Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Hausaufgaben für den Sommer
Schon einmal zur warmen Jahreszeit dachten viele Menschen, das mit Corona habe sich erledigt. Harte Monate folgten – auch weil das Land nötige Vorkehrungen versäumt hat. Was diesmal besser laufen muss.
Schon wahr, vieles ist in diesem Jahr anders als im ersten Pandemie-Erholungssommer 2020: Inzwischen gibt es einen Impfstoff gegen Corona, die Kampagne schreitet trotz aller Schwierigkeiten voran, und für den Fall, dass die Infiziertenzahlen wieder steigen, gibt es einen abgestimmten Notbremse-Stufenplan. Doch hätte Deutschland aus Corona nichts gelernt, wenn es auch diesmal im Sommer so tut, als sei die Pandemie vorbei. Als sei Corona ein Albtraum, über den man nach dem Erwachen lieber nicht mehr redet. Tatsächlich nützt ein Lamento über die Versäumnisse der Vergangenheit der Zukunft wenig, aber vielleicht eine To-doListe für diesen Sommer:
Impfen
Noch beschäftigt die Impfstoffknappheit Bürger, Ärzte und Regierung. Doch bald dürfte es darum gehen, auf eine möglichst hohe Impfquote zu kommen. Impfgegner werden kaum zu gewinnen sein, aber Impfmuffel durchaus. Was lässt sich aus Kampagnen in Ländern wie Israel oder den USA lernen? Was könnte den Impfvorgang bequemer machen, damit jene sich piksen lassen, denen der Aufwand zu groß ist? Diese Fragen stellen sich nicht erst im Herbst.
Testen
Solange negative Tests im Alltag nötig sind, machen Testzentren ein gutes Geschäft. Wenn der akute Bedarf wie gerade nachlässt, verschwindet diese Infrastruktur aber schnell wieder. Darum wäre es sinnvoll, Einrichtungen zu definieren, die im Fall lokaler Ausbrüche schnell wieder Testkapazitäten hochfahren können. Der Sommer könnte also genutzt werden, aus dem Prinzip „Jeder teste, so viel er kann“, eine strategische Teststruktur für die Zukunft zu entwickeln. Das kann leider immer wieder wichtig werden.
Gesundheitsämter
Wie schwer sich Deutschland bisweilen mit der Digitalisierung tut, wird vor allem bei den Gesundheitsämtern deutlich. Die vorhandene Software namens Sormas zur Kontaktnachverfolgung wird noch lange nicht flächendeckend eingesetzt. Von den 53 Ämtern in NRW haben die meisten die Software zwar installiert, bis Monatsende wird aber wohl nur ein Dutzend tatsächlich damit arbeiten. Die Landesregierung hat darum angekündigt, IT-Helfer in die Gesundheitsämter zu schicken, um bei der Einführung und Personalschulung zu unterstützen. Dass das alles nicht wie ursprünglich geplant bis Februar passiert ist, haben die Gesundheitsämter unter anderem mit der Überlastung durch die hohen Infiziertenzahlen begründet. Natürlich benötigen dauernd überlastete Mitarbeiter jetzt auch Entspannung. Aber die ruhigeren Sommerwochen müssen auch genutzt werden, um endlich alle Behörden ans Netz zu bringen.
Schulen
Nur ein Drittel der deutschen Schulen war laut einem Bericht der EU digital auf den Lockdown vorbereitet. Durch die Pandemie haben mehr Schulen Endgeräte für Schüler und Lehrer beantragt und mit digitalen Plattformen gearbeitet, doch das ist nichts ohne Infrastruktur. Rund 40 Prozent der Schulen in NRW sind noch nicht an schnelles W-Lan angebunden. Der Ausbau muss vorangetrieben werden, auch wenn die Rückkehr zum Präsenzunterricht erst einmal den Druck mindert. Auch die Ausstattung von Klassenräumen mit Luftfiltern müsste ein ernstes Anliegen bleiben. Die Schulen stehen nach den Ferien auch vor der Herausforderung, Lerndefizite bei weiten Teilen der Schüler angehen zu müssen und brauchen dafür didaktische Konzepte. Punktuelle Förderung und der persönliche Einsatz von Lehrerkräften werden das strukturelle Problem nicht lösen. Genauso bleibt die Frage, wie digitale Formate und Präsenzunterricht einander im Unterricht der Zukunft ergänzen können.
Bahn
Als die Infiziertenzahlen hochschnellten, haben viele Menschen Fahrten in öffentlichen Verkehrsmitteln vermieden, so herrschte zumindest im Fernverkehr kein Gedränge. Langfristig könnte es aber sinnvoll sein, auf eine Reservierungspflicht umzustellen, wie sie in anderen europäischen Ländern gilt. Dann lässt sich die Besetzung eines Zuges genau steuern. Allerdings verringert eine Reservierungspflicht die Beförderungskapazität, wenn Menschen nicht mehr spontan ohne Reservierung in einen Zug einsteigen können. Die Bahn ist bisher zurückhaltend bei dem Thema, auch Vertreter der Zugbegleiter fürchten, dass es bei der Durchsetzung zu Konflikten mit Fahrgästen kommen könnte.
Homeoffice
In vielen Unternehmen, die ihre Mitarbeiter zuletzt ins Homeoffice geschickt hatten, wird jetzt über die Rückkehr ins Büro diskutiert. Dafür braucht es Konzepte, die spätestens im Sommer auf die jeweiligen Bedingungen in einem Betrieb angepasst werden müssen. Vor allem, wenn es in Zukunft mehr Flexibilität gibt. Wie lassen sich etwa Meetings fair organisieren, wenn einige Teilnehmer live dabei sein könnten, andere zugeschaltet werden? Wie lassen sich ungute Allianzen der Leute im Büro verhindern, wie Ungerechtigkeitsempfindungen gegenüber denen, die auf Wunsch andernorts arbeiten? Die kommenden Wochen werden darüber entscheiden, wie sich das Klima in vielen Betrieben entwickelt.
Hygiene
Gerade wird darüber diskutiert, wann die Vorschriften zur Maskenpflicht fallen sollten. Anders als in Asien dürfte der Atemschutz in Deutschland nicht ohne Weiteres in den Alltag übergehen und allein aus Höflichkeit getragen werden. Aber wie steht es mit Armstupser statt Handschlag, Zurückhaltung beim Umarmen, größerer Distanz beim Zufallstreffen in der Stadt? In diesem Sommer wird sich zeigen, ob sich eine größere Vielfalt bei Begegnungsritualen durchsetzt und die Toleranz für individuelle Abstands- und Hygienebedürfnisse gewachsen ist.