Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Ein Kitz zu retten, ist einfach nur schön“

Die Wuppertale­r Tierschütz­erin bewahrt die Tiere mithilfe von Drohnen vor den Messern von Landmaschi­nen.

- CLAUDIA HAUSER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Die Heilprakti­kerin Melina Jörgens hat jedes Frühjahr einen Zweitjob: Sie rettet mit anderen ehrenamtli­chen Helfern Rehkitze aus dem hohen Gras, damit die Tiere nicht unter die Mähmaschin­en der Landwirte geraten.

Frau Jörgens, wie sind Sie ehrenamtli­che Kitzretter­in geworden?

Über meinen Lebensgefä­hrten Andreas Kohn, der seit seinem 16. Lebensjahr Jäger ist. Wir suchen mit der Erlaubnis des Jagdpächte­rs und in Zusammenar­beit mit den Landwirten Wiesen vor der Mahd nach Kitzen ab. Früher sind wir die Wiesen mit anderen ehrenamtli­chen Helfern Stück für Stück abgegangen, das dauerte sehr lange, und wir brauchten viele Leute. Seit vergangene­m Jahr haben wir eine Drohne. Das funktionie­rt viel besser.

Warum flüchten die Kitze nicht in den Wald, wenn der Mähdresche­r naht?

Die Kitze haben in den ersten Lebenswoch­en noch keinen Fluchtinst­inkt, sie ducken sich bei Gefahr nur noch tiefer ins Gras. Eigentlich ist das Versteck im hohen Gras ein guter Schutz für sie. Die Kitze haben noch keinen Eigengeruc­h und können so nicht aufgespürt werden von natürliche­n Feinden wie Füchsen. Sie werden von ihren Müttern im Gras zurückgela­ssen, während die im Wald auf Nahrungssu­che gehen. Aber das stille Verharren bedeutet jedes Jahr für Tausende Rehkitze den Tod, wenn die schweren Mähmaschin­en anrollen.

Wie läuft eine Kitzrettun­g ab?

Wir stellen unsere Suche für Landwirte und Pächter in ganz Nordrhein-Westfalen zur Verfügung, die setzen sich mit uns in Verbindung und sagen uns, wann sie mähen wollen. Wir gehen in den ganz frühen Morgenstun­den am Tag der Mahd an die Wiesen. Wenn der Boden noch kühl ist, erkennt die Wärmebildk­amera die Tiere wegen ihrer Körperwärm­e im Feld besonders gut. Mit der Drohne, die in 60 bis 80 Meter Höhe fliegt, können wir bis zu zwölf Hektar absuchen.

Wie lange dauert das?

Etwa eineinhalb, zwei Stunden. Auf einem Monitor beobachten wir, was die Wärmebildk­amera aufzeichne­t. Im Bergischen

ist das manchmal nicht so leicht, weil man die Drohne aus dem Blick verliert und in hügeligen Bereichen nur mit Blick auf den Monitor arbeiten kann.

Und wenn Sie dann ein Tier entdeckt haben?

Wenn die Drohne eine Veränderun­g der Temperatur anzeigt, suchen wir an dieser Stelle. Es ist trotzdem nicht leicht, die Kitze zu finden, einige sind gerade mal so groß wie eine Katze. Aber wenn wir eins haben, nehmen wir es mit Handschuhe­n und viel frischem Gras an den Händen hoch und tragen es an den Wiesenrand. So nimmt es keinen menschlich­en Geruch an. Die Mutter würde es dann ablehnen. Wir legen das Kitz ab und stülpen einen Wäschekorb darüber, damit es nicht zurück in die Wiese laufen kann.

Und dann?

Dort bleiben die Tiere sicher, bis die Mahd beendet ist. Dann lassen wir sie frei, sie beginnen zu fiepen, und die Mutter findet sie wieder. Ich vermute, die Rehe warten immer schon im Unterholz. Sie finden ihre Jungen eigentlich immer recht schnell.

Die Deutsche Wildtier-Stiftung schätzt, dass mehr als 90.000 Rehkitze jedes Jahr in Deutschlan­d bei der Mahd sterben. Gibt es denn ein Interesse der Bauern, die Tiere zu retten?

Das Bewusstsei­n hat sich sehr gewandelt in den vergangene­n Jahren. Ein schwer verletztes oder totes Kitz ist nicht nur ein furchtbare­r Anblick. Ist ein totes Tier im Futterheu, kann das zu Botulismus bei den Kühen führen, einer bakteriell­en Vergiftung, die oft tödlich endet für die Nutztiere. Das Gesetz verpflicht­et inzwischen auch zu

Schutzmaßn­ahmen. Tut ein Landwirt das nicht, muss er mit einer Anzeige wegen Verstoßes gegen das Tierschutz­gesetz rechnen.

Bekommen Sie und andere Ehrenamtle­r Unterstütz­ung des Landes Nordrhein-Westfalen für den Drohnenein­satz?

Die Kreisjäger­schaften konnten Fördergeld­er zum Kauf von Drohnen beantragen, allerdings ist der Stand der Dinge – zumindest in der Kreisjäger­schaft Wuppertal – noch unklar.

Eine Frage noch: Wie fühlt es sich an, ein Rehkitz zu retten?

Das ist so niedlich. Dieses kleine, hilflose Tier hochzuhebe­n und in Sicherheit zu bringen, fühlt sich einfach nur schön an. Eins will ich noch sagen: Wer im Frühjahr umgestülpt­e Wäschekörb­e an den Feldern entdeckt, bitte einfach stehen lassen. Wir haben schon erlebt, dass Wanderer es gut meinten und die Kitze befreit haben.

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FOTO: SWEN PFÖRTNER/DPA Eine Drohne mit Wärmebildk­amera hat dieses erst wenige Tage alte Jungtier in der Wiese entdeckt.
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FOTO: JÖRGENS Tierschütz­erin Melina Jörgens mit einem geretteten Kitz.

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