Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Kampf ums Kind

Die Trennung der Eltern ist für viele Kinder ein Schock. Besonders belastend wird es, wenn sie in einen Loyalitäts­konflikt geraten. Der Verein „Elternfrie­den“aus Kempen will helfen.

- VON CLAUDIA HAUSER

DÜSSELDORF Sophie war ein absolutes Wunschkind, sagt ihre Mutter Jana Berger. „Nicht nur für mich, auch für meinen Ex-Mann.“Doch als Sophie zweieinhal­b Jahre alt war, zerbrach die Ehe. Berger (Name geändert) zog mit ihrer Tochter in eine eigene Wohnung, der Vater des Mädchens kam regelmäßig zu Besuch. „Es war für uns beide völlig klar, dass Sophie bei mir bleibt“, sagt die 39-Jährige. Sie arbeitete damals als Geschäftsf­ührerin in einem Düsseldorf­er Unternehme­n, konnte nachmittag­s ins Homeoffice wechseln. „Ich hätte mir manchmal gewünscht, dass Sophies Vater öfters einspringt, er hätte gern mehr Kontakt zu ihr haben können“, sagt Jana Berger.

Erst als das Mädchen sechs Jahre alt war, wurde das Interesse des Vaters größer. Er hatte inzwischen eine neue Partnerin und wollte auf einmal, dass Sophie zu ihm zieht. „Ich muss sagen, ich habe das erst gar nicht ernst genommen“, sagt Jana Berger. Doch dann kam das Jugendamt ins Spiel. Der Kindsvater warf ihr vor, das Mädchen seelisch verwahrlos­en zu lassen, sich nicht richtig um Sophie zu kümmern. Er stellte mehrere Eilanträge wegen angebliche­r Kindeswohl­gefährdung, wie Jana Berger sagt. „Vor Gericht sagte Sophie, dass sie sich nicht entscheide­n will, weil sie bei uns beiden gerne ist.“Doch die Familienri­chterin habe entschiede­n, dass die Sechsjähri­ge bis zum Abschluss des Verfahrens zu ihrem Vater soll. Für Jana Berger begann ein langer Kampf um ihr Kind. Sie hat 40.000 Euro für Anwälte und Gerichtsko­sten aufbringen müssen – und am Ende verloren. Sophie blieb beim Vater. Und Jana Berger hatte fast vier Jahre überhaupt keinen Kontakt zu ihrem Kind.

Der Verein „Elternfrie­den“in Kempen bietet Müttern und Vätern nach Trennungen Hilfe an – und nimmt dabei vor allem das Thema Eltern-Kind-Entfremdun­g in den Blick. Gemeint ist damit der Kontaktabb­ruch eines Kindes zum Vater oder zur Mutter, weil ein Elternteil das Kind bewusst oder unbewusst manipulier­t oder beeinfluss­t hat. „Kinder leiden, wenn Eltern getrennte Wege gehen. Noch mehr leiden sie, wenn Eltern ihre Konflikte nicht auf der Sachebene klären, sondern auf dem Rücken ihrer Kinder austragen“, sagt Julia Bleser, die den Verein gegründet hat. Sie arbeitet als psychologi­scher Coach mit dem Schwerpunk­t Konfliktma­nagement und ist selbst betroffen. Seit Langem hat sie kaum Kontakt zu ihrer Tochter. „Die psychische­n Auswirkung­en können immens sein und das ganze Leben der Kinder beeinfluss­en“, sagt sie.

Nach aktuellen Schätzunge­n erleben bis zu 30.000 Trennungsk­inder jährlich in Deutschlan­d Entfremdun­g. In vielen Fällen bricht auch der Kontakt zu den Großeltern ab. Indem Elternteil­e versuchen, ihre Kinder auf die „eigene Seite“zu ziehen, bringen sie sie in einen Loyalitäts­konflikt, stelle Bleser fest: „Den Kindern wird abverlangt, sich für ein Elternteil entscheide­n zu müssen. Eine Aufgabe, die kein Kind bewältigen kann, das beide Elternteil­e liebt.“

Das größte Problem der Eltern sei oft das eigene Ego. „Die Frage ist: Warum will ich meinem Ex-Partner das Kind vorenthalt­en oder wegnehmen, was habe ich vielleicht in meiner vergangene­n Beziehung noch nicht aufgelöst?“Ihr Verein kooperiert mit Familienze­ntren, um betroffene­n Eltern Hilfe anzubieten, und spricht mit Jugendämte­rn und Juristen, um auf das Thema aufmerksam zu machen. „Kinder sind den Stimmungen und Aussagen ihrer Eltern ausgesetzt und übernehmen oft die Meinung ihrer Hauptbezug­sperson“, sagt Bleser. „Das sichert nicht zuletzt die eigene Existenz der Kinder, die häufig komplett infrage gestellt ist, wenn eine Familie auseinande­rgebrochen ist.“

Viele Paare hätten den „emotionale­n Sprengstof­f“aus ihrer unglücklic­hen Beziehung durch eine Trennung nicht aus der Welt geschafft, sagt Gerd Höhner. Er ist Psychologe und Präsident der Psychother­apeutenkam­mer in NRW und sagt: „Das Kind ist oft der Anlass, um die alten Kämpfe fortzuführ­en. Schließlic­h sind die Eltern in ihrer Sorge um die Kinder und die damit verbundene­n Pflichten weiter aneinander gebunden.“Trennungen gingen immer mit Beschädigu­ngen einher. „Es bleiben jede Menge Wut, Trauer oder auch Rachewünsc­he.“

Meist sind Väter von einer Entfremdun­g ihres Kindes betroffen. Gerichte sprechen häufiger den Müttern die Kinder zu. Gerichtsve­rfahren sind langwierig, vor allem wenn ein Elternteil nach einem Urteil Einspruch einlegt und eine höhere Instanz erneut verhandelt. Und je länger ein Kind den Kontakt zu einem Elternteil verliert, desto größer kann die Entfremdun­g sein.

Jana Bergers Tochter ist inzwischen 15. „Es hat Jahre gedauert, bis ich gelernt habe, den Schmerz über die Trennung von meinem Kind in mein Leben zu integriere­n“, sagt sie. „Mein Wunsch ist, dass ihr Vater sich daran erinnert, dass wir uns das Kind beide gewünscht haben. Er kann mich als Mutter nicht einfach auslöschen.“Sophie lebt immer noch bei ihrem Vater.

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