Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Tom Blankenberg hört den Tönen beim Atmen zu
Der Düsseldorfer Pianist feiert auf seinem Piano-Album „Et“die Langsamkeit. Jeder Akkord wird mit größtmöglichem Respekt behandelt. Eine wunderbare Instrumental-Platte.
Diese Platte heißt „Et“, und jeder Ton darauf hat genug Raum zum Atmen. Der Pianist Tom Blankenberg geht respektvoll mit jedem Ton um, er hört ihm zu, lauscht und spürt ihm nach, betrachtet ihn als Individuum. Man könnte sagen: Er gönnt ihm seine 15 Minuten Ruhm.
Das ist die zweite Platte des Düsseldorfers, sie ist schön, und zwar schön auf eine fast schon spirituelle Weise. Tom Blankenberg komponiert menschenfreundliche Musik, sie verlangsamt den Moment, dehnt das Leben, intensiviert die Erfahrung. 2019 legte er sein spätes Debüt „Atermus“vor, 48 war er da bereits, und vielleicht überschritt er damit eine Hemmschwelle, jedenfalls kommen nun ständig neue Ideen. Solo-Piano-Vignetten sind das, in zwei Stücken gibt es ein leichtes Echo, ansonsten keine Effekte, nur das Klavier. Blankenberg schreibt „immer zwischendrin“, wie er sagt, intuitiv. Er setzt sich zehn Minuten ans Klavier, nimmt mit dem Smartphone auf, kehrt am nächsten Tag wieder zu dem Fragment zurück und so fort.
An einem Tag im August des vergangenen Jahres fuhr er morgens ins Van-Heys-Studios nach Kleve. Der Besitzer schloss auf, schaltete die Geräte an und machte mit seiner Familie eine lange Fahrradtour. Blankenberg spielte seine Musik alleine, den ganzen Morgen, nachmittags und abends und vor allem in der Nacht. Erst im Morgengrauen des nächsten Tages kehrte er heim nach Düsseldorf. Da war das Album fertig.
Die Kompositionen tragen Titel, die sie wie Gedichte wirken lassen. „Hibiskus“und „Kaschmir“etwa, und ihre Namen ergeben sich aus dem, was Blankenberg erlebt hat, bevor er sich ans Klavier setzte. Bevor er „W123“aufnahm, dröhnte die Doppelhupe eines Mercedes W123 durchs Fenster. „Meniskus“wurde inspiriert von der Knieverletzung seines
Sohnes. Und „Hibiskus“ergab sich, weil Blankenberg vom Klavier aufsah und sich in seiner Wohnung umschaute: „In Corona-Zeiten habe ich unheimlich viele Blumen da.“
Der bezeichnendste Titel ist indes „Less“, denn darum geht es: Das Weniger feiern und die Langsamkeit. „Ich möchte die Akkorde ausmodulieren lassen. Mich mit dem beschäftigen, was passiert. Das Hinsehen macht alles ein bisschen intensiver“, sagt Blankenberg.
„Et“mutet wie ein Soundtrack für die frühen Morgenstunden an, „zum Durchbrechen der ersten Sonnenstrahlen ist das genau richtig“, sagt Blankenberg. Man müsse tatsächlich den richtigen Zeitpunkt für seine Musik finden. Als die erste Platte erschien, lud er ein paar Freunde in eine Bar in der Nähe seines Studios ein. Der Wirt fragte, was sie denn feierten. Und weil er diese Musik auch mal hören wollte, öffnete er Spotify und spielte sie im Lokal. Zu Blankenberg sagte er danach: „Im Vertrauen: Da wirst du ja verrückt, wenn du drauf wartest, dass der nächste Ton kommt.“
Ryuichi Sakamoto gehört zu den Referenzen Blankenbergs, Filmmusik hat ihn geprägt, aber zu Nils Frahm und anderen Künstlern der Neo-Klassik fühlt er sich nicht ganz zugehörig. Die Genre-Bezeichnung passe natürlich, aber klanglich gebe es zu viele Unterschiede. „Et“hat Blankenberg seinen Eltern gewidmet. Er wollte das eigentlich schon bei Platte Nummer eins tun. „Die war mein Ausbruch. Meine Eltern haben mich stets darin bestärkt, Musik zu machen. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.“Seine 83 Jahre alte Mutter habe nach der ersten Platte denn auch regelmäßig gefragt: „Hast du wieder neue Stücke?“
Blankenberg ist Mitglied der Düsseldorfer Band Subterfuge, mit der er gerade auch an einem neuem Album arbeitet. Ihm gehört das Convoi-Studio in Flingern, wo er Sounddesign und Sprachaufnahmen anbietet. Eben schloss er die Tonarbeiten für einen Film von Oliver Gather ab, der bei den Kurzfilmtagen in Oberhausen gezeigt werden soll. Im Sommer möchte er sich wieder eigenen Filmprojekten widmen. „Die kleinen Dinge, die oft übersehen werden, interessieren mich“, sagt er.
Die Tage um den Veröffentlichungstermin seiner neuen Platte hat sich Blankenberg freigehalten. Bisschen atmen. Wie seine Musik.
Die Stücke tragen Titel, die sie wie Gedichte
wirken lassen