Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Weihnachtliche Musik und Poesie
Festlich oder flott, klassisch oder knackig, rhythmisch oder gereimt – mit dieser Auswahl an Musikstücken und Gedichten bekommt der Weinachtsabend noch einmal eine ganz besondere Note.
Klassik und Jazz Johann Sebastian Bach (1685– 1750): „Weihnachts-Oratorium“
Gerade in diesem Jahr gilt: Keine Weihnachtszeit ohne Bachs menschenfreundlichstes Musikwerk. Es umfasst sechs Kantaten mit herrlichster Musik, pausbäckig und kostbar, purer Glanz und geheimnisvolle Dunkelheit. Seit sie 1998 auf den Markt kam, gilt die Aufnahme mit dem Bach-Collegium Japan unter Masaaki Suzuki als Referenzeinspielung. Bei mir läuft sie seit Anfang Dezember. Bach hilft gegen den Corona-Blues. (BIS Records)
Schweizer Hirten-Jazz: „Lyoba Revisited“
Weil uns der Schnee ja derzeit elementar fehlt: So wie auf dieser Platte stellen wir uns einen weihnachtlichen Spaziergang durch Gottes gepuderte Natur vor – dick vermummt, Mütze auf, und darunter den Kopfhörer mit dieser CD, die aus den Bergen kommt. Jazzpianist Thierry Lang hat mit Kollegen elf Schweizer Hirtenlieder ausgewählt und nach leisester Kammerjazz-Art ins Schwingen gebracht. Musik, die atmet! „Lyoba revisited“heißt die CD, der Pianist Thierry Lang hat sie entworfen, und sie ist ein Fest. (ACT Music)
The Singers Unlimited: „Christmas“
Legendäre Platte des Vokalensembles The Singers Unlimited unter Gene Puerling, das bekannteste Weihnachtslieder jazzig intoniert. Das ist mehr als nur swingende Rhythmen mit Pfefferminzakkorden obendrauf. Die Sänger schaffen eine Atmosphäre zwischen Glühwein und Christstollen: lauschig, duftig, das Geheimnis wahrend. Bei der CD handelt es sich um die glorreiche MPS-Produktion von 1972, die digital aufbereitet wurde. Bei der himmlischen Endabnahme dürfte es keine Probleme geben. (MPS)
Bugge Wesseltoft:
„It’s Snowing on my Piano“
Wenn die Liebsten ins Bett gegangen sind und man den Weihnachtsabend still ausklingen lassen will, dann gibt es nur eine Platte: „It’s Snowing on my Piano“des norwegischen Jazzpianisten Bugge Wesseltoft. Leiser, intimer hat noch nie ein Klavier seine Hörer zur Ruhe gebettet und ihm alle Mühsal abgenommen – mit Weihnachtsliedern, die der Pianist zart veredelt, doch nie verfremdet. Schon die Einleitung mit der stilisierten Schlittenfahrt wärmt die Seele. (ACT Music)
Pop The Sinatra Family:
„Wish You A Merry Christmas“
Die beste Weihnachtsplatte aller Zeiten ist die der Sinatra-Family: „The Sinatra Family Wish You A Merry Christmas“. 1968 haben sie (fast) alle gemeinsam gesungen: Frank, Nancy und Tina. Nur Frank Jr. war damals gerade unterwegs und steuerte seine Gesangsparts nachträglich bei. Das ist die ganz dicke amerikanische Show-Soße: Kitsch, Kling-Glöckchen, Herzwärme, Trost. Und der vielleicht schönste Moment ist jener, in dem Tina „Santa Claus Is Coming To Town“anstimmt und im Hintergrund die Familie als Chor aufritt: Ba-ba-baba. Herrlich. (Universal)
James Last: „Christmas Dancing“
Man braucht einen Moment, um sich an den Sound zu gewöhnen, aber dann ergibt man sich: „Christmas Dancing“von James Last bietet die Klassiker in den typischen beEasy-Listening-Versionen. schwipsten Es gibt ja mehrere Weihnachtsalben von ihm, aber man hat den Eindruck, James Last richtete diese Stücke besonders liebevoll ein. Man summt unweigerlich mit. Könnte sein, dass man bei der Bescherung dann eine Pirouette mehr einlegt. (Universal)
Beach Boys: „Christmas Album“
Auch sehr schön: „The Beach Boys’ Christmas Album“. Die ersten Stücke stammen aus der Feder von Brian Wilson: Er ist so genial, dass er aus Sandkörnern Schneeflocken machen kann. Ab Lied sechs singen die Jungs dann traditionelle Lieder, „White Christmas“zum Beispiel und „Frosty The Snowman“. Alte Schule, sehr amerikanisch, und schon das Cover, das die Beach Boys in adretten Wollpullis beim Baumschmücken zeigt, ist klasse.
Saint Etienne: „A Glimpse Of Stocking“
Die Band Saint Etienne ist so britisch, dass klar war, sie würde irgendwann ein Weihnachtsalbum herausbringen. Die Briten haben Weihnachten ja in sich drin begriffen, und tatsächlich gab es dann bald eine solche Platte, wenn auch zunächst exklusiv für Fanclub-Mitglieder. Inzwischen darf „A Glimpse Of Stocking“zum Glück aber jeder hören. Besonders gelungen ist das Stück „I Don’t Intend To Spend Christmas Without You“. „It’s a lonely time to live through“, singt Sarah Cracknell da. Aber das klingt gar nicht traurig, sondern hoffnungsfroh. Und das hört man doch sehr gerne. (PIAS)
Lyrik
Theodor Storm (1817–1888): „Weihnachtsabend“
Zugegeben, das ist ein tieftrauriges Gedicht vom Weihnachtsabend, mit einem bettelnden Kind, das der Erzähler in den Straßen einer fremden Stadt aus Scham links liegen lässt und sich hernach schuldig fühlt, als säße sein eigenes Kind als Bittsteller am Boden. Eine sozial gewendete Weihnachtsgeschichte, die gerade in unseren Zeiten zu einem Wechsel unserer Perspektive ermuntert.
Joseph Freiherr von Eichendorff (1788–1857): „Weihnachten“
Kommt man zu Weihnachten an Eichendorff vorbei? Nicht wirklich. Auch darum, weil das Fest als Ritual auch auf Wiedererkennung beruht, auf dem Gewohnten und Wiederkehrenden. Und so reicht schon der erste Eichendorff-Vers „Markt und Straßen steh’n verlassen“aus, um viele in die vier Strophen einsteigen zu lassen.
Heinrich Heine (1797–1856): „Die Heil’gen Drei Könige“
Bei Heinrich Heine muss man immer auf der Hut sein, und zwar bei jedem seiner Verse. Der Großmeister des Spotts, der Ironie und der selbstkritischen Betrachtung kleidet die Geburt Jesu in seinen eigenen Ton. Ein paar Verse sind es ja nur, und Heine – der zum Christentum konvertierte Jude – scheint von der Heiligen Nacht so schnell wie irgend möglich erzählen zu wollen, fast beiläufig. Auf jeden Fall eine spannende Auseinandersetzung.
Joachim Ringelnatz (1883–1934): Einsiedlers Heiliger Abend
Auch Ringelnatz gehört zu den weniger andächtigen deutschen Dichtern. Ein einsames und trinkseliges Weihnachtsfest erlebt der, der davon dichtet. Ein bisschen traurig ist des Einsiedlers Abend, aber auch nachfühlbar – und am Ende ein klein wenig wundersam. Ringelnatz verklärt nichts, aber er scheint doch nicht unempfänglich für das Unerklärliche und Unfassbare dieser Nacht geblieben zu sein.
Robert Gernhardt (1937–2006): Die Geburt
Zum Schluss empfehlen wir ganz heimlich, still und leise auch noch Robert Gernhardts Poem. Der Heine-Preisträger gehört ja zu den wirklich großen komischen Poeten deutscher Sprache. Und dass er dann auch zu Weihnachten nicht ganz glaubenskonform dichtet, ist nicht gerade überraschend. Sein Gedicht „Die Geburt“muss ja auch nicht unbedingt unterm Weihnachtsbaum rezitiert werden.