Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
„Entfesselt“als Videostream aufgezeichnet.
Das Ensemble 55plus hat im Theater sein neues Stück „Entfesselt“für einen Videostream aufgezeichnet.
Ursprünglich sollte das neue Stück „Entfesselt“des Solinger Tanztheater-Ensembles 55plus vor Publikum im Stadttheater aufgeführt werden. „Dann kamen uns Corona und der Lockdown dazwischen. Nun lassen wir es als Video verfilmen und werden den fertigen Videostream der Öffentlichkeit im Internet präsentieren“, berichtet der Regisseur und Choreograph Marcus Grolle.
Bei der Inszenierung stand ihm die Tänzerin und Schauspielerin Renate Kemperdick als Assistentin zur Seite. Auch Fotograf Stephan Haeger begleitete das Projekt. Die Videoaufnahmen, durchgeführt vom Techniker-Team des Stadttheaters, fanden
„Während des harten Lockdowns waren nur Einzelproben möglich“
Marcus Grolle Regisseur und Choreograph
am Montag und Dienstag auf der Bühne im Pina-Bausch-Saal statt.
Das Tanzdrama „Entfesselt – oder: Anarchie und Verantwortung“führt in beeindruckend atmosphärischen Bildern zurück in die griechische Mythologie. „Prometheus, ein Sohn aus dem Göttergeschlecht der Titanen, formt vor Urzeiten Menschen aus Ton und wird zum Beschützer der Menschheit“, beschreibt Marcus Grolle die Handlung. Nach einem Streit mit Göttervater Zeus, habe dieser den Menschen die Nutzung des Feuers verwehrt. Als Prometheus daraufhin Glut vom Himmel raubt, rächt sich Zeus, indem er über die Jungfrau Pandora Plagen in die Menschenwelt schickt. Prometheus wird schwer bestraft und an einen Felsen geschmiedet.
Grolle und Kemperdick transferieren den Mythos mit den 16 Tänzern und Tänzerinnen im Alter zwischen 55 und 72 Jahren in die heutige Zeit. Auffällig ist, dass die Soloakteure und Tanzformationen, die den Charakter des Prometheus verkörpern, allesamt weiße Masken tragen. „In diesem Fall haben wir Corona einmal zur Tugend gemacht“, erklärt der Regisseur. „Denn bei den Proben hatten wir uns ja strikt an die Auflage der Maskenpflicht zu halten.“Dementsprechend zeigen sich die Akteure, die den Zeus darstellen, ebenfalls maskiert – mit Integralhelmen.
An den Helmen wird auch ein Bezug zur Gegenwart deutlich: Aggressive Tanzsequenzen, in denen die Helmträger Prometheus bezwingen, indem sie mit Leuchtstäben wild auf ihn einschlagen, erinnern an die massiven Polizeieinsätze, wie sie in der letzten Zeit etwa in Belarus, Russland, China und Myanmar oder anderswo zu beobachten waren.
Nur die Gruppe der Menschen im Stück zeigt sich unmaskiert. Manche Tanzszene geht unter die Haut und wirkt fast beklemmend, verstärkt durch eine dröhnende, teils an Maschinenlärm erinnernde Musik. Andere Szenen wirken archaisch und geheimnisvoll, so die der Erschaffung des Menschen mithilfe von Licht. Dazu bewegen sich die Darsteller mit Leuchtstäben brillant in synchronen Formationen.
Heroisch: die Sequenz, in der Prometheus mit der Glut vom Felsen zu den Menschen herabsteigt. Auch Johann Wolfgang von Goethes 1773 in Verse gefasste Hymne „Prometheus“findet Einzug in das Stück, einmal in rezitierter Form und dann – im Epilog – in pantomimische Bewegungen umgesetzt. Zum Ende hin siegt die „aus Fesseln befreite“Liebe – in Gestalt des Prometheus. „Im Grunde steht dieser Charakter als eine Metapher für Menschen, die sich für andere einsetzen und Zivilcourage zeigen“, so Grolle.
Dem Prometheus der griechischen Mythologie seien, wie das Stück auch szenenhaft aufzeigt, durchaus Widerstandskämpfer der Neuzeit wie Edward Snowden, Chelsea Manning, Pussy Riot und Nelson Mandela zuzuordnen, aber auch Sophie Scholl, Dietrich Bonhoeffer oder Martin Luther King. Diesen stünden auf Seiten der Macht „zerstörerische Kräfte“gegenüber, wie sie von Personen wie Donald Trump, Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdogan ausgehen.
„Insgesamt betrachtet waren die Probenarbeiten, die fast ein Jahr dauerten, in der Coronazeit sehr erschwert“, erzählt Marcus Grolle. „So waren während des harten Lockdowns nur Einzelproben möglich. Später konnten wir wenigstens mit drei bis vier Personen, eingeschränkt und mit Abstand, in der Cobra proben.“Der genaue Termin, wann der fertige Film im Videostream zu sehen ist, steht noch nicht fest. Er soll in Kürze öffentlich bekannt gegeben werden.