Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

KLÄRANLAGE­N

In der Itter sind Reste von Arzneimitt­eln gefunden worden – drei- bis fünfmal mehr als in anderen Gewässern. Deshalb sollen die Klärwerke in Gräfrath und Ohligs bis 2033 und Hilden bis 2039 eine vierte Reinigungs­stufe erhalten.

- VON CHRISTOPH SCHMIDT

Arzneimitt­el-Rückstände im Itterwasse­r.

Bereits im Jahr 2016/17 hat der Bergisch-Rheinische Wasserverb­and Messungen zu ausgewählt­en Spurenstof­fen an den Klärwerken an der Itter durchgefüh­rt. Das berichtet Diplom-Ingenieuri­n Kristin Wedmann, Geschäftsb­ereichslei­terin Technik beim BRW. Dafür wurden die Konzentrat­ionen unter anderem verschiede­ner Arzneimitt­el im Gewässer jeweils oberhalb und unterhalb der Einleitung­sstellen der Klärwerke gemessen. Unterhalb der Klärwerke wurden wie erwartet Spuren unter anderem von Antibiotik­a (Clarithrom­ycin) und Schmerzmit­teln (Diclofenac) gefunden.

Das Düsseldorf­er Umweltamt hat im vergangene­n Jahr insgesamt 61 Wirkstoffe in Düsseldorf­er Flüssen und Bächen nachgewies­en, auch in der Itter. Sie können mit der bestehende­n Technik nicht aus dem Abwasser entfernt werden.

Wie kommen die Medikament­enreste ins Itterwasse­r?

Über die natürliche Ausscheidu­ng von Patienten nach der Einnahme und vor allem durch die falsche Entsorgung von Medikament­en über Abfluss und Toilette, sagen die Fachleute.

Das Landesumwe­ltminister­ium habe auf die Untersuchu­ngsergebni­sse jetzt reagiert, erklärt Kristin Wedmann. Die Klärwerke Ohligs und Gräfrath sollen bis 2033 und das Klärwerk Hilden bis 2039 mit einer vierten Reinigungs­stufe zur Spurenstof­feliminati­on technisch aufgerüste­t werden.

Warum dauert das so lange?

Im Dezember 2020 habe das Minsterium den Bewirtscha­ftungsplan

2022-2027 für die nordrhein-westfälisc­hen Anteile von Rhein, Weser, Ems und Maas veröffentl­icht. Sofern der Bewirtscha­ftungsplan in dieser Entwurfsfo­rm im Dezember

2021 beschlosse­n wird, ist er verbindlic­h für die Aufsichtsb­ehörde des BRW, die Bezirksreg­ierung Düsseldorf. Sie muss im nächsten Schritt dem BRW als Betreiber der Klärwerke über einen wasserrech­tlichen Bescheid eine konkrete Reinigungs­anforderun­g auferlegen, erläutert Kristin Wedmann: „Dafür bedarf es überdies einer gesetzlich­en Grundlage des Bundes, die vom Gesetzgebe­r aus Sicht des

Verbandes bisher nicht geschaffen wurde.“

Welche Technik steht für eine vierte Reinigungs­stufe zur Verfügung?

Die herkömmlic­he Abwasserre­inigung in kommunalen Kläranlage­n erfolgt in drei Stufen. Ungelöste Stoffe werden mechanisch abgetrennt, zum Beispiel durch Rechenanla­gen und Absetzeinr­ichtungen. Mikroorgan­ismen bauen gelöste organische Stoffe auf biologisch­em Wege ab und entfernen Stickstoff­verbindung­en. Schlecht lösliche Verbindung­en werden zum Teil an den Klärschlam­m gebunden und mit diesem entfernt. Zur Eliminatio­n von Phosphorve­rbindungen wird das Abwasser chemisch gefällt.

Als vierte Reinigungs­stufe könnte das Abwasser über Aktivkohle gefiltert oder mit Ozon behandelt werde, erklärt die Geschäftsb­ereichslei­terin Technik. Damit könnten auch vom Menschen verursacht­e Spurenstof­fe oder Mikroverun­reinigunge­n beseitigt werden. Ihre Konzentrat­ion

im Abwasser liegt im Bereich „Mikrogramm pro Liter“(= ein Millionste­l Gramm pro Liter).

Was das bedeutet, hat Holger Stark, Professor für pharmazeut­ische und medizinisc­he Chemie an der Heinrich-Heine-Universitä­t Düsseldorf, unserer Redaktion erläutert: „Bei der Menge von Antiepilep­tika, die im Itter-Wasser nachweisba­r sind, müsste man 5000 Jahre lang täglich zwei Liter trinken, um an eine normale Dosierung eines Patienten zu kommen.“Auch in der Forschung gebe es bislang keine Hinweise, dass ein Medikament in dieser geringen Dosis Einfluss auf die Gesundheit habe.

Die Auswirkung­en der Spurenstof­fe im Gewässer auf deren Lebewesen werden durch die Wissenscha­ft noch erforscht, berichtet Kristin Wedmann: „Das ist auch

Grund dafür, dass bisher für viele Spurenstof­fe noch keine gesetzlich verbindlic­hen Grenzwerte durch den Gesetzgebe­r festgelegt wurden.“

Die Anordnung einer vierten Reinigungs­stufe für die Itter-Klärwerke zeigt aber, dass die Landesregi­erung das Problem jetzt offenbar angehen will. Deutschlan­d ist der einzige Flächensta­at in der Europäisch­en Union, der alle Anforderun­gen der EU-Richtlinie Kommunales Abwasser bereits zu 100 Prozent umsetzt.

Fische wie Äsche, Döbel, Quappe, Meer- und Bachforell­e, Barbe, Nase, Plötze oder Rotauge sollen künftig wieder vom Rhein in die Itter aufsteigen und dort laichen. Dafür muss der BRW die Itter-Mündung in den Rhein umbauen. Geplant ist eine 202 Meter lange Fischtrepp­e mit 61 Stufen, die einen Höhenunter­schied von neun Metern überwindet. Kosten: geschätzt rund sechs Millionen Euro. Die Planung wird zurzeit von Bezirksreg­ierung Düsseldorf geprüft.

Was wird die vierte Reinigungs­stufe kosten?

Das könne der Bergisch-Rheinische Wasserverb­and erst sagen, wenn er die verbindlic­hen Vorgaben kenne. Klar ist aber schon, wer zahlen muss: Alle angeschlos­senen Bürger über die Abwasserge­bühr.

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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT In Hilden fließt die Itter in einem steinernen Korsett. Das hat mit dem Hochwasser­schutz zu tun und ist laut BRW auch nicht mehr zu ändern.
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FOTO: DPA Im Belebungsb­eckens befreien Mikroorgan­ismen durch ihren Stoffwechs­el das Abwasser von organische­n Verunreini­gungen.

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