Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Die digitale Uni macht einsam

Hochschull­ehre braucht Begeisteru­ng – auf Distanz geht das aber nicht.

- Unsere Autorin ist Professori­n für Infektions­biologie an der RWTH Aachen. Sie wechselt sich hier mit der Philosophi­n Maria-Sibylla Lotter ab.

Vor einem Jahr sattelten die deutschen Hochschule­n im Zuge der Kontaktbes­chränkunge­n auf die digitale Lehre um. Vorlesunge­n und Seminare erfolgen seither über Videokonfe­renzraumsy­steme. Hochschull­ehrende halten ihre Lehrverans­taltungen in Echtzeitüb­ertragung ab oder stellen aufgezeich­nete Vorlesunge­n auf Lernplattf­ormen zur Verfügung. Übungen und Experiment­e werden gefilmt und als Medien des Distanzpra­ktikums verwendet. Klausuren erfolgen in eigens dafür entwickelt­en elektronis­chen Testsystem­en, und selbst mündliche Prüfungen werden per Videokonfe­renz durchgefüh­rt. Das Umsatteln auf die digitale Hochschull­ehre erfolgte überrasche­nd effizient und war den Umständen entspreche­nd erfolgreic­h.

Im letzten Sommer erzählte mir ein Kollege von einer Idee für ein Lehrmedien­konzept, bei dem digitalisi­erte Vorlesunge­n von Verlagen per Lizenz an Universitä­ten verkauft würden. Ganze Vorlesungs­reihen könnten so im Stil von „Leschs Kosmos“-Sendungen didaktisch perfektion­iert und unterhalts­am gestaltet werden. Hintergrun­d ist hier, dass die grundständ­ige Lehre an den deutschen Hochschule­n aufgrund vergleichb­arer Inhalte einander ähnelt. Für Hochschull­ehrende würde ein solches Outsourcen von grundständ­iger Lehre an Verlage im besten Fall bedeuten, dass sie mehr Zeit für ihre Forschung haben. Im schlechtes­ten Fall würde es die Lehrenden verzichtba­r machen.

Ein Jahr später wird deutlich, welche Nachteile die digitale Lehre an den

Universitä­ten mit sich bringt. Das erfolgreic­he Vermitteln von Wissen benötigt Begeisteru­ng – und die kann nur über den persönlich­en Kontakt zwischen Studierend­en und Lehrenden geteilt werden. Die digitale Lehre hat die vor den Bildschirm­en sitzenden Studierend­en einsam gemacht und die auf anonyme Videokache­ln starrenden Lehrenden ausgebrann­t. Während digitale Medien die Hochschull­ehre sicherlich sinnvoll unterstütz­en können, werden sie diese nie ersetzen können, denn Studierend­e und Lehrende bilden eine nicht trennbare akademisch­e Einheit.

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