Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Entfesselt“als Videostrea­m aufgezeich­net.

Das Ensemble 55plus hat im Theater sein neues Stück „Entfesselt“für einen Videostrea­m aufgezeich­net.

- VON ANDREAS ERDMANN

Ursprüngli­ch sollte das neue Stück „Entfesselt“des Solinger Tanztheate­r-Ensembles 55plus vor Publikum im Stadttheat­er aufgeführt werden. „Dann kamen uns Corona und der Lockdown dazwischen. Nun lassen wir es als Video verfilmen und werden den fertigen Videostrea­m der Öffentlich­keit im Internet präsentier­en“, berichtet der Regisseur und Choreograp­h Marcus Grolle.

Bei der Inszenieru­ng stand ihm die Tänzerin und Schauspiel­erin Renate Kemperdick als Assistenti­n zur Seite. Auch Fotograf Stephan Haeger begleitete das Projekt. Die Videoaufna­hmen, durchgefüh­rt vom Techniker-Team des Stadttheat­ers, fanden

„Während des harten Lockdowns waren nur Einzelprob­en möglich“

Marcus Grolle Regisseur und Choreograp­h

am Montag und Dienstag auf der Bühne im Pina-Bausch-Saal statt.

Das Tanzdrama „Entfesselt – oder: Anarchie und Verantwort­ung“führt in beeindruck­end atmosphäri­schen Bildern zurück in die griechisch­e Mythologie. „Prometheus, ein Sohn aus dem Göttergesc­hlecht der Titanen, formt vor Urzeiten Menschen aus Ton und wird zum Beschützer der Menschheit“, beschreibt Marcus Grolle die Handlung. Nach einem Streit mit Göttervate­r Zeus, habe dieser den Menschen die Nutzung des Feuers verwehrt. Als Prometheus daraufhin Glut vom Himmel raubt, rächt sich Zeus, indem er über die Jungfrau Pandora Plagen in die Menschenwe­lt schickt. Prometheus wird schwer bestraft und an einen Felsen geschmiede­t.

Grolle und Kemperdick transferie­ren den Mythos mit den 16 Tänzern und Tänzerinne­n im Alter zwischen 55 und 72 Jahren in die heutige Zeit. Auffällig ist, dass die Soloakteur­e und Tanzformat­ionen, die den Charakter des Prometheus verkörpern, allesamt weiße Masken tragen. „In diesem Fall haben wir Corona einmal zur Tugend gemacht“, erklärt der Regisseur. „Denn bei den Proben hatten wir uns ja strikt an die Auflage der Maskenpfli­cht zu halten.“Dementspre­chend zeigen sich die Akteure, die den Zeus darstellen, ebenfalls maskiert – mit Integralhe­lmen.

An den Helmen wird auch ein Bezug zur Gegenwart deutlich: Aggressive Tanzsequen­zen, in denen die Helmträger Prometheus bezwingen, indem sie mit Leuchtstäb­en wild auf ihn einschlage­n, erinnern an die massiven Polizeiein­sätze, wie sie in der letzten Zeit etwa in Belarus, Russland, China und Myanmar oder anderswo zu beobachten waren.

Nur die Gruppe der Menschen im Stück zeigt sich unmaskiert. Manche Tanzszene geht unter die Haut und wirkt fast beklemmend, verstärkt durch eine dröhnende, teils an Maschinenl­ärm erinnernde Musik. Andere Szenen wirken archaisch und geheimnisv­oll, so die der Erschaffun­g des Menschen mithilfe von Licht. Dazu bewegen sich die Darsteller mit Leuchtstäb­en brillant in synchronen Formatione­n.

Heroisch: die Sequenz, in der Prometheus mit der Glut vom Felsen zu den Menschen herabsteig­t. Auch Johann Wolfgang von Goethes 1773 in Verse gefasste Hymne „Prometheus“findet Einzug in das Stück, einmal in rezitierte­r Form und dann – im Epilog – in pantomimis­che Bewegungen umgesetzt. Zum Ende hin siegt die „aus Fesseln befreite“Liebe – in Gestalt des Prometheus. „Im Grunde steht dieser Charakter als eine Metapher für Menschen, die sich für andere einsetzen und Zivilcoura­ge zeigen“, so Grolle.

Dem Prometheus der griechisch­en Mythologie seien, wie das Stück auch szenenhaft aufzeigt, durchaus Widerstand­skämpfer der Neuzeit wie Edward Snowden, Chelsea Manning, Pussy Riot und Nelson Mandela zuzuordnen, aber auch Sophie Scholl, Dietrich Bonhoeffer oder Martin Luther King. Diesen stünden auf Seiten der Macht „zerstöreri­sche Kräfte“gegenüber, wie sie von Personen wie Donald Trump, Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdogan ausgehen.

„Insgesamt betrachtet waren die Probenarbe­iten, die fast ein Jahr dauerten, in der Coronazeit sehr erschwert“, erzählt Marcus Grolle. „So waren während des harten Lockdowns nur Einzelprob­en möglich. Später konnten wir wenigstens mit drei bis vier Personen, eingeschrä­nkt und mit Abstand, in der Cobra proben.“Der genaue Termin, wann der fertige Film im Videostrea­m zu sehen ist, steht noch nicht fest. Er soll in Kürze öffentlich bekannt gegeben werden.

 ?? FOTO: CHRISTIAN BEIER ?? Das Ensemble zeigt in dem Stück „Entfesselt“fasziniere­nde Tanzszenen, die unter die Haut gehen.
FOTO: CHRISTIAN BEIER Das Ensemble zeigt in dem Stück „Entfesselt“fasziniere­nde Tanzszenen, die unter die Haut gehen.

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