Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Aggressives Betteln vor der Ladentür
Geschäftsleute beklagen zugespitzte Situation. Erinnerung an Diskussion um Verschärfung der Straßensatzung.
Sebastian Wadulla befindet sich in einer Zwickmühle. Im Grunde hat er kein Problem mit der Gruppe, die sich seit knapp zwei Jahren regelmäßig tagsüber vor seinem Café Kersting an der Kölner Straße niederlässt. „In letzter Zeit hat es sich zugespitzt. Immer mehr Kunden haben sich beschwert“, erzählt der Inhaber der traditionsreichen Konditorei. Teilweise seien die Männer beim Betteln aufdringlich geworden. „An diesem Punkt wird es leider geschäftsschädigend“, sagt der Solinger. Nach mehreren erfolglosen Gesprächen mit der Gruppe wendete er sich deshalb an die Stadt Solingen.
Der Fall erinnert an die Debatte, die Solingen vor fast drei Jahren über Monate beschäftigte. Seinerzeit hatte die Verwaltung eine Überarbeitung der Straßensatzung forciert. Unter anderem war darin vorgesehen, das so genannte Lagern am Rande des Bürgersteigs zu untersagen. Vor allem an diesem Punkte entbrannte eine anhaltende Diskussion. Institutionen wie die Kirchen und auch die Wohlfahrtsverbände machten gegen die Verschärfung mobil. Am Ende gab es keine politische Mehrheit für das Lager-Verbot.
Eine Entscheidung, die Dr. Christoph Humburg noch immer begrüßt. „Eine Verschärfung der Regeln hätte keinen Beitrag dazu geleistet, den Betroffenen zu helfen“, ist der Direktor des hiesigen Caritasverbandes überzeugt. Er war einer der Wortführer gegen eine strengere Straßensatzung. Nichtsdestotrotz zeigt er Verständnis für Gastronomen und Einzelhändler, die sich um ihr Geschäft sorgen, wenn sich regelmäßig Gruppen vor ihrem Laden niederlassen.
„Solche Fälle sind in der Tat ganz schwierig“, sagt Waldemar Gluch. Der Vorsitzende des Initiativkreises Solingen verdeutlicht, wo das Problem liegt: „Wer fände es schon schön, den ganzen Tag Fremde vor der Tür sitzen zu haben?“Die Frage sei, wie man als Gesellschaft solchen Situationen begegnet.
Dr. Christoph Humburg hat dazu eine klare Meinung: nicht mit Platzverweisen oder Strafen. Vielmehr brauche es Sozialarbeit, die die Personen auf der Straße mit ihrer Lebenswirklichkeit einbezieht. Vor einigen Monaten habe die Caritas ein entsprechendes Konzept für die Stadt erstellt. Anlass waren Beschwerden über eine Gruppe, die sich nahe der Stadtbibliothek aufhielt.
Der Caritas-Direktor möchte nicht von der Hand weisen, dass es auch in der Solinger Innenstadt Menschen gibt, die sich schlicht rechtswidrig verhalten. In diesen Fällen müssten Polizei und Ordnungsamt durchgreifen. Auch wenn es um aggressives Betteln geht, komme die Sozialarbeit an ihre Grenzen. „Da steckt häufig ein ausbeuterisches System hinter, was es für uns schwierig macht“, erklärt Humburg. Seiner Einschätzung nach spielt dieses Phänomen in der Solinger Innenstadt aber eine nachrangige Rolle.
Ähnlich äußert sich die Stadt auf Anfrage. „In der Innenstadt gibt es nach unserer Beobachtung eine Hand voll Stellen, an denen wenige Menschen, oft Frauen, betteln.“Das sei jedoch in allen deutschen Großstädten so. Die Polizei bestätigt das. Zudem handele es sich nicht automatisch um aggressives Betteln, wenn Personen Passanten nach Geld fragen. Sollte es dabei jedoch zu Aufdringlichkeiten kommen, biete die Straßensatzung „sinnvolle
und wirksame rechtliche Instrumente“. Waldemar Gluch hofft, dass die auch zum Einsatz kommen. Im Gespräch mit Kollegen aus der Innenstadt habe er die Rückmeldung erhalten, dass das Problem mit aufdringlichen Bettlern zunimmt.
„Ich wünsche mir, dass die Stadt das aggressive Betteln unter Kontrolle bekommt“, sagt auch Sebastian Wadulla. Ihm sei zwar bewusst, dass sich nur ein kleiner Personenkreis problematisch verhält. Doch selbst diese geringe Zahl wirke sich negativ auf das Stadtbild aus. Das erschwere die Situation in der City, die ohnehin unter der Corona-Krise leidet, zusätzlich.
Eine erste, für ihn positive Entwicklung kann der Konditormeister vermelden. Unmittelbar vor seinem Café Kersting habe sich die Situation entspannt. Die Gruppe, die sich dort aufhielt, ist weitergezogen. „Einer der Jungs ist sogar ins Geschäft gekommen und hat sich entschuldigt.“Wirkung hat offensichtlich gezeigt, dass Ordnungsdezernent Jan Welzel (CDU) Kontakt zu den Männern hatte. Dies sei, erklärt die Stadt, möglicherweise „ein Hinweis darauf, dass man öfter zuerst einfach das persönliche Gespräch suchen sollte“.