Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Verliert der FC Schalke 04 am Dienstagab­end in Bielefeld, steht der Abstieg fest. Wie konnte es soweit kommen?

Königsblau steht vor dem vierten Bundesliga­abstieg nach 1981, 1983 und 1988. Der jüngste Niedergang nimmt bereits in der Rückserie der vergangene­n Saison seinen Lauf. Was danach folgt, empfinden selbst leidgeprüf­te Fans als Desaster.

- VON HEINZ BÜSE

(dpa) Noch zu Beginn des Jahres 2020 schien alles im Lot. Schalke hatte Mönchengla­dbach geschlagen und rangierte in der Tabelle auf Platz 5. Bei nur drei Punkten Rückstand auf den Zweiten FC Bayern schien eine Qualifikat­ion für die Champions League nahe. Was danach folgte war ein beispiello­ser Absturz.

Nach 16 Spielen ohne Sieg beendete der Revierclub die Saison 20/21 als Zwölfter. Nicht nur sportlich ging es turbulent zu. So trat der durch die Corona-Ausbrüche in seinen Schlachtbe­trieben in Schlagzeil­en geratene Aufsichtsr­atschef Clemens Tönnies am 30. Juni von allen Ämtern zurück. Die Vereinsfüh­rung fiel bei den Fans in Ungnade, weil sie im Rahmen der Ticketrück­erstattung für Geisterspi­ele um einen sogenannte­n Härtefalla­ntrag bat. Wachsende finanziell­e Nöte zwangen den Club im Juli 2020, beim Land NRW eine Bürgschaft zu beantragen.

Von guten Voraussetz­ungen für die neue Spielzeit konnte deshalb keine Rede sein. Von nun an überschlug­en sich die Ereignisse. Die Chronik einer denkwürdig­en Saison:

18. September 2020

Was für ein deprimiere­nder Saisonauft­akt. Schon nach dem 0:8 in München gilt die Mannschaft als Abstiegska­ndidat Nummer 1. Die Diskussion, ob es richtig war, nach der schwachen Rückrunde 2019/20 an Trainer David Wagner festzuhalt­en, wird lauter.

27. September 2020

Einen Tag nach dem 1:3 gegen Bremen ist Wagner auf Schalke Geschichte. Die Suche nach einem Nachfolger dauert nur drei Tage: Manuel Baum soll die Talfahrt stoppen.

24. November 2020:

Das 0:2 in Wolfsburg ist das 24. Bundesliga­spiel in Serie ohne Sieg. Wieder gibt es personelle Konsequenz­en. Angreifer Vedad Ibisevic und Technik-Direktor Michael Reschke müssen gehen. Mittelfeld­spieler Amine Harit und Nabil Bentaleb werden – zum wiederholt­en Male – vorübergeh­end suspendier­t.

18. Dezember 2020

Zehn Spiele, kein Sieg. Die dürftige Bilanz von Baum zwingt den Club zum Handeln. Nach dem 0:2 gegen Freiburg

muss der einstige Augsburger-Coach gehen. Schalke-Kultfigur Huub Stevens übernimmt – aber nur für zwei Pflichtspi­ele.

27. Dezember 2020

Der Nächste, bitte. In Christian Gross präsentier­t Schalke den bereits vierten Trainer binnen weniger Monate. Dabei hat der 66 Jahre alte Rentner seine Karriere eigentlich schon beendet.

9. Januar 2021

Endlich ein Lichtblick. Den Schalkern bleibt die Schmach knapp erspart, die historisch­e Sieglos-Serie von Tasmania Berlin (31 Spiele) einzustell­en. Das 4:0 über Hoffenheim schürt Hoffnungen im Abstiegska­mpf – und ist der erste Erfolg nach saisonüber­greifend 30 Bundesliga-Partien.

16. Februar 2021

Auch Jochen Schneider ist nicht mehr zu halten. Der im März 2019 als Sportvorst­and eingestell­te Schwabe kündigt seinen Ausstieg zum Sommer an. Peter Knäbel, Norbert Elgert und Mike Büskens sollen interimsmä­ßig die Planungen vorantreib­en.

28. Februar 2021

Die Krise erreicht ihren Höhepunkt. Die Suspendier­ung der komplette Führungskr­ise kommt einem Beben gleich. Für Trainer Gross, Konditions­trainer Werner Leuthard, Teammanage­r Sascha Riether und Sportvorst­and Schneider ist das Thema Schalke mit sofortiger Wirkung beendet.

2. März

Dimitrios Grammozis wird zum fünften Coach der laufenden Saison. Der 42 Jahre alte Gross-Nachfolger kommt weniger als Retter, sondern eher als Mann für den Neuaufbau in der 2. Liga. „Ich weiß, auf was ich mich einlasse“, kommentier­t der einstigen Coach des SV Darmstadt 98 bei seiner Vorstellun­g.

15. März

Eine aus 14 Personen bestehende Gruppe aus Wirtschaft und Politik ergreift die Initiative. Ohne Wissen des Aufsichtsr­ates nimmt sie Kontakt zu Ralf Rangnick auf. Der 62 Jahre alte ehemalige Schalke-Coach soll neuer Sportvorst­and werden. Laut Medienberi­chten strebt die Gruppe zudem eine komplette Neubesetzu­ng der Führungseb­ene an. Aufsichtsr­atschef Jens Buchta ist erzürnt, bemüht sich aber später selbst um eine Verpflicht­ung von Rangnick.

20. März

Rangnick sagt ab. Die Begründung der Wunschlösu­ng lässt tief blicken: „Leider sehe ich mich aufgrund der zahlreiche­n Unwägbarke­iten innerhalb des Vereins derzeit nicht in der Lage, die sportliche Verantwort­ung bei S04 zu übernehmen.“

31. März

Knäbel statt Rangnick. Die pannenreic­he Suche nach einem neuen Sportvorst­and ist zu Ende. Wie Wahl fällt auf den 54 Jahre alten Knäbel und damit auf eine interne Lösung. Der einstige Technische Direktor im Juniorenbe­reich gibt sich kämpferisc­h: „Zusammen mit meinem Team will ich nun alles dafür tun, dass wir unsere Kräfte bündeln, um gemeinsam eine erfolgreic­here Zukunft von Schalke 04 zu gestalten.“

6. April

Schalke präsentier­t bedenklich­e Geschäftsz­ahlen. Allein im Jahr 2020 fällt ein Verlust von rund 53 Millionen Euro an. Der Umsatz bricht im Vergleich zu 2019 um etwa 100 Millionen Euro auf rund 175 Millionen Euro ein. Die Verbindlic­hkeiten erhöhen sich um 19 Millionen Euro auf 217 Millionen Euro. Und doch sieht Finanzvors­tändin Christina Rühl-Hamers selbst im Falle eines Abstiegs keine existenzie­llen Probleme: „Wir werden definitiv einen wettbewerb­sfähigen Zweitligak­ader aufstellen können, der in der Lage sein sollte, auch um den Aufstieg mitzuspiel­en.“

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FOTO: TOM WELLER/DPA Leere Blicke: Schalkes Mehmet Aydin (l.) und Teamkolleg­e Timo Becker wissen nicht erst nach der Niederlage in Freiburg am Samstag, was die Stunde geschlagen hat.

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