Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Das Geschäft bei Accuride brummt
Die Produktion von Pkw-Rädern wurde eingestellt. Das Werk an der Weyerstraße konzentriert sich auf Lkw-Räder.
In dieser Woche hat ein Stück Solinger Industriegeschichte sein Ende gefunden. Am Accuride-Standort an der Weyerstraße wurden die letzten Pkw-Räder produziert. Die komplette Fertigungslinie hat keine Zukunft.
„Das war ganz schön emotional“, berichtet Produktionsleiterin Jessica Scharlau von der letzten Schicht. Viel Zeit für Trauer bleibt im Unternehmen jedoch nicht. Denn still stehen die Maschinen im ehemaligen Kronprinz-Werk nicht. Im Gegenteil: Das Geschäft brummt. „Alle Pfeile zeigen nach oben“, sagt Markus Ley. Er ist seit Dezember
2019 Geschäftsführer der Accuride Wheels Solingen GmbH.
Diese Entwicklung war vor zwei Jahren kaum absehbar. Im April
2019 berichteten wir von Plänen für einen Stellenabbau. Letztlich fand man der 32-jährigen Scharlau zufolge für einige Mitarbeiter eine Vorruhestandsregelung. Im Jahr zuvor hatte das US-amerikanische Unternehmen Accuride den Kronprinz-Mutterkonzern Mefro Wheels übernommen.
Die Schließung der Fertigungslinie für Pkw-Räder geht nicht mit Kündigungen einher. Hinter dem Schritt steckt seitens Accuride vielmehr die Strategie, seine Standorte in Europa und Asien zu spezialisieren. Das Werk im französischen Troyes legt den Fokus auf Pkw-Räder, während am Standort Solingen zukünftig ausschließlich für Lkw produziert wird.
„Das ist ein absolut sinnvoller Schritt“, ist Jessica Scharlau überzeugt. Zum einen sei die Nachfrage für Pkw-Stahlräder rückläufig. Auf der anderen Seite boomt der LkwMarkt. Ursprünglich war der Accuride-Plan, 2021 in Solingen 1,4 Millionen Lkw-Räder herzustellen. Inzwischen läuft es auf 1,9 Millionen hinaus. Das führt Markus Ley unter anderem auf die gestiegene Relevanz des Online-Handels zurück. Die Produkte müssen schließlich zum Empfänger gelangen. „Momentan kommen wir vor Aufträgen kaum hinterher“, erklärt Ley. Kurzarbeit sei nur zu Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 für wenige Wochen ein Thema gewesen.
Aktuellen Prognosen zufolge wird sich dieser Trend fortsetzen. Im kommenden Jahr könnte die produzierte Stückzahl auf mehr als 2 Millionen steigen. Und damit der Personalbedarf. An der Weyerstraße sind derzeit rund 125 Personen in Accurides Europa-Zentrale beschäftigt.
Im benachbarten Werk hat sich die Zahl bei knapp 300 stabilisiert. In drei Schichten arbeiten die Mitarbeiter rund um die Uhr. Ley rechnet damit, dass in der Fertigung in den kommenden Jahren 20 bis 30 zusätzliche Kräfte benötigt werden. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, plant das Unternehmen, im kommenden Herbst neue Azubis einzustellen. Ausbildung spiele weiterhin eine wichtige Rolle, obwohl die betriebseigene Lehrwerkstatt aus Kostengründen nicht mehr existiert.
Jessica Scharlau und Markus Ley versprühen Optimismus: „Wir bewegen uns aus einer Talsohle nach oben.“Doch in den weitläufigen Hallen an der Weyerstraße war in dieser Woche auch Wehmut zu spüren. „Für meine Kollegen und mich war das natürlich ein trauriger Moment“, sagt Aleksander Schmelter. Seit er vor 40 Jahren mit seiner Familie von Polen nach Solingen gezogen ist, stellte der Meister bei Kronprinz beziehungsweise Accuride Pkw-Räder her. Er verantwortete die geschlossene Fertigungslinie.
1903 meldete das Unternehmen ein Pkw-Stahlrad mit abnehmbarer Felge zum Patent an. „In Spitzenzeiten haben wir bis zu 30 000 Pkw-Räder pro Tag gemacht“, berichtet Schmelter.
Der 60-Jährige, seine Kollegen und Accuride richten den Blick jedoch nach vorne. Bereits in der kommenden Woche nimmt eine neue Fertigungslinie den Betrieb auf. Produziert werden Räder für leichte Nutzfahrzeuge. Für Markus Ley beweist dieser Schritt, „dass sich die Einstellung des Konzerns zum Werk geändert hat“. „Wir spüren das Vertrauen – und unsere Mitarbeiter liefern“, betont der Geschäftsführer. Bisher war die neue Anlage im Accuride-Werk in Ebersbach im Einsatz. Der Standort wurde im vergangenen Jahr geschlossen.