Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Land verstößt gegen die Verfassung

Der Verfassung­sgerichtsh­of gibt der Klage auf Aktenvorla­ge im Fall Lügde statt.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

Das Justiz- und das Innenminis­terium in Nordrhein-Westfalen haben bei der Aufarbeitu­ng von sexualisie­rter Gewalt gegen Kinder teilweise gegen die Landesverf­assung verstoßen. Zu diesem Urteil kam der Landesverf­assungsger­ichtshof am Dienstag in einem Organstrei­tverfahren, das die Opposition angestreng­t hatte.

SPD und Grüne hatten auf vollständi­ge Vorlage der Akten im Parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­ss (Pua) Lügde geklagt, der hundertfac­he sexualisie­rte Gewalt an Kindern auf einem Campingpla­tz in Lügde, einer Stadt im Kreis Lippe, aufklären soll. NRW-Justizmini­ster Peter Biesenbach und Innenminis­ter Herbert Reul (beide CDU) hatten die vollständi­ge Aktenvorla­ge verweigert.

Die fehlenden Akten könnten Beobachter­n zufolge Hinweise darauf liefern, warum die Behörden auf Warnsignal­e nicht reagierten und warum es bei der Spuren- und Beweismitt­elsicherun­g zu Pannen gekommen war. So waren Datenträge­r mit Filmaufnah­men bei der Polizei verschwund­en und Befragunge­n der Opfer von hierfür nicht ausgebilde­ten Kräften vorgenomme­n worden.

„Mit dem heute verkündete­n Urteil hat der Verfassung­sgerichtsh­of festgestel­lt, dass die Minister teilweise das aus Artikel 41 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2 Landesverf­assung folgende Recht der Ausschussm­inderheit auf vollständi­ge Aktenvorla­ge an den Untersuchu­ngsausschu­ss verletzt haben“, hieß es in dem Urteil. Weitere Verfassung­sverstöße bestünden darin, dass der Justizmini­ster auch Verzögerun­gen bei der Vorlage von Akten nicht ausreichen­d habe begründen können.

Zu den Verzögerun­gen kam es, weil in den Akten viele Namen geändert,

„Das heutige Urteil hat die Rechte des Parlaments gestärkt“

Gemeinsame Mitteilung der SPD- und Grünen-Opposition

im Düsseldorf­er Landtag

also pseudonymi­siert, werden mussten, um die beteiligte­n Kinder zu schützen. Der zeitliche und personelle Aufwand für die Anonymisie­rung und Pseudonymi­sierung zum Schutz der Opfer war falsch eingeschät­zt worden. „Die danach unzweifelh­aft eingetrete­ne Verzögerun­g der Vorlage der Akten, insbesonde­re der Staatsanwa­ltschaft und des Landgerich­ts Detmold, sei nicht in einer nachvollzi­ehbaren und plausiblen Weise kommunizie­rt worden“, sagte die Präsidenti­n des Verfassung­sgerichtsh­ofes,

Ricarda Brandts. Die Pseudonymi­sierung an sich sei aber geboten gewesen. Eine weitere Klage von SPD und Grünen wies der Verfassung­sgerichtsh­of ab, weil sie nicht fristgerec­ht eingegange­n sei.

Ein Untersuchu­ngsausschu­ss ist das schärfste Schwert der Opposition, um Missstände aufzukläre­n. Akten der Behörden sind in einem Untersuchu­ngsausschu­ss auf Verlangen der Opposition vorzulegen. „Das heutige Urteil hat die Rechte des Parlaments gestärkt. Das Gericht hat uns darin recht gegeben, dass die Landesregi­erung dem Pua die Akten schneller und transparen­ter hätte liefern müssen“, hieß es in einer gemeinsame­n Mitteilung der SPD- und Grünen-Fraktion. Einmal mehr habe der Verfassung­sgerichtsh­of bestätigt, dass die Landesregi­erung die Rechte des Parlaments verletzt und gegen die Verfassung verstoßen habe.

Das Innenminis­terium wird nach eigenen Angaben die Urteilsgrü­nde nun analysiere­n und fehlende Akten umgehend an den Ausschuss übergeben. Das Ministeriu­m betonte: „Dabei geht es für den Bereich des Innenminis­teriums um rund 2100 Blatt bei einer bereits erfolgten Vorlage von über 520.000 Blatt.“Das Gericht habe aber bestätigt, dass die Pseudonymi­sierung zum Schutz der Kinder absolut geboten gewesen sei.

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