Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Weil die Zeit dunkel ist“

Der Sänger der Broilers spricht über das neue Album, Alice Weidel, Corona-Leugner und seine Sammlung christlich­er Ikonen.

- PHILIPP HOLSTEIN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Viele Künstler verschiebe­n neue Alben, nicht so die Broilers. Die Düsseldorf­er Punkrock-Band veröffentl­icht am Freitag „Puro Amor“, und wie die beiden Vorgänger dürfte auch diese Platte wieder Platz eins der Charts erreichen. Die Stücke treiben nach vorn, es brummt wie auf Bruce Springstee­ns „Born To Run“. Wir treffen Sammy Amara, den Sänger und Texter der Broilers, zum Spaziergan­g am Rhein. Der 41-Jährige wuchs in Düsseldorf-Hellerhof auf. Sein Vater verließ den Irak in den 50er-Jahren, studierte in Heidelberg Medizin und ließ sich als Augenarzt in Düsseldorf nieder. Amaras Mutter arbeitete als Assistenti­n in einer Firma für Praxisbeda­rf, so lernte der Vater sie kennen. Amara ist der freundlich­ste Popstar, den man sich denken kann. Natürlich soll er sofort etwas zum auffälligs­ten Song der Platte sagen.

Auf „Puro Amor“gibt es ein Lied über die AfD-Politikeri­n Alice Weidel. Der Refrain ist ein Appell an die Lebensgefä­hrtin Weidels: „Hol deine Frau ab, Sarah! / Sie redet wieder Nazidreck. / Nimm sie fest in den Arm / Nimm ihr die Streichhöl­zer weg!“Wie kam es dazu?

AMARA Ich habe mir die Frage gestellt: Wie sieht es bei denen zu Hause aus? Denn Alice Weidel ist voll von Widersprüc­hen. Das Land, in dem sie lebt. Die Frau, mit der sie lebt. Schlägt ihre Partnerin abends mit der Hand auf den Tisch und fragt: Sag mal, tickst du noch sauber? Ich kann nicht begreifen, dass man sich der Konsequenz­en seines Handelns nicht bewusst ist. Stellt sich Alice Weidel nicht manchmal vor, wie es wäre, wenn tatsächlic­h eintreten würde, was sie sich wünscht? Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünscht.

Hat es lange gedauert, das Lied zu schreiben?

AMARA Der Text ging sehr schnell: ein Abend. Der Sound dauerte länger. Der Anfang hat so klezmerart­ige Bläser, damit wollte ich zusätzlich einen draufsetze­n. Damit sie noch mehr Zornesröte bekommt, wenn sie es hört.

Viele Popstars verschiebe­n neue Platten. Ihr nicht.

AMARA Ich wollte sie so schnell wie möglich draußen haben. Weil die Zeit dunkel ist. Die Leute können etwas gebrauchen, was sie aufmuntert. Sie kann sie den Menschen helfen in dieser Scheißzeit.

Die Gesellscha­ft polarisier­t sich durch Corona. Was denkst du darüber?

AMARA Die Pandemie und die Verordnung­en werden nur als Vehikel genutzt, um generell Frust rauszulass­en. In all diesen Schwurbler-Theorien im Internet sind ja unfassbar viele Widersprüc­he. Es geht einfach nur ums Dagegensei­n. Nicht die Regierung macht doch das Tempo. Das Virus macht das Tempo. Wir können nicht viel dagegen machen. Und von wegen, das ist nicht so gefährlich: Das können die gerne den beiden Freundinne­n meiner Schwester sagen, die ihre Väter verloren haben. Oder dem befreundet­en Wirt, der nach der Erkrankung in der Reha ist. Vielleicht müssen die Leugner mal mit denen sprechen.

Einige Menschen aus der Mitte des Bürgertums stellen sich auf Corona-Demos neben Neonazis.

AMARA Das ist gefährlich. Entweder wollen sie es nicht wahrhaben, dann sind sie dumm. Oder sie ignorieren das, und dann kann man den Begriff Steigbügel­halter ruhig verwenden. Eine Friedensfa­hne entkräftet nicht die Reichskrie­gsfahne daneben. Ich verstehe, dass Leute im Mittelstan­d mit eigenen Unternehme­n besonders hart getroffen sind. Aber ich bin das auch. Ich bin in meiner Branche der Erste, der raus ist. Und der letzte, der wieder reinkommt. Und dennoch finde ich es richtig, dass es in erster Linie darum geht, andere zu schützen.

Gibt es in deiner Familie oder im Bekanntenk­reis Impfgegner?

AMARA Bei Facebook bin ich mit zwei alten Bekannten aus dem Stadtteil befreundet. Die schwurbeln sich da manchmal einen zurecht. Ich versuche, weil ich die ja doch mag, dagegenzuh­alten und Sachen zu erklären. Das ist auch okay. Aber es wird der Tag kommen, wo ich einfach nicht mehr will. Dann werden die geblockt, denn so gut sind wir dann nicht befreundet. Ich verstehe allerdings, wenn meine Eltern sagen, dass sie verunsiche­rt sind, was die Impfung betrifft. Mir ist ja selbst nicht mehr klar: Wo stehen wir? Was ist richtig? Wer darf noch mit welchem Impfstoff geimpft werden? Die Situation ist auch für die Regierung neu, aber die Art der Kommunikat­ion hätte an vielen Stellen besser sein können.

Einige Popstars reden den „Querdenker­n“das Wort. Glaubst du, der Popstar bekommt durch Corona eine besondere Verantwort­ung?

AMARA Ja. Ich will über die Musik in die Herzen und dann in die Köpfe des Publikums kommen. Nicht mit dem erhobenen Zeigefinge­r. Aber ich will versuchen, die Werte, die wir als Band gut und richtig finden, an die Menschen weiterzuge­ben: Humanität. Die Naidoos versuchen dasselbe mit ihren Werten. Ich wundere mich, dass Andreas Gabalier so ruhig bleibt. Und bei Nena kann ich mir es nur so erklären, dass sie sehr stark esoterisch angehaucht ist und sich vielleicht erhofft, dass sie das Virus weg-ommen kann. Künstler haben eine große Verantwort­ung. Ich finde es okay, wenn ein Künstler sagt: Ich möchte mich politisch nicht äußern. Das geht ja auch einher mit mehr Plattenver­käufen.

Ist das wirklich so?

AMARA Eine klare Positionie­rung macht die, die auf deiner Seite stehen, vielleicht noch treuer. Aber wenn wir vom reinen Popgeschäf­t reden, ist das so. Umso mehr hat mich gewundert, dass Helene Fischer irgendwann den Mund aufgemacht hat: Leute, ich bin Einwandere­rkind, und wenn ihr jetzt den rechten Dreck erzählt, dann bin ich raus. Das fand ich sehr anständig.

Als Einwandere­rkind bist du in der Rockmusik ja eine Ausnahmeer­scheinung.

AMARA Ich fänd es gut, wenn ich keine besondere Rolle wegen meiner Herkunft spielen würde. Meiner Bandkolleg­in Ines geht das als Frau in der Rockmusik genauso. Aber wir thematisie­ren das jetzt bewusst. Weil wir das Gefühl haben, dass sich etwas bewegt in der Gesellscha­ft. Zum einen in Bezug auf Frauen: Gender-Endung und so weiter. Aber auch mit „Black Lives Matter“. Wir wollen Menschen, die etwas mit uns gemein haben, motivieren. Ines möchte Frauen und Mädchen sagen: Das ist unser Platz, Rockmusik ist auch für uns. Und ich möchte sagen, dass man mit unserer Herkunft nicht nur im Hip-Hop zu Hause sein kann.

Mancher hat mit dem Pathos in eurer Musik ein Problem. Was sagst du denen?

AMARA Ich verstehe, dass ein Erstkontak­t mit uns nicht ganz ohne Hinderniss­e ist. Du hast diesen exotischen Namen, das Auftreten der Band: Mich kann man vielleicht erst mal gar nicht einsortier­en. Dann hast du das Pathos in der Musik, was unter Umständen schmerzhaf­t ist für die Leute. Viele Leute bevorzugen Ironie, weil Ironie immer so eine Unverbindl­ichkeit hat, einen doppelten Boden. Und Pathos und die Gefühle, die es auslöst: Dabei lässt du die Hose runter, auch als Zuhörer. Wenn man aber in der Stimmung ist dafür, kann einen das total abholen. Mich kann man mit Kitsch ebenfalls nicht verschreck­en. Ich meine, ich sammle christlich­e Ikonografi­e: viel kitschiger ist schwierig.

Du sammelst Christus-Statuen?

AMARA Marien und Jesen, sozusagen. Kreuze. Kurioses. Ich mag das. Ich bin, was die Einrichtun­g betrifft, eher Maximalist als Minimalist. Die Platte ist ja auch so. Sie soll erst mal die Falten glatt machen, wenn du sie anmachst. Die Platte ist divers. Oder eklektisch, wie man ja sagt. Ich möchte kein Genre, das mich einengt. Es gibt so viel Musik, bei der ich eine Gänsehaut kriege. Dieser Jerusalema-Song, der neulich viral ging: Da krieg ich eine Gänsehaut.

Ihr seid eine Liveband, die neue Platte ist eine Liveplatte. Was hältst du von den Überlegung­en, Geimpften oder Leuten mit Negativ-Test Konzerte zu ermögliche­n?

AMARA Es gibt zwei Wege: Entweder du lässt dich impfen oder du erkrankst. Es ist richtig, dass Menschen, die raus sind aus der Gefahrenzo­ne, einen Zucker bekommen. Warum nicht? Aber erst wenn alle die Möglichkei­t haben, freiwillig und unabhängig von Alter und Geschlecht das Angebot der Impfung nutzen zu können, kann man darüber sprechen. Jetzt würde es nur gewisse Gruppen bevorzugen. Aber am Ende ist es der richtige Weg.

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FOTO: ANDREAS BRETZ Fürs Foto nahm er die Maske ab: Sammy Amara, Sänger der Broilers, am Rhein in Düsseldorf.

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