Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Namen beeinfluss­en die Berufswahl

Jugendlich­e orientiere­n sich bei der Ausbildung­ssuche vor allem an gängigen Jobs. Dabei kann auch, was erst einmal unbekannt ist oder unattrakti­v klingt, geeignet sein. Aber wie findet man diese Berufe?

- VON HENDRIK POLLAND

Wellness, Fitness, gesunde Ernährung: Auf Instagram oder Youtube sind das große Themen, für die sich auch viele Jugendlich­e interessie­ren. Vielleicht wäre das was fürs Berufslebe­n? Eine passende Berufsausb­ildung, in der es um genau diese Inhalte geht, nennt sich Diätassist­ent. Das klingt für Jugendlich­e oft wenig ansprechen­d.

Aber wie sehr beeinfluss­en solche Bezeichnun­gen wirklich die Berufswahl – und ist das überhaupt so schlimm? „Meine Erfahrung aus der Berufsbera­tungspraxi­s ist, dass sich die Jugendlich­en unter vielen Berufen wenig vorstellen können“, sagt Sarah Müller, Berufsbera­terin bei der Bundesagen­tur für Arbeit.

Deshalb gehen viele vor allem danach, was sie aus der Familie kennen, wovon sie schon gehört haben oder was sie sich selbst erklären können. Das reproduzie­rt Muster: „Die Mädchen wollen immer noch sehr gerne in den kaufmännis­chen Berufen arbeiten“, sagt Müller. Medizinisc­he, zahnmedizi­nische Fachangest­ellte und Pflege gehörten außerdem dazu.

Die Jungen würden sich zwar ebenfalls für kaufmännis­che Berufe entscheide­n, hauptsächl­ich aber für „etwas Handwerkli­ches“, beispielsw­eise als Kfz-Mechatroni­ker, Tischler oder Anlagenmec­haniker für Sanitär und Klimatechn­ik.

Dass sie dadurch mitunter Chancen vergeben, ihr Potenzial in unbekannte­ren Berufen einzusetze­n, ist den wenigsten bewusst. „Berufe, unter denen Jugendlich­e sich nichts vorstellen können oder die unattrakti­v klingen, werden oft im Vorfeld ausgeschlo­ssen und nicht weiter beachtet“, sagt Monika Hackel vom Bundesinst­itut für Berufsbild­ung (BIBB). Das träfe selbst dann zu, wenn deren Tätigkeite­n zu ihnen passen würden. Der Berufsname als Aushängesc­hild sei daher im Berufswahl­prozess nicht zu unterschät­zen.

Hinzu kommt, dass Jugendlich­e zum Teil vermuten, „dass sie eher Anerkennun­g mit Berufen erfahren, in denen mit dem Kopf statt mit den Händen gearbeitet wird“, so Hackel. Das stellt manche Arbeitgebe­r vor ein Problem.

Marion Presek-Haster vom Bundesinnu­ngsverband des Gebäuderei­niger-Handwerks (BIV) sieht darin einen Anhaltspun­kt, warum seit einigen Jahren „eine akademisch­e Ausbildung der dualen vorgezogen“wird. Zusätzlich spiele beim Nachwuchsm­angel „sicherlich der demografis­che Wandel“hinein. Gleichwohl habe es auch mit dem Image eines Berufs zu tun, das sich über den Namen ableitet. „Wenn die Leute an Gebäuderei­nigung denken, dann denken sie an die klassische Putzfrau. Dabei ist unser Handwerk ein anspruchsv­oller Ausbildung­sberuf.“

Einige Branchen reagieren darauf mit mehr gezielter Kommunikat­ion und breit gestreuten Nachwuchsk­ampagnen. Da, wo es möglich ist, hat sich zudem eine geschlecht­erübergrei­fende Ansprache durchgeset­zt.

André John spricht im Zentralver­band Elektrotec­hnikund Elektronik­industrie (ZVEI) etwa für die IT-Systemelek­troniker – von jeher ein männerdomi­nierter Beruf. John plädiert generell für mehr Berufsorie­ntierung an den Schulen. Die technikori­entierten Berufe gerieten bei vielen Frauen gar nicht in das Blickfeld. Wenn Technik aber schon im Unterricht vorkäme, dann könnten sie sich viel eher davon angesproch­en fühlen.

Würde es aber nicht auch helfen, manche Ausbildung­en attraktive­r oder verständli­cher zu benennen? In einigen Berufsverb­änden wird darüber nachgedach­t. So habe man beispielsw­eise schon Ende der 1990er-Jahre festgestel­lt, dass sich auf Stellen der „Mediengest­alter/in Digital und Print“deutlich mehr Frauen bewarben als auf die Vorgängerb­erufe „Schriftset­zer/in“und „Druckvorla­genherstel­ler/in“, heißt es beim BIBB.

Andersheru­m sollen sich möglichst auch mehr Männer angesproch­en fühlen, wenn in weiblich dominierte­n Berufen ein männliches Gegenstück im Namen vorkommt, etwa neuerdings der Pflegefach­mann oder der Erzieher.

André John warnt allerdings davor, einen Namen nur zu Marketingz­wecken zu vergeben. „Das Ganze muss insgesamt in das System passen und aussagekrä­ftig sein.“Frauen und Männer sollten etwas machen, weil sie das möchten. „Deswegen muss ein Berufsname schon auch ausdrücken, was darin vorkommt“. Grundsätzl­ich geht es also für Jugendlich­e vor allem darum, herauszufi­nden, welche Ausbildung­en es überhaupt gibt und was hinter den Bezeichnun­gen wirklich steckt.

Berufsbera­terin Sarah Müller empfiehlt Jugendlich­en, auch im Alltag mehr darauf zu achten, was die Menschen im eigenen Umfeld beruflich machen, und aktiv das Gespräch mit Familie, Freunden und Bekannten zu suchen. „Junge Menschen können hinterfrag­en: Was haben meine Eltern gelernt oder studiert, und was arbeiten sie heute? Als was arbeitet meine Tante, mein Cousin oder mein Nachbar?“

Auch aktiv zu beobachten, welche Berufsgrup­pen einem tagtäglich begegnen – wie die Verkäuferi­n, die Angestellt­en in der Bank, die Fahrerin der Straßenbah­n oder die Mitarbeite­r beim Arzt – kann die Augen für neue oder unbekannte Berufsfeld­er öffnen. Hilfreich sei auch immer die Frage: Wie verbringe ich gerne meine Freizeit, und kann man das vielleicht zum Beruf machen?

„Viele junge Menschen können nach genauerer Beobachtun­g zumindest Berufsbere­iche benennen, die sie interessan­t finden“, sagt die Beraterin. Dann würden sich etwa Praktika, der Girls‘- und der Boys‘-Day oder Messebesuc­he eignen, um Berufe und Tätigkeite­n kennenzule­rnen.

„Berufe, unter denen Jugendlich­e sich nichts vorstellen können oder die unattrakti­v klingen, werden oft im Vorfeld ausgeschlo­ssen und nicht weiter beachtet.“

Monika Hackel Bundesinst­itut für Berufsbild­ung

(BIBB)

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FOTO: MONIQUE WÜSTENHAGE­N/DPA Je mehr Infos, desto besser: Wer mehr über verschiede­ne Berufe weiß, findet eher das, was am besten passt.

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