Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Ein Anruf verändert alles

Der Prozess im Mordfall „Sandkuhle“hat mehr als 24 Jahre nach der Tat begonnen.

- VON STEPHAN MOHNE

Es ist der 28. August 2019. In Aachen zappt sich ein Mann durchs Programm. Beim ZDF läuft „Aktenzeich­en XY“. Die Sendung schaut er sonst nie. Es ist die Rede von einer furchtbar malträtier­ten, nackten Leiche, die im Dezember 1996 in einer stillgeleg­ten Kiesgrube in Schaephuys­en im Kreis Kleve gefunden wurde. Die Identität des Opfers oder des Täters wurde nie geklärt. Der Mann greift zum Telefon. Im Aufnahmest­udio nimmt eine Mitarbeite­rin ab. Der Mann sagt: „Es geht um den Toten in der Kiesgrube.“

Es ist ein Anruf, der einem ungelösten Fall, einem sogenannte­n Cold Case, eine entscheide­nde Wendung gibt. In mehrfacher Hinsicht. „Ich kann Ihnen sagen, wie der heißt und wo er wohnt“, sagt die Stimme am Telefon. Kalitz habe das Opfer geheißen, wohnhaft in der Frohnhofst­raße in Würselen. Er habe da Wohnmobile restaurier­t. Der Anrufer sagt auch: „Ich weiß, was damals passiert ist.“Und: „Glauben Sie mir, ich bin zweimillio­nenprozent­ig sicher. Ich weiß auch, wer es war.“Das belaste ihn seit 23 Jahren. Sein Bruder sei darin verwickelt. Und ein weiterer Mann, der noch auf freiem Fuß sei.

Dieser Mann, Achim K., sitzt nun nach all der Zeit im großen Saal des Aachener Landgerich­ts vor der Schwurgeri­chtskammer. Denn nach dem Anruf konnte die Mordkommis­sion der Krefelder Kripo den Toten tatsächlic­h als Wilfried Kalitz identifizi­eren. Von dem Anrufer bei „Aktenzeich­en XY“bekamen die Ermittler zu hören, dass einer der damaligen Täter sein Bruder Peter S. gewesen sei. Dieser starb wenige Monate nach der Tat, als er in der Türkei alkoholisi­ert einen Motorradun­fall hatte.

Zunächst habe aber Achim K. dem Anrufer erzählt, was Ende November 1996 geschehen sei. Es sei um die Übernahme des Hauses und eine Summe von 5000 D-Mark gegangen. Peter S. – er saß zuvor bereits wegen eines Raubüberfa­lls auf ein wohlhabend­es Ehepaar im Gefängnis – habe dann mit einem

Hammer auf das Opfer eingeschla­gen und es mit einem Seil erdrosselt. Die Leiche habe man später in einen Teppich gerollt und zu der entlegenen Kiesgrube gefahren. Der „XY“-Anrufer habe schließlic­h auch seinen Bruder mit dieser Version konfrontie­rt. Zunächst habe dieser nichts sagen wollen, dann aber deckungsgl­eich die Tat eingeräumt.

Vor allem auf dieser Zeugenauss­age fußt die Anklage, die der Staatsanwa­lt am ersten Prozesstag vorträgt. Achim K. lässt seine Verteidige­r vortragen, dass er sich vorerst weder zu seiner Person noch zu den Vorwürfen äußern wird. Aus gutem Grund. Beweise gibt es nicht, nur Indizien. An der Leiche wurden damals keine DNA-Spuren gefunden. Auch die Suche nach handfesten Belegen nach Wiederaufn­ahme der Ermittlung­en brachte nach fast einem Vierteljah­rhundert nichts zutage.

Was haben die Ermittler sonst noch? Sie haben sich immer gefragt, wie man auf diese für Ortsunkund­ige kaum zu findende Kiesgrube komme. Was zu einem weiteren Indiz führt: Peter S. lebte als Kind unweit davon entfernt und spielte dort. An diesem Mittwoch tritt der Hauptbelas­tungszeuge in den Zeugenstan­d. Der Mann, der im August 2019 bei „Aktenzeich­en XY“anrief, den Cold Case auftaute und den Fall erst richtig ins Rollen brachte.

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FOTO: DPA Der Angeklagte (r.) spricht vor Gericht mit seinem Anwalt.

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