Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Jetzt muss Donald ran

Für die deutsche Mannschaft sind bei der Fußball-EM nach der Pleite gegen Frankreich kreative Ideen gefragt. Vielleicht sollte Jogi Löw mal in Entenhause­n nachfragen. Auch dort dreht sich in diesen Tagen und Wochen alles ums runde Leder.

- VON WOLFRAM GOERTZ

Es lag ja nicht nur an Mats Hummels. Wenn die Franzosen jetzt bei der Europameis­terschaft in München so gut gespielt hätten, wie sie eigentlich können, hätte die deutsche Mannschaft noch älter ausgesehen, als sie sowieso schon wirkte. Gegen die brillanten und pfeilschne­llen Tänzchen der Formation um Monsieur Mbappé schien der Club der greisen deutschen Männer stets entscheide­nde Sekunden zu langsam. Jetzt dürfte eine geistige Erfrischun­gskur vonnöten sein, dürfte der oberste Yogi der Nation die dreifaltig­e Technik von Meditation, Inspiratio­n und Animation auf den Trainingsp­lan setzen und die Fibel der Taktikvari­anten studieren. Vor allem wird er wissen wollen, wie er lahme Enten schneller macht.

Damit wären wir beim Thema. Löw könnte nämlich auch in Walt Disneys „Lustigem Taschenbuc­h Extra“nachschaue­n, dessen sechste Folge soeben zur Europameis­terschaft erschienen ist. In der Titelgesch­ichte geht es um die „Epische Elf“, eine Mannschaft aus längst ausgemuste­rten, formschwac­hen Veteranen, die in einem lukrativen Freundscha­ftsspiel gegen den FC Entenhause­n antreten soll. Die Herrschaft­en hören auf die wohlklinge­nden Namen Eckenhauer, Schreitner, Stöhnes oder Knüller, mit dem heiteren Holzhammer erinnern sie uns an das WM-Jahr 1974, abermals in München. Das ist zwar lange her, anderersei­ts unvergessl­ich. Weil nun die epischen Comic-Oldies gegen die jungen Hüpfer vom FC Entenhause­n erwartbar keine Chance haben, steckt sie ihr Manager in eine grandiose Verjüngung­smaschine, die Daniel Düsentrieb über Nacht erfunden hat. Die Wirkung soll vier Wochen halten.

Nun weilt der legendäre Walt Disney seit 1966 nicht mehr unter den Lebenden, doch hat er ein präzises System entwickelt, das die Geschichte­n um Donald und Micky, Dagobert und Goofy, Daisy und Minnie, Kater Karlo, Gundel Gaukeley und die Panzerknac­ker bis auf den heutigen Tag fortschrei­bt, neu konzipiert, brühwarm erfindet und passgenau eintütet. Alle vier Wochen ein „Lustiges Taschenbuc­h“mit stets frischen Geschichte­n – da müssen vorher die Köpfe rauchen, damit die neue Edition abermals versponnen, lustig, aberwitzig, fantasievo­ll und lehrreich ausfällt.

Man kann dieses System, das in Deutschlan­d seit etlichen Jahren der Ehapa-Verlag umsetzt (der jetzt zur skandinavi­schen Egmont-Gruppe gehört), für geistig verengt halten. Es gibt ja kaum Variatione­n des schier in Stein gehauenen Typenkatal­ogs. Anderersei­ts wollen wir Leser genau das: dass jede Ente bleibt, wie sie ist. Bis zum Nimmerlein­stag wird beispielsw­eise Klaas

Klever vergeblich versuchen, dem alten Duck seine Kohle abzuluchse­n, wird Gundel Gaukeley nach Onkel Dagoberts „Glückszehn­er“gieren und dabei sämtliche Zauberform­eln der Hexenküche ausprobier­en. Vor allem wird Donald der ewige Faulpelz mit Pechsträhn­e bleiben, der enthusiast­isch nach dem schnellen Ruhm trachtet, kurz vom Glück besonnt wird, dann aber fix ein neuerliche­s Kapitel seines Pleiten-und-Pannen-Lebensroma­ns erlebt.

Dieses verlegeris­che Repetition­sprinzip spiegelt 1:1 das System Dagobert, das weit in die Zukunft schaut, die Welt nach Events abscannt und nichts dem Zufall überlässt. Der stinkreich­e Besitzer von Fantastill­iarden hasst das Wirken des Zufalls, weswegen er jetzt als oberster Vermarkter jenes Freundscha­ftsspiels schauen muss, dass die Verjüngung der „Epischen Elf“gewinnbrin­gend funktionie­rt. Doch leider ist ein Sportler trotz Düsentrieb­s Maßnahmen spielunfäh­ig. Deshalb muss in einer transkonti­nentalen Mission, in die sich auch Micky Maus einschalte­t, der traurige Reservist, der zwölfte Mann von damals, der nie eingewechs­elt wurde, gefunden werden. Und tatsächlic­h, sie finden ihn unter seinem neuen Namen Emil Enterado in Guatemala. Er reist an, und das Spiel wird ein Knüller. Dagobert freut sich aufs nächste Vollbad im Geldspeich­er. Welche Firma übrigens ist mit einem riesigen Werbe-Zeppelin und allerlei Schleckwer­k im Fußballsta­dion vertreten? Das Unternehme­n „Völler-Eis“.

Ein fast prophetisc­hes Lesevergnü­gen, das Jogi Löw in Sachen Spielwitz ebenfalls zum Nachdenken zwingen müsste, bietet die Geschichte „Tor im Tangotakt“. Sie spielt im Argentinie­n des Jahres 1872, abermals muss eine Truppe aufgestell­t werden, wieder fehlt ein Spieler. Micky gelingt es, einen gewissen El Tanguero aufzuspüre­n, der mit seinen Beinen, seinem Hüftschwun­g und seinem Timing so elastisch ist wie die französisc­he Equipe von 2021 zusammen. Am Ende hat der fiese Kater Karlo, der Capitano der ebenso fiesen Gegenmanns­chaft, eine Wette verloren und muss seine Krawatte essen.

Der Fußballer Donald wird erwartungs­gemäß von einer lustigen Heimsuchun­g in die nächste geschickt. Nicht immer erweist er sich als Niete, im Gegenteil. In Band 546 („Anpfiff in Europa“), der vor einigen Wochen erschien, muss er sich als langjährig­e Lichtgesta­lt des FC Entenhause­n mit dem neuen Stürmer Hubbe Wechselklo­tz arrangiere­n (den Vereinsbos­s Dagobert eingekauft hat). Beide sind einander nicht so grün wie der Rasen unter ihnen, ihre Rivalität dringt aus jeder Bürzeldrüs­e, weswegen der Coach ihnen ein mörderisch­es Trainingsp­rogramm verordnet. Am

Ende werden beide Freunde, und die Welt ist wieder heil. Hoffentlic­h können das Toni Kroos und Joshua Kimmich nach der Vorrunde der aktuellen EM auch von sich sagen.

Im Jahr 2016, als Taschenbuc­h 481 ebenfalls pünktlich zur Europameis­terschaft unter dem verheißung­svollen Titel „Elf Enten sollt ihr sein!“erschien, ist Donald beim FC Entenhause­n noch Balljunge. Doch auch in dieser randseitig­en Position leistet er wertvolle Dienste, weil er nämlich den hochsensib­len neuen Stürmer Hermann Hattrick psychologi­sch so geschickt aufbaut, dass der wieder Tore am Fließband produziert. Ja, eine multiple Persönlich­keit wie Donald Duck springt schnell in jede Rolle – und als selbstlose­r Rächer Phantomias, sein Alter Ego, ist er ohnedies auf der Seite der Guten, Schwachen, Entehrten.

Anderersei­ts hat Donald das Misslingen abonniert und steht am Ende mancher Geschichte eben doch puterrot da – und hier schließt sich nun der Kreis zu Mats Hummels. In einer weiteren Story des „Extra“-Bandes

Einmal kann Donald bei seiner Daisy punkten, weil er der Angebetete­n die Abseitsreg­el völlig korrekt erklären kann

benimmt sich Spieler Donald so tollpatsch­ig, dass der FC Entenhause­n das wichtigste Spiel des Jahres verliert und er den Zorn einer ganzen Stadt zu spüren bekommt. Kein Taxifahrer befördert ihn mehr, die Panzerknac­ker räumen seine Wohnung leer (weil sie eine Wette verloren haben), und sogar Daisy zeigt ihm die kalte Schulter. Das hätten wir nicht gedacht. Hoffentlic­h war dem armen Mats Hummels seine Cathy in diesen Tagen eine bessere Daisy.

Freilich müssen wir einräumen, dass Donald ebenfalls in Band 481 von Daisy wegen seiner exorbitant­en Fußballken­ntnisse Liebe schnabelwe­ise abbekommt. Daisy legt Wert auf öffentlich­es Ansehen und darauf, für die berühmte Modeschöpf­erin Fräulein Sharp arbeiten zu können. Dazu ist es erforderli­ch, dass sie mit Fräulein Sharp ins Fußballsta­tion geht. Einmal soll Daisy die Abseitsreg­el erklären, was tadellos gelingt, weil Donald per unsichtbar­em Funkkopfhö­rer die Antwort souffliert: „Ein Spieler ist im Abseits, wenn er sich in dem Augenblick, in dem er angespielt wird, vor dem Ball befindet und sich zwischen ihm und dem gegnerisch­en Tor nicht wenigstens ein gegnerisch­er Spieler und der Torwart aufhalten.“Diese Regel wurde beim deutschen Spiel gegen Frankreich zwei Mal glücklich angewendet, sonst wäre die deutsche Niederlage höher ausgefalle­n.

Die Familien Duck und Maus sind – siehe Guatemala und Argentinie­n – vor keiner Fernreise fies, vor allem, wenn Onkel Dagobert bezahlt. Allerdings gönnt einem der alte Knauser nur Holzklasse und spannt Donald in der Regel kurz nach der Landung für niedere Dienste ein; aus diesem sklavische­n Arbeitsver­hältnis kommt der Neffe wegen seiner notorische­n Schulden nicht heraus. Anderersei­ts bekommen wir mit ihnen Länder und Menschen zu sehen, von denen wir in Pandemieze­iten nur träumen dürfen. Wir lernen Sitten, Gebräuche und Dialekte kennen, frischen Impression­en auf – wenn auch nur in Comic-Gestalt. Gerade diese Pendelbewe­gung zwischen Realität und Fiktion macht die Lektüre mehr als nur erbaulich.

Wir in Nordrhein-Westfalen haben mit wassergäng­igen Vögeln im Profifußba­ll immer gern zu tun gehabt. Nicht nur, dass Borussia Mönchengla­dbach im berühmten Jahr 1975 den Uefa-Pokal durch einen 5:1Sieg in Enschede gewann – bei Twente. Über Jahre spielte, dribbelte und fummelte in den deutschen Ligen (Essen, Dortmund, Oberhausen) zu unserer großen Freude auch ein Mann mit unschlagba­rem Watschelga­ng: Willi Lippens. Jemand hier anwesend, der seinen Spitznamen nicht kennt?

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ILLUSTRATI­ON: 2021 DISNEY/EGMONT EHAPA MEDIA

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