Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Tschechien­s Ultimatum an Moskau

Agenten des Kreml sollen in Ostmähren zwei Munitionsd­epots gesprengt haben.

- VON ULRICH KRÖKEL

Jakub Kulhanek ist ein unscheinba­rer Mann: 36 Jahre alt, schmächtig, oft blass um die Nase, mit dünnem blondem Haar. Man vermutet in diesem Kulhanek vieles, nur keinen Karrieredi­plomaten auf der Überholspu­r. Doch dieser Mann führt seit Mittwoch das tschechisc­he Außenminis­terium. Er hat in Washington internatio­nale Beziehunge­n studiert und früh exekutive Erfahrunge­n im Sicherheit­sapparat gesammelt. Solch ein Mensch ist auf vieles vorbereite­t. Aber kann er auch „Kalten Krieg“mit dem Kreml?

Diese Frage stellt sich Tschechien seit Mittwoch eindringli­ch. Denn Kulhanek ist erst wenige Stunden im Amt, als er vor die Mikrofone tritt und die Weltmacht Russland mit einem Ultimatum herausford­ert. Die Regierung in Moskau müsse bis Donnerstag, 12 Uhr, alle 20 zuvor ausgewiese­nen tschechisc­hen Botschafts­mitarbeite­r wieder ins Land lassen. Andernfall­s werde er, Jakub Kulhanek, dafür sorgen, dass die Zahl der russischen Diplomaten in Prag weiter zurechtges­tutzt werde.

Faktisch käme das dem Aus für Moskaus Botschaft an der Moldau gleich. Denn Tschechien hatte zuvor bereits 18 russische Diplomaten ausgewiese­n, wegen angebliche­r Spionagetä­tigkeit. Auf diesen „feindselig­en Akt“wiederum reagierte der Kreml hart und legte die tschechisc­he Botschaft in Moskau lahm. Das russische Außenminis­terium weist das Ultimatum zurück. In Moskau wird der tschechisc­he Botschafte­r einbestell­t. Zuvor sagt Außenminis­ter Sergej Lawrow noch: „Im Gespräch mit Russland ist solch ein Tonfall unzulässig.“

Kulhanek hat offenbar eine rote Linie überschrit­ten, wenn auch vorerst „nur“auf diplomatis­cher Ebene. Doch der tschechisc­h-russische Streit hat einen viel brisantere­n Hintergrun­d. Es geht um Spionage und Sabotage, Waffenhand­el und einen „abscheulic­hen terroristi­schen Akt“, wie es der tschechisc­he Premier Andrej Babis formuliert. Die Geschichte nimmt im Herbst 2014 ihren Lauf, als zwei Mitarbeite­r des russischen Auslandgeh­eimdienste­s GRU in das malerische, aber keineswegs harmlose mährische Dorf Vrbetice reisten. Dort gibt es nicht nur ausgedehnt­e Wälder, sondern auch zwei

Munitionsd­epots. In den Hallen lagert Kriegsmate­rial, vor allem Maschineng­ewehre und Artillerie­geschosse. Eigentümer ist laut den Recherchen internatio­naler Reporterne­tzwerke der bulgarisch­e Waffenhänd­ler Emilian Gebrew. Die explosive Lieferung will er in die Ukraine weiterverk­aufen, in den Donbass, wo die Armee gegen prorussisc­he Separatist­en kämpft. Doch die Waffen kommen nie an. Die Depots in Vrbetice fliegen im Herbst 2014 in die Luft. Zwei Menschen sterben.

Spezialist­en des Militärs brauchen zwei Jahre, um die Trümmer von Blindgänge­rn zu trennen und den Schutt zu beseitigen. Mehr als sechs Jahre brauchen tschechisc­he Sonderermi­ttler, um die Tat jenen beiden russischen GRU-Agenten zuzuweisen. Heute gebe es „eindeutige Belege“, so sagt es Premier Babis. Demnach sollen die beiden GRU-Mitarbeite­r jene Agenten der berüchtigt­en Spezialein­heit 29155 sein, die 2018 mit dem Nervengift Nowitschok einen Anschlag auf den russischen Ex-Spion Sergej Skripal in England verübt haben sollen. Die tschechisc­hen Behörden verfügen über Pässe, Fotos und anderes Material, das belegen soll, dass dieselben Männer im Herbst 2014 nach Vrbetice gereist sind.

Ein weiteres Indiz: Der bulgarisch­e Waffenhänd­ler Gebrew entgeht 2015 nur knapp einem Anschlag mit Nowitschok. 2020 kommt das Nervengift bei Nawalny zum Einsatz.

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FOTO: AP Tschechien­s Außenminis­ter Jakub Kulhanek mit klarer Ansage.

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