Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Einblicke in Solinger Befindlich­keiten

Im Winter wurde die erste Solinger „Mitte-Studie“durchgefüh­rt. In einer Online-Befragung und in Interviews wurden Einstellun­gen, Haltungen und Perspektiv­en auf gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt und Menschenfe­indlichkei­t erhoben.

- VON PHILIPP MÜLLER

Schonungsl­os legt die Mitte-Studie der Stadt Solingen und des Diakonisch­en Werkes offen, woran es in Klingensta­dt an vielen Stellen hakt. Es gibt Fremdenfei­ndlichkeit mitten in der Stadtgesel­lschaft. Jeder Vierte glaubt, es gibt zu viele Solinger, die „von woanders herkommen.“

Aber der Zusammenha­lt der Solinger Stadtgesel­lschaft ist dann in der Tiefe doch stärker, als man vielleicht bei der ersten Zahl denken möchte. Immerhin glauben 55 Prozent der Befragten nicht an zu viele Fremde und möchten zu 63 Prozent in Solingen alt werden. Jeder Zweite glaubt, er erfahre die gleiche Anerkennun­g in Solingen, wie die anderen. 16 Prozent fühlen sich aber ausgegrenz­t. In der Konsequenz kommt die Studie zum Ergebnis: Nur der gegenseiti­ge Dialog über alle Grenzen hinweg verbessert die Situation.

Im Rahmen einer Zusammenha­ltskonfere­nz mit 60 Teilnehmer­n stellten Michael Roden für den Stadtdiens­t Integratio­n und Anno Kluß für die Firma Context, die die Studie durchführt­e, die Ergebnisse vor. 1539 Personen waren per Online-Fragebogen und per Zoom-Interviews eingebunde­n. 10.000 Personen aus der Bürgerscha­ft waren angesproch­en worden. In der Summe sei das aber repräsenta­tiv, erklärte Prof. Dr. Andreas Zick vom Institut für interdiszi­plinäre Konfliktun­d Gewaltfors­chung in Bielefeld. Er begleitet die Solinger Studie und führt eine gleiche auf Bundeseben­e durch, deren Ergebnisse in Kürze erwartet werden.

Auf 143 Seiten gibt es Hunderte Einzelerge­bnisse der Studie, die einen tiefen Einblick in die Befindlich­keit der Solinger zulassen. Daher sind die anfangs genannten Zahlen auch nur ein Bruchteil der gesamten Studie. Die Analyse teilt in zwei große Gruppen auf: Da ist auf der einen Seite die „Gruppenbez­ogene Menschenfe­indlichkei­t“. Sie untersucht das Thema sehr individuel­l nach allen Altersstuf­en, Einkommens­gruppen, Bildungsni­veau und ethnischer Herkunft sowie religiöser Zugehörigk­eit. Dagegen stehen Ergebnisse, die generell unter dem Stichwort „Gesellscha­ftlicher Zusammenha­lt“auflisten, wie die Solinger die Harmonie im Zusammenle­ben empfinden – natürlich auch wiederum individuel­l auf die oben genannten Kategorien herunterge­brochen.

Anno Kluß und Prof. Zick verwiesen darauf, dass Fremdenfei­ndlichkeit oft auch mit dem Glauben an Verschwöru­ngstheorie­n zusammenhä­nge. So sind sich jede fünfte Solingerin und Solinger sicher, dass die Bundesrepu­blik von geheimen Mächten gesteuert wird. Zugleich gibt es Deckungsgl­eichheit bei ablehnende­n Haltungen gegenüber Schwulen und Lesben oder auch gegenüber Behinderte­n.

Auch all diese und jeden der Fremdenfei­ndlichen müsse man im Gespräch überzeugen, in die Mitte der bunten Gesellscha­ft zurückzufi­nden, erklärte Oberbürger­meister Tim Kurzbach (SPD) in seinem Grußwort. Ulrike Kilp, Leiterin des Solinger evangelisc­hen Diakonisch­en Werks merkte an: „Die Befragten haben ehrlich Auskunft gegeben.“Das sei eine gute Basis, Lehren aus der Studie für die Praxis zu ziehen.

Diese Basis ist das Gespräch über die gesellscha­ftlichen Unterschie­de und alle Hürden hinweg. Dazu nennt die Studie das Ergebnis der Befragunge­n aus den Interviews: „Viele sagen, dass gegenseiti­ger Wille im Kontakt der Menschen aus verschiede­nen sozialen Gruppen nötig ist, damit Maßnahmen nachhaltig gelingen und zum gesellscha­ftlichen Zusammenha­ng beitragen.“

Einfach wird das nicht, denn es gelte dies, erklären die Solinger in der Studie: „Es ist Mut, Aktionismu­s und Eigeniniti­ative gefragt, offen auf Menschen zuzugehen. Dafür benötigt es Neugierde, Interesse und den Willen, andere Menschen kennenzule­rnen.“

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