Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Von wegen Besinnlichkeit
Der Profifußball rast durch die letzten Tage des Jahres. Zeit zur Besinnung aufs Wesentliche bleibt nicht. Dabei wäre das so nötig.
Im Frühjahr lernte die Menschheit neue Wörter – Corona-Krise, Lockdown, Maskenpflicht. Sie lernte auch, zumindest in Deutschland, dass viele Zeitgenossen nun gute Vorsätze fassten. Selbst im Sport. Das Herunterfahren des öffentlichen Lebens sei auch eine Chance zur Besinnung, eine Gelegenheit festzustellen, was denn das Wesentliche sei. Vielleicht sogar darüber nachzudenken, was in der Zukunft besser gemacht werden könne. Namentlich der Profifußball nahm sich viel vor.
Im Winter sind die einst so neuen Wörter längst geläufig. Der Profifußball hat zumindest einen seiner Vorsätze umgesetzt: Er hat schnell nachgedacht, schnell gehandelt und schnell eine Möglichkeit gefunden, den Spielbetrieb unter einer gläsernen Glocke fortzuführen. Dafür gab es viel Beifall für die Deutsche Fußball-Liga.
Innegehalten hat der Profifußball nicht. Seine Vertreter haben zwar ein paarmal zugestanden, dass die Kluft zwischen Fans und Profis verkleinert werden müsse. Aber so richtig geschehen ist nichts, was über blankes Wortgeklingel
hinausgehen würde.
Natürlich nützt der Profifußball auch den zweiten Lockdown nicht zum Innehalten und zur Besinnlichkeit, die der Kalender zu Weihnachten im Großen und Ganzen vorzuschreiben scheint. Er rast im Galopp durch die letzten Tage des Jahres. Am Wochenende wird eilig der 13. Spieltag der Bundesliga durchgepaukt, Anfang Januar folgt der 14., dazwischen unterhalten die Klubs mit der zweiten Runde
des DFB-Pokals Mitte nächster Woche. Sie würden sogar unter dem Weihnachtsbaum spielen, wenn die Liga das so wollte.
Es ist längst nicht mehr klar, ob den Akteuren das Seltsame dieser Situation noch aufgeht. Während sie in einer reisenden Blase das eigene wirtschaftliche Wohlergehen sichern dürfen, fährt ringsherum das Leben herunter. Und der Profifußball kann sich in einer Sonderrolle einrichten. Das wird ihn erst recht nicht zur Besinnung bringen, zum Nachdenken über Versäumnisse, über Modelle einer anderen Zukunft. Er hat gar keine Zeit dafür. Mit der Terminhatz schwinden die Möglichkeiten dahin, mal in Ruhe einiges in Frage zu stellen.
Eine schlechte Nachricht: An diesem Galopp wird sich nichts ändern. Die Saison muss sehr pünktlich durchgezogen werden, weil im Sommer die verschobene EM ansteht. Es hört einfach nicht auf. Und die guten Vorsätze aus dem Frühjahr werden schon bald vergessen sein. Auch das ist eine schlechte Nachricht.