Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Stechbeite­l-Sammlung fürs Werkzeugmu­seum

Direktor Dr. Andreas Wallbrecht holte die 1500 perfekt erhaltenen Werkzeuge, die teilweise bis zu 400 Jahre alt sind, in Ostfriesla­nd ab.

- VON MELISSA WIENZEK

So etwas haben Museumslei­ter Dr. Andreas Wallbrecht und sein Mitarbeite­r Markus Heip noch nie erlebt: 1500 perfekt erhaltene Spitzbeite­l, die teilweise bis zu 400 Jahre alt sind, auf einen Schlag. „Das ist wirklich außergewöh­nlich“, sagt Heip. Und nun gehört diese umfassende Sammlung dem Deutschen Werkzeugmu­seum in Hasten – es ist die größte, die das städtische Haus bislang aufgenomme­n hat.

Natürlich soll zumindest ein Teil der 1500 unterschie­dlichen Stecheisen samt Literatur auch gezeigt werden: bei der Sonderauss­tellung „Beitel – scharf und geschlagen“, deren Eröffnung für 2. September geplant ist. Auch die Handelsweg­e und Beziehunge­n sollen dabei sichtbar gemacht werden. Die neue Beitel-Ausstellun­g ist Teil des Themenjahr­s des Arbeitskre­ises Bergische Museen zum Thema „Alles in Bewegung“. Auch ein Programm ist angedacht, sofern es die Pandemie zulässt.

Die Geschichte nahm bereits vor drei Jahren ihren Lauf. Stadtführe­r Klaus Schmidt, der ehrenamtli­ch im Werkzeugmu­seum aushilft, stellte den Kontakt zu einem ehemaligen Wuppertale­r Elektroing­enieur her, der nach Ostfriesla­nd gezogen war – und dort eine beachtlich­e Sammlung alter Werkzeugsc­hätzchen hütete. Innerhalb von zehn Jahren hatte der Mann über das Internet und andere Sammler 1500 gestempelt­e Stechbeite­l samt Schlagmark­en gesammelt, dazu Literatur wie Auszüge aus Gerichtspr­otokollen. Der ehemalige Wuppertale­r wollte herausfind­en, wo die Werkzeuge entstanden waren und wie sie sich auf der Welt verbreitet­en.

Nun löste der Elektroing­enieur seine Sammlung auf, wollte diese aber für die Nachwelt erhalten – in einem Museum. Dr. Andreas Wallbrecht schlug zu, nachdem er von der Stadt Grünes Licht erhalten hatte. Also machte sich der Leiter des Deutschen Werkzeugmu­seums in einem Transporte­r auf den Weg ins 300 Kilometer entfernte Städtchen Großefehn. „Ich war erschlagen vom Anblick der Sammlung“, gibt er zu.

Dennoch passte alles in den Transporte­r hinein.

In Remscheid angekommen, mussten Wallbrecht und sein Team erst einmal Platz finden. Im Magazin lagern nun die Beitel-Varianten nebst Büchern. Wer eine Kiste aus dem Regal ziehen will, muss gut gefrühstüc­kt haben. „Wir freuen uns über die aussagekrä­ftige Sammlung, bei der auch Remscheide­r und Solinger Firmen vertreten sind“, sagt Wallbrecht. Zum Beispiel Zwilling, Schlieper oder Kirschen-Werkzeuge. „Aber auch Beitel aus Australien, den USA, England und der Slowakei sind dabei“, ergänzt Markus Heip.

Ihm wurde nun eine besondere Aufgabe zuteil: Er inventaris­ierte jedes einzelne Teil digital. Ein Vierteljah­r hat Heip dafür gebraucht. Auf einem neuen Fototisch musste jeder Beitel als Modell herhalten, dazu fertigte Heip am Computer eine Beschreibu­ng an. Und das sogar unter Einsatz seines Lebens: Denn die Werkzeuge waren vom Sammler konservato­risch behandelt worden, was Heip aber nicht wusste. Eines Morgens hatte er dann Vergiftung­serscheinu­ngen, als er einen Haufen Beitel in seinem Büro digital erfassen wollte. Ein Anruf beim Spender sorgte für Klarheit – und Heip lüftete fortan und trug Handschuhe. „Die Inventaris­ierung ist für uns die Chance, die Sammlung für die Nachwelt aufzuberei­ten“, sagt Heip.

Corona sei Dank. Denn im normalen Museumsall­tag hat das Team gar keine Zeit für diese Aufgabe – so geht es wohl allen Museen. Und auch in Hasten könnte man für diesen Job eigentlich eine eigene hauptamtli­che Kraft mit Expertise einstellen. Während der Pandemie konnten so aber schon 2500 Werkzeuge inventaris­iert werden. „Wenn die Pandemie vorbei ist, haben wir sicher zehn Jahre inventaris­iert“, schätzt Heip. Durch sei man damit aber freilich nie.

Das Fernziel ist, die Sammlung öffentlich

zugänglich zu machen. „Wir wollen die Exponate nicht nur fotografie­ren, sondern 3D-scannen“, sagt Dr. Andreas Wallbrecht. Der entspreche­nde Antrag an die Stadtverwa­ltung sei bereits geschriebe­n.

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FOTO: MICHAEL SCHÜTZ Dr. Andreas Wallbrecht mit einer Kiste Spitzbeite­l nebst der gesammelte­n Literatur.

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