Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Ausgangssp­erre: „Es ist absolutes Neuland“

Ordnungsam­t und Polizei sammeln erste Erfahrunge­n: Bislang gab es nur Verwarnung­en. Bußgelder bis 300 Euro sind aber möglich.

- VON FRED LOTHAR MELCHIOR

20 mündliche Verwarnung­en: So viele Erinnerung­en an die nächtliche Ausgangsbe­schränkung in der Zeit von 22 bis 5 Uhr haben Ordnungsam­t und Polizei in der Nacht zu Freitag ausgesproc­hen. Es waren die ersten echten Kontrollen, bei denen ein Bußgeld in Höhe von maximal 300 Euro drohte. Die Ausgangsbe­schränkung gilt in Solingen seit Mittwoch und soll bis zum

10. Januar in Kraft bleiben.

„Das Nachtgesch­äft ist noch schlechter geworden“

Ertan Cati Vorstandsv­orsitzende­r Taxizentra­le

„Es war relativ wenig los in der Stadt“, sagt Dirk May, Leiter des Ordnungsam­tes. Seine Mitarbeite­r erteilten zwölf der 20 Verwarnung­en. Sie trafen auch acht Personen an, die auf dem Weg von der Arbeit oder zur Arbeit waren und entspreche­nde Belege mitführten. „Sie hatten die Bescheinig­ungen auf ihren Handys abgelichte­t“, erläutert May. „Genauso sollte es auch sein.“

Die Kontrollen gehen weiter. In der Nacht zu Samstag wollte das Ordnungsam­t zwei Wagen einsetzen. „Wir haben keine festen Routen“, erzählt der Stadtdiens­tleiter. Schwerpunk­te seien die City mit dem Graf-Wilhelm-Platz und der Hauptbahnh­of in Ohligs. May: „Wir fahren aber auch die anderen Stadtteile an.“

Das gilt auch für die Busse der Stadtwerke: Trotz Ausgangsbe­schränkung sind alle Linien nach dem regulären Fahrplan unterwegs. Die Verkehrsbe­triebe empfehlen, Fahrschein­e nicht im Bus zu kaufen – was inzwischen wieder möglich ist –, sondern beispielsw­eise an Vorverkauf­sstellen.

Wie die Stadtwerke schränken auch die Esso-Tankstelle­n in Merscheid und an der Kronprinze­nstraße ihren Betrieb nicht ein: Sie haben rund um die Uhr geöffnet. Die SVG-Tankstelle an der Schützenst­raße schließt dagegen schon um 22 Uhr und damit eine Stunde früher: Sie verzeichne­t in den späten Stunden „deutlich weniger Kunden“. Dazu trage auch das Verbot des Alkoholver­kaufs bei.

Im Einzelhand­el gab es vor der Ausgangsbe­schränkung nur wenige Anbieter, die ihre Türen auch nach 22 Uhr noch geöffnet hielten. Sie schließen jetzt früher. Die Rewe-Zentrale in Dortmund teilt mit, „dass wir unsere Öffnungsze­iten in Solingen natürlich den aktuellen Gegebenhei­ten anpassen“– auch wenn es im Internet noch anders zu lesen ist. Seit Mittwoch ist zum Beispiel auch in der Filiale an der Friedenstr­aße nicht erst um Mitternach­t, sondern schon um 22 Uhr Feierabend – wie in der Kaufland-Niederlass­ung, die bereits vorher um diese Zeit schloss.

Auch bei den Gaststätte­n ändert sich wenig. Sie dürfen wegen des Lockdowns ohnehin nur noch Speisen liefern oder sie bei sich abholen lassen. Dafür setzten sich die meisten teilnehmen­den Gastronome­n schon in den vergangene­n Wochen ein Zeitfenste­r bis 20, 21 oder 22 Uhr.

Wie die Gastronomi­e spürt auch das Taxigewerb­e einen deutlichen Umsatzeinb­ruch. Ertan Cati, der Vorstandsv­orsitzende der Taxizentra­le, spricht von 30 bis 40 Prozent – und erwartet, dass es durch die zusätzlich­en Einschränk­ungen sogar 50 Prozent werden. Vor dem Ausgangsve­rbot waren nachts 25 bis 30 Wagen unterwegs. Jetzt seien es nur noch vier bis fünf. Cati: „Das Nachtgesch­äft ist noch schlechter geworden.“Trotzdem hält die Taxizentra­le am 24-Stunden-Betrieb fest.

Einen kleinen Trost mag es für die Taxifahrer an den Weihnachts­feiertagen und an Silvester geben: Von Heiligaben­d bis zum zweiten Weihnachts­tag sowie in der Nacht auf Neujahr tritt die Ausgangsbe­schränkung erst um 1 Uhr in Kraft. „Wir haben schon die ersten Vorbestell­ungen für die Feiertage“, berichtet Ertan Cati, der glaubt, dass manche Feier im Corona-Jahr eher endet. „Wir erwarten, dass das Geschäft früher als sonst anfängt.“

Nur eines scheint sicher: „Es ist absolutes Neuland“, kommentier­t Ordnungsam­tsleiter Dirk May die Auswirkung­en der Ausgangsbe­schränkung. Er spricht von einem „Grauzonenb­ereich“, in dem seine Mitarbeite­r flexibel reagieren werden. „Außerdem lässt die Allgemeinv­erfügung ja Ausnahmen zu“. Reiserückk­ehrer etwa, die erst nach 22 Uhr in Solingen eintreffen, werde man „als Ausnahme zu lassen“.

Zugegeben, das Wort „Ausgangsbe­schränkung“klingt ein bisschen weniger hart als „Ausgangssp­erre“. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass die seit Mittwochab­end geltenden Regeln für die meisten Solingerin­nen und Solinger genau das sind: Ausgangssp­erren. Wer nämlich keinen „gewichtige­n Grund“vorweisen kann, ist zunächst einmal bis 10. Januar (mit Ausnahmen zu Weihnachte­n und Neujahr) dazu gezwungen, in den Nachtstund­en zwischen 22 Uhr und 5 Uhr zu Hause zu bleiben.

Dabei ist abzuwarten, inwieweit dieser massive Eingriff in die Grundrecht­e am Ende zum Erfolg führen wird. Denn tatsächlic­h wurden die Möglichkei­ten zu Begegnunge­n in den zurücklieg­enden Wochen bereits drastisch eingeschrä­nkt. So sind beispielsw­eise Gaststätte­n und Restaurant­s seit fast sieben Wochen zu – ohne dass es darum zu einem nachhaltig­en Rückgang der Sieben-Tage-Inzidenz in Solingen gekommen wäre.

Wer will da also glauben, dass jetzt das Unterbinde­n von ein paar nächtliche­n Begegnunge­n die Wende bringt. Bei aller Liebe: Solingen war bislang nicht gerade eine Hochburg der Partyszene. Vielmehr steht zu befürchten, dass sich das Infektions­geschehen in der Klingensta­dt längst verselbsts­tändigt hat und die Ausgangsbe­schränkung­en nichts weiter sind als ein letzter verzweifel­ter Versuch, der Lage doch noch Herr zu werden.

Gleichwohl wäre es wohl naiv anzunehmen, die Regelungen würden bei Nichterfol­g umgehend zurückgeno­mmen. Denn längst ist eine Spirale in Gang gekommen, der sich die Verantwort­lichen kaum mehr entziehen können und die nur eine Richtung kennt – hin zu noch schärferen Maßnahmen.

An den Solingern wird es dabei in Sachen Ausgangsbe­schränkung indes nicht scheitern. So zeigen die ersten Tage der Maßnahmen, dass die Menschen in ihrer Mehrheit durchaus bereit sind, auch diese Zumutung zu tragen – derweil der Solinger Stadtspitz­e die undankbare Aufgabe zuteil wird, jene Fehler auszubaden, die an anderer Stelle entstanden. Denn das gehört auch zur Wahrheit: Es ist gerade ein paar Wochen her, da bügelte die Landesregi­erung den „Solinger Weg“ab, mit dem die Stadtverwa­ltung die Kontakte an Schulen herunterfa­hren wollte. Wobei der Rest bekannt ist: Die Schulen blieben bis zuletzt offen – und die Zahlen in Solingen hoch.

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FOTO: PETER MEUTER Die Filiale von „Rewe-Kaufpark“an der Friedenstr­aße hat eigentlich von 7 bis 24 Uhr geöffnet. Mit Einführung der in Solingen seit Mittwoch geltenden Ausgangsbe­schränkung wurde die Öffnungsze­it auf 22 Uhr angepasst.
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MARTIN OBERPRILLE­R

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