Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Die Innenstadt ist Corona-Hotspot
Eine Corona-Infektion ist in Remscheid auch eine Frage der sozialen Verhältnisse.
Die Beisetzung eines stadtbekannten Fußballers ließ Ordnungsamt und Polizei am 22. Februar zur Moschee in Stachelhausen ausrücken. Beide mochten nicht ausschließen, dass sich dort mehr Gläubige zum Gebet versammeln, als es in der Corona-Pandemie erlaubt ist. Doch, sagt Stefan Weiand, Sprecher des Wuppertaler Präsidiums, mit Blick in den Bericht der damals eingesetzten Kollegen: „Wir haben keine Maßnahmen treffen müssen. Alles verlief sehr diszipliniert.“Am vergangenen Freitag kam es dann zum nächsten Einsatz am Gotteshaus der türkischen Ditib-Gemeinde. Nach dem Freitagsgebet sollen Gläubige die Abstandsregeln nicht eingehalten haben.
Es sind solche Ereignisse, die die Gerüchteküche befeuern. „Trifft es zu, dass die Corona-Zahlen in Remscheid auf eine arabische Veranstaltung mit vielen Infizierungen zurückgehen?“, hieß eine Frage, die an die Redaktion herangetragen wurde. Nein, sagt dazu Oberbürgermeister Burkhard Mast-Weisz (SPD). Ein solches Großereignis hat es nach Informationen der Ordnungsbehörden nicht gegeben. Die Moscheevereine verhielten sich in der Ausgangssperre, die ihnen das abendliche Fastenbrechen versagt, kooperativ. „Alle tragen das mit“, sagt Mast-Weisz.
Zugleich, das erfuhr die Redaktion aus zuverlässiger Quelle, haben seine kommunalen Ordnungshüter innerhalb der arabisch- und türkischstämmigen Community jedoch auch mit massiven Akzeptanzproblemen gegenüber den geltenden Corona-Schutzmaßnahmen zu kämpfen. Und, auch das erfuhr die Redaktion nur hinter vorgehaltener Hand: Im Gesundheitsamt bekommen es die Freiwilligen am Telefon bei der Kontaktnachverfolgung in mehr als der Hälfte aller Fälle mit ausländischen Familien zu tun. Tatsächlich muss ein Großteil dieser Menschen in der Pandemie als besonders gefährdet gelten.
Nach allem Wissen der Virologen gilt: Je größer ein Familienverbund und je beengter die Lebensverhältnisse, desto einfacher hat es das Virus. Es verwundert deshalb nicht, dass nach Lage der Daten, die dem Krisenstab vorliegen, die Innenstadt der Hotspot in Remscheid ist. In keinem anderen Stadtteil leben ähnlich viele Menschen in kleinen Wohnungen. Und in keinem anderen Stadtteil leben so viele Menschen, für die das Leben in der Familie von besonderer Bedeutung ist. Handeln Menschen mit Migrationshintergrund deshalb unverantwortlicher als andere? Sind sie gar häufiger Coronaleugner und Treiber der Pandemie? Nein, sagt der OB. Nein, sagen auch die Mediziner. Von den 30 Intensivbetten, die das Sana vorhält, waren laut Robert Koch-Institut am Dienstag 29 belegt. Auch in der Solinger Fachklinik Bethanien werden Remscheider mit Covid-19 behandelt. Ihr Chefarzt Prof. Dr. Winfried Randerath betont: Die Zahl der Patienten mit Migrationshintergrund ist nicht signifikant höher als ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung.
Als Wohnquartiere mit einem vergleichsweise geringen Infektionsgeschehen gelten übrigens Hackenberg und Henkelshof in Lennep. Auch dort leben Menschen mit Migrationshintergrund, aber eben nicht in ähnlichen Wohn- und Lebensverhältnissen wie zum Beispiel in Honsberg oder Stachelhausen.
Die Virus-Verbreitung hat danach weniger mit ethnischer Herkunft zu tun, sondern sie hat vor allem soziale Ursachen. „Corona-Leugner und Ignoranten gibt es quer durch alle Bevölkerungsgruppen“, sagt MastWeisz. Dass bei dem jüngsten Autokorso als Protest gegen die Schutzmaßnahmen auch türkische Fahnen im Fahrtwind flatterten, wundert ihn deshalb nicht. „Haltung ist keine Frage von Nationalität, sondern eine Frage des Charakters.“