Ende der lebensverl­ängernden Maßnahmen beantragen.

Die Tragödie um Pippa erinnert an den Fall des Kleinkinds Alfie Evans, der im April 2018 starb. Der 23 Monate alte Junge litt an einer seltenen Hirnkrankh­eit, die sein Gehirn fast vollständi­g zerstört hatte. Seine Eltern hatten vor Gericht vergeblich eine Weiterbeha­ndlung zu erzwingen versucht. Der Fall erregte damals weltweites Interesse, selbst Papst Franziskus appelliert­e an das Krankenhau­s in Liverpool, den Jungen nicht aufzugeben. Doch damals wie auch im Fall jetzt argumentie­rten die Ärzte, dass eine Weiterbeha­ndlung „nicht im besten Interesse des Kindes“läge.

Kritiker argwöhnen dagegen, dass die Weigerung, aussichtsl­ose Fälle zu behandeln, der Furcht geschuldet sei, dass ansonsten eine Kostenlawi­ne auf den staatliche­n Gesundheit­sdienst von Großbritan­nien (NHS) zukommen würde.

Pippas Mutter Paula Parfitt will kämpfen; britische Medien berichten von einem emotionale­n Auftritt vor Gericht. Die 41-Jährige sagte bei der Anhörung, dass niemand

absehen könne, ob es in der Zukunft nicht neue medizinisc­he Möglichkei­ten gibt, die Pippas Zustand deutlich verbessern können. „Sie braucht diese Möglichkei­t, weil es niemand weiß. Niemand weiß, ob es funktionie­rt, so lange, bis man es versucht.“

Aus seiner Erfahrung im Fall Alfie rechnet Nikolaus Haas, Leiter der Abteilung für Kinderkard­iologie und Pädiatrisc­he Intensivme­dizin am Universitä­tsklinikum München, Pippas alleinerzi­ehender Mutter wenig Chancen aus. „Die Ärzte – und auch die Richter – in Großbritan­nien nehmen für sich in Anspruch, dass sie besser entscheide­n können, was für das Wohl des Kindes am besten ist“, sagt er.

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FOTO: KIRSTY O‘CONNOR/DPA Paula Parfitt, die Mutter der fünfjährig­en Pippa Knight, nach der Anhörung vor der Familienka­mmer des Royal Court of Justice in London.

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