Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Hausaufgab­en für den Sommer

Schon einmal zur warmen Jahreszeit dachten viele Menschen, das mit Corona habe sich erledigt. Harte Monate folgten – auch weil das Land nötige Vorkehrung­en versäumt hat. Was diesmal besser laufen muss.

- VON DOROTHEE KRINGS

Schon wahr, vieles ist in diesem Jahr anders als im ersten Pandemie-Erholungss­ommer 2020: Inzwischen gibt es einen Impfstoff gegen Corona, die Kampagne schreitet trotz aller Schwierigk­eiten voran, und für den Fall, dass die Infizierte­nzahlen wieder steigen, gibt es einen abgestimmt­en Notbremse-Stufenplan. Doch hätte Deutschlan­d aus Corona nichts gelernt, wenn es auch diesmal im Sommer so tut, als sei die Pandemie vorbei. Als sei Corona ein Albtraum, über den man nach dem Erwachen lieber nicht mehr redet. Tatsächlic­h nützt ein Lamento über die Versäumnis­se der Vergangenh­eit der Zukunft wenig, aber vielleicht eine To-doListe für diesen Sommer:

Impfen

Noch beschäftig­t die Impfstoffk­nappheit Bürger, Ärzte und Regierung. Doch bald dürfte es darum gehen, auf eine möglichst hohe Impfquote zu kommen. Impfgegner werden kaum zu gewinnen sein, aber Impfmuffel durchaus. Was lässt sich aus Kampagnen in Ländern wie Israel oder den USA lernen? Was könnte den Impfvorgan­g bequemer machen, damit jene sich piksen lassen, denen der Aufwand zu groß ist? Diese Fragen stellen sich nicht erst im Herbst.

Testen

Solange negative Tests im Alltag nötig sind, machen Testzentre­n ein gutes Geschäft. Wenn der akute Bedarf wie gerade nachlässt, verschwind­et diese Infrastruk­tur aber schnell wieder. Darum wäre es sinnvoll, Einrichtun­gen zu definieren, die im Fall lokaler Ausbrüche schnell wieder Testkapazi­täten hochfahren können. Der Sommer könnte also genutzt werden, aus dem Prinzip „Jeder teste, so viel er kann“, eine strategisc­he Teststrukt­ur für die Zukunft zu entwickeln. Das kann leider immer wieder wichtig werden.

Gesundheit­sämter

Wie schwer sich Deutschlan­d bisweilen mit der Digitalisi­erung tut, wird vor allem bei den Gesundheit­sämtern deutlich. Die vorhandene Software namens Sormas zur Kontaktnac­hverfolgun­g wird noch lange nicht flächendec­kend eingesetzt. Von den 53 Ämtern in NRW haben die meisten die Software zwar installier­t, bis Monatsende wird aber wohl nur ein Dutzend tatsächlic­h damit arbeiten. Die Landesregi­erung hat darum angekündig­t, IT-Helfer in die Gesundheit­sämter zu schicken, um bei der Einführung und Personalsc­hulung zu unterstütz­en. Dass das alles nicht wie ursprüngli­ch geplant bis Februar passiert ist, haben die Gesundheit­sämter unter anderem mit der Überlastun­g durch die hohen Infizierte­nzahlen begründet. Natürlich benötigen dauernd überlastet­e Mitarbeite­r jetzt auch Entspannun­g. Aber die ruhigeren Sommerwoch­en müssen auch genutzt werden, um endlich alle Behörden ans Netz zu bringen.

Schulen

Nur ein Drittel der deutschen Schulen war laut einem Bericht der EU digital auf den Lockdown vorbereite­t. Durch die Pandemie haben mehr Schulen Endgeräte für Schüler und Lehrer beantragt und mit digitalen Plattforme­n gearbeitet, doch das ist nichts ohne Infrastruk­tur. Rund 40 Prozent der Schulen in NRW sind noch nicht an schnelles W-Lan angebunden. Der Ausbau muss vorangetri­eben werden, auch wenn die Rückkehr zum Präsenzunt­erricht erst einmal den Druck mindert. Auch die Ausstattun­g von Klassenräu­men mit Luftfilter­n müsste ein ernstes Anliegen bleiben. Die Schulen stehen nach den Ferien auch vor der Herausford­erung, Lerndefizi­te bei weiten Teilen der Schüler angehen zu müssen und brauchen dafür didaktisch­e Konzepte. Punktuelle Förderung und der persönlich­e Einsatz von Lehrerkräf­ten werden das strukturel­le Problem nicht lösen. Genauso bleibt die Frage, wie digitale Formate und Präsenzunt­erricht einander im Unterricht der Zukunft ergänzen können.

Bahn

Als die Infizierte­nzahlen hochschnel­lten, haben viele Menschen Fahrten in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln vermieden, so herrschte zumindest im Fernverkeh­r kein Gedränge. Langfristi­g könnte es aber sinnvoll sein, auf eine Reservieru­ngspflicht umzustelle­n, wie sie in anderen europäisch­en Ländern gilt. Dann lässt sich die Besetzung eines Zuges genau steuern. Allerdings verringert eine Reservieru­ngspflicht die Beförderun­gskapazitä­t, wenn Menschen nicht mehr spontan ohne Reservieru­ng in einen Zug einsteigen können. Die Bahn ist bisher zurückhalt­end bei dem Thema, auch Vertreter der Zugbegleit­er fürchten, dass es bei der Durchsetzu­ng zu Konflikten mit Fahrgästen kommen könnte.

Homeoffice

In vielen Unternehme­n, die ihre Mitarbeite­r zuletzt ins Homeoffice geschickt hatten, wird jetzt über die Rückkehr ins Büro diskutiert. Dafür braucht es Konzepte, die spätestens im Sommer auf die jeweiligen Bedingunge­n in einem Betrieb angepasst werden müssen. Vor allem, wenn es in Zukunft mehr Flexibilit­ät gibt. Wie lassen sich etwa Meetings fair organisier­en, wenn einige Teilnehmer live dabei sein könnten, andere zugeschalt­et werden? Wie lassen sich ungute Allianzen der Leute im Büro verhindern, wie Ungerechti­gkeitsempf­indungen gegenüber denen, die auf Wunsch andernorts arbeiten? Die kommenden Wochen werden darüber entscheide­n, wie sich das Klima in vielen Betrieben entwickelt.

Hygiene

Gerade wird darüber diskutiert, wann die Vorschrift­en zur Maskenpfli­cht fallen sollten. Anders als in Asien dürfte der Atemschutz in Deutschlan­d nicht ohne Weiteres in den Alltag übergehen und allein aus Höflichkei­t getragen werden. Aber wie steht es mit Armstupser statt Handschlag, Zurückhalt­ung beim Umarmen, größerer Distanz beim Zufallstre­ffen in der Stadt? In diesem Sommer wird sich zeigen, ob sich eine größere Vielfalt bei Begegnungs­ritualen durchsetzt und die Toleranz für individuel­le Abstands- und Hygienebed­ürfnisse gewachsen ist.

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