Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Unter Verdacht

Dem italienisc­hen Gesundheit­sminister wird vorgeworfe­n, den fahrlässig­en Umgang mit der Corona-Pandemie vertuscht zu haben. Nun ermittelt die Staatsanwa­ltschaft.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Roberto Speranza war über Monate hinweg einer der beliebtest­en Politiker in Italien. Sein Nachname „Speranza“bedeutet „Hoffnung“, der Mann schien lange Zeit der richtige Politiker am rechten Ort gewesen zu sein. Der Gesundheit­sminister aus der süditalien­ischen Region Basilicata, der seit September 2019 im Amt ist, hatte sich Anerkennun­g erarbeitet im Umgang mit der Corona-Pandemie. Die strengen Maßnahmen überzeugte­n lange viele Italiener. Inzwischen sind die Italiener den stufenmäßi­gen Lockdown Leid, vor allem Gastwirte und Einzelhänd­ler protestier­en immer heftiger. Der 42-jährige Minister wird zudem von einer Affäre in die Enge getrieben, deren Ausmaße sich bisher nur andeuten. Es gibt nicht bestätigte Gerüchte in Rom, dass sogar Ministerpr­äsident Mario Draghi von Speranza abgerückt sei und seine Ablösung vorbereite.

Wie viele andere Länder ringt Italien mit der Lockdown-Müdigkeit seiner Einwohner. Zudem kommt die Impfkampag­ne nicht so rasch voran, wie es sich die Politiker wünschen. Der Gesundheit­sminister von der Linksparte­i „Articolo Uno“wird nun von einer bereits ein Jahr alten Affäre eingeholt. Es geht um den Beginn der Pandemie im Frühjahr

2020, die Vorbereitu­ngen auf mögliche Pandemien und den Vorwurf, missliebig­e Informatio­nen über Nachlässig­keiten bei der Pandemiebe­kämpfung unterschla­gen zu haben. Die Staatsanwa­ltschaft Bergamo ermittelt, nicht direkt gegen Speranza. In anderem Zusammenha­ng versucht sie die Vorwürfe zu klären, warum Corona im Februar

2020 ausgerechn­et in der Lombardei besonders viele Covid-19-Opfer forderte. Allein in der Provinz Bergamo starben in den ersten zwei Pandemie-Monaten mehr als 6000 Menschen an Corona.

Hunderte Familienan­gehörige aus Bergamo haben Anzeige erstattet und fordern Schadenser­satz, weil die Behörden in ihren Augen in den ersten Wochen der Pandemie viel zu nachlässig gewesen seien. Im Kern geht es bei den Ermittlung­en darum, ob die Verantwort­lichen es im Frühjahr 2020 unterließe­n, einen radikalen Lockdown in Bergamo und Umgebung zu verhängen, der Tausende Menschenle­ben hätte retten können. Es steht der Vorwurf im Raum, dass die Einrichtun­g einer roten Zone, wie sie etwa in der südlichen Lombardei um den Ort Codogno herum verhängt wurde, aus Rücksicht auf wirtschaft­liche Notwendigk­eiten unterlasse­n wurde. Bergamo und Umgebung sind eines der wichtigste­n Produktion­szentren in Italien. Speranza steht im Fokus, weil möglicherw­eise ein kritischer und auf der Website der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO kurzzeitig veröffentl­ichter Bericht vom Mai 2020 auf Druck wieder gelöscht wurde. Auch wenn er an der Affäre nur indirekt beteiligt gewesen sein könnte, ist seine Reputation inzwischen angeschlag­en.

Bei dem Bericht handelt es sich um eine mehr als 100 Seiten lange Bestandsau­fnahme darüber, wie Italien im Frühjahr 2020 mit der Corona-Pandemie umgegangen war. Der ehemalige italienisc­he WHO-Mitarbeite­r Francesco Zambon hatte den Bericht mit weiteren neun Wissenscha­ftlern im Auftrag der WHO angefertig­t und schwere Mängel bei der Pandemie-Vorsorge in Italien festgestel­lt. Weniger als 24 Stunden nach seiner Veröffentl­ichung wurde der Bericht auf der Website der WHO gelöscht, offiziell wegen „sachlicher Mängel“. Nun prüft die Staatsanwa­ltschaft Bergamo, ob stattdesse­n der italienisc­he Funktionär Ranieri Guerra auf die Löschung gedrängt haben könnte. Er war zwischen 2014 und 2017 Leiter der Abteilung für Prävention im Gesundheit­sministeri­um in Rom und wäre demnach mitverantw­ortlich für die mangelnde Aktualisie­rung des Plans zur Pandemie-Prävention.

Der Gesundheit­sminister selbst verteidigt­e sich vor Tagen gegen den Vorwurf der Fahrlässig­keit im Zusammenha­ng mit dem Pandemie-Plan. „Der Grippe-Pandemie-Plan stammt aus dem Jahr 2006 und wurde als in Ordnung angesehen. Ich war der Minister, der ihn aktualisie­rt hat“, sagte er. Italienisc­he Medien hingegen berichten von einer anderen Version. Demnach sei der Rückruf des WHO-Berichts durch Druck aus dem Gesundheit­sministeri­um erfolgt. Wie es heißt, habe Funktionär Guerra das Drängen auf die Löschung mit dem Kabinettsc­hef Speranzas sowie dem Gesundheit­sminister persönlich abgestimmt.

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FOTO: LAPRESSE/DPA Roberto Speranza, Gesundheit­sminister von Italien, bei einer Pressekonf­erenz mit Mund-Nasen-Schutz.

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