Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
„Mehr Impfstoff und weniger Bürokratie“
Wie laufen die Impfungen in den Hausarztpraxen? Mitunter mühsam. Die Wartelisten sind lang, der Wille ist da. Allein: Die Impfstofflieferung gleicht einer Farce, erzählt Medizinerin Christiane Agternkamp aus dem Arbeitsalltag in der Rheindorfer Praxis.
„Es ist eine Katastrophe“, sagt Christiane Agternkamp über den Fortschritt der Impfkampagne nach Wegfall der Priorisierung. Die Ärztin, die sich die Arbeit in ihrer Rheindorfer Praxis für Allgemeinmedizin mit Ines Norhausen und Thomas Meurer teilt, weiß genau, dass die Bevölkerung motiviert ist, sich impfen zu lassen. Weil es nicht genügend Impfstoff gibt, sind ihr und den Kollegen aber die Hände gebunden. Agternkamp: „Die Telefone stehen nicht still. Alle rufen an und fragen nach Terminen. Bis weit in den Herbst könnten wir eigentlich impfen. Tatsächlich wissen wir aber nie, wie viel Impfstoff wir erhalten.“Somit sei das Chaos programmiert. Vor allem deshalb könne von einer Aufhebung der Priorisierung keine Rede sein. Vielmehr schaue man bei den Patienten auch weiterhin nach Vorerkrankungen und Alter.
Gerade erst habe man die maximale Anzahl der Dosen bestellt. Das heiße aber lange nicht, dass die bestellte Ware auch geliefert werde, sagt die Medizinerin. Prompt kam die Information, dass die Praxis in der kommenden Woche mit maximal 60 Dosen BionTech auskommen müsse. Damit könnten lediglich 360 Menschen geimpft werden.
Im Gegensatz dazu hatte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV ) empfohlen: „Geben Sie die Anzahl der Dosen an, die Sie in der Woche vom 21. bis 27. Juni benötigen, um Patienten unter Einhaltung der empfohlenen Impfabstände zum zweiten Mal impfen zu können. Für diese Bestellungen gibt es keine Obergrenzen.“
Zudem hatte die KBV bereits im Vorfeld angekündigt: Wegen der geringen Impfstoffmenge und anstehender Zweitimpfungen sei es möglich, dass Ärzte von Biontech/Pfizer nur zwei bis drei Einheiten, von Astra-Zeneca voraussichtlich nur eine Phiole für Erstimpfungen erhalten würden. „Eine Farce“, kommentiert Agternkamp. „Was wir brauchen ist deutlich mehr Impfstoff und weniger Bürokratie“, fordert die Medizinerin, die auch im Leverkusener Karneval aktiv und nach wie vor amtierende Jungfrau im Hitdorfer Dreigestirn ist.
Dürfte sie sich etwas wünschen, dann hätte sie gerne, „dass die Politik die Bevölkerung ausschließlich mit glaubhaften Informationen versorgt, anstatt Ansprüche zu wecken, die nicht zu erfüllen sind.“
Damit noch nicht genug, müssten die beiden Assistentinnen, die eigens zur Terminvergabe eingestellt wurden, oft mit Patienten diskutieren, wenn der Termin zur zweiten Impfung anstehe. Viele sagten, sie hätten bereits ihren Urlaub gebucht,
obwohl sie noch nicht vollständig geimpft seien. Bei Astra-Zeneca könne die zweite Impfung frühestens nach zwölf Wochen folgen, bei BionTech nach sechs Wochen.
Und hier beginne das anfangs geschilderte Problem von vorne: Weil die Impfstoff- Liefermenge ungewiss sei, ließen sich Termine nur kurzfristig vergeben. Im Endeffekt würde das bedeuten, dass die Dosen für die anstehenden Zweitimpfungen verfallen müssten. Das komme aber nicht infrage. „Wenn wir etwas übrig haben, lassen wir nichts verfallen“, betont Agternkamp. Schließlich habe man in der Praxis eine lange Warteliste, die man abarbeiten könne. Zurzeit sei Johnson & Johnson stark gefragt, weil bei diesem Serum eine Injektion ausreichend sei.
Wünsche könnten allerdings weder Mediziner noch Patienten äußern. Denn zusammen mit den genannten Informationen hat die Gemeinschaftspraxis erfahren, dass der Bund den gefragten Impfstoff in der kommenden Woche nicht ausliefern werde.