Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Namen beeinflussen die Berufswahl
Jugendliche orientieren sich bei der Ausbildungssuche vor allem an gängigen Jobs. Dabei kann auch, was erst einmal unbekannt ist oder unattraktiv klingt, geeignet sein. Aber wie findet man diese Berufe?
Wellness, Fitness, gesunde Ernährung: Auf Instagram oder Youtube sind das große Themen, für die sich auch viele Jugendliche interessieren. Vielleicht wäre das was fürs Berufsleben? Eine passende Berufsausbildung, in der es um genau diese Inhalte geht, nennt sich Diätassistent. Das klingt für Jugendliche oft wenig ansprechend.
Aber wie sehr beeinflussen solche Bezeichnungen wirklich die Berufswahl – und ist das überhaupt so schlimm? „Meine Erfahrung aus der Berufsberatungspraxis ist, dass sich die Jugendlichen unter vielen Berufen wenig vorstellen können“, sagt Sarah Müller, Berufsberaterin bei der Bundesagentur für Arbeit.
Deshalb gehen viele vor allem danach, was sie aus der Familie kennen, wovon sie schon gehört haben oder was sie sich selbst erklären können. Das reproduziert Muster: „Die Mädchen wollen immer noch sehr gerne in den kaufmännischen Berufen arbeiten“, sagt Müller. Medizinische, zahnmedizinische Fachangestellte und Pflege gehörten außerdem dazu.
Die Jungen würden sich zwar ebenfalls für kaufmännische Berufe entscheiden, hauptsächlich aber für „etwas Handwerkliches“, beispielsweise als Kfz-Mechatroniker, Tischler oder Anlagenmechaniker für Sanitär und Klimatechnik.
Dass sie dadurch mitunter Chancen vergeben, ihr Potenzial in unbekannteren Berufen einzusetzen, ist den wenigsten bewusst. „Berufe, unter denen Jugendliche sich nichts vorstellen können oder die unattraktiv klingen, werden oft im Vorfeld ausgeschlossen und nicht weiter beachtet“, sagt Monika Hackel vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). Das träfe selbst dann zu, wenn deren Tätigkeiten zu ihnen passen würden. Der Berufsname als Aushängeschild sei daher im Berufswahlprozess nicht zu unterschätzen.
Hinzu kommt, dass Jugendliche zum Teil vermuten, „dass sie eher Anerkennung mit Berufen erfahren, in denen mit dem Kopf statt mit den Händen gearbeitet wird“, so Hackel. Das stellt manche Arbeitgeber vor ein Problem.
Marion Presek-Haster vom Bundesinnungsverband des Gebäudereiniger-Handwerks (BIV) sieht darin einen Anhaltspunkt, warum seit einigen Jahren „eine akademische Ausbildung der dualen vorgezogen“wird. Zusätzlich spiele beim Nachwuchsmangel „sicherlich der demografische Wandel“hinein. Gleichwohl habe es auch mit dem Image eines Berufs zu tun, das sich über den Namen ableitet. „Wenn die Leute an Gebäudereinigung denken, dann denken sie an die klassische Putzfrau. Dabei ist unser Handwerk ein anspruchsvoller Ausbildungsberuf.“
Einige Branchen reagieren darauf mit mehr gezielter Kommunikation und breit gestreuten Nachwuchskampagnen. Da, wo es möglich ist, hat sich zudem eine geschlechterübergreifende Ansprache durchgesetzt.
André John spricht im Zentralverband Elektrotechnikund Elektronikindustrie (ZVEI) etwa für die IT-Systemelektroniker – von jeher ein männerdominierter Beruf. John plädiert generell für mehr Berufsorientierung an den Schulen. Die technikorientierten Berufe gerieten bei vielen Frauen gar nicht in das Blickfeld. Wenn Technik aber schon im Unterricht vorkäme, dann könnten sie sich viel eher davon angesprochen fühlen.
Würde es aber nicht auch helfen, manche Ausbildungen attraktiver oder verständlicher zu benennen? In einigen Berufsverbänden wird darüber nachgedacht. So habe man beispielsweise schon Ende der 1990er-Jahre festgestellt, dass sich auf Stellen der „Mediengestalter/in Digital und Print“deutlich mehr Frauen bewarben als auf die Vorgängerberufe „Schriftsetzer/in“und „Druckvorlagenhersteller/in“, heißt es beim BIBB.
Andersherum sollen sich möglichst auch mehr Männer angesprochen fühlen, wenn in weiblich dominierten Berufen ein männliches Gegenstück im Namen vorkommt, etwa neuerdings der Pflegefachmann oder der Erzieher.
André John warnt allerdings davor, einen Namen nur zu Marketingzwecken zu vergeben. „Das Ganze muss insgesamt in das System passen und aussagekräftig sein.“Frauen und Männer sollten etwas machen, weil sie das möchten. „Deswegen muss ein Berufsname schon auch ausdrücken, was darin vorkommt“. Grundsätzlich geht es also für Jugendliche vor allem darum, herauszufinden, welche Ausbildungen es überhaupt gibt und was hinter den Bezeichnungen wirklich steckt.
Berufsberaterin Sarah Müller empfiehlt Jugendlichen, auch im Alltag mehr darauf zu achten, was die Menschen im eigenen Umfeld beruflich machen, und aktiv das Gespräch mit Familie, Freunden und Bekannten zu suchen. „Junge Menschen können hinterfragen: Was haben meine Eltern gelernt oder studiert, und was arbeiten sie heute? Als was arbeitet meine Tante, mein Cousin oder mein Nachbar?“
Auch aktiv zu beobachten, welche Berufsgruppen einem tagtäglich begegnen – wie die Verkäuferin, die Angestellten in der Bank, die Fahrerin der Straßenbahn oder die Mitarbeiter beim Arzt – kann die Augen für neue oder unbekannte Berufsfelder öffnen. Hilfreich sei auch immer die Frage: Wie verbringe ich gerne meine Freizeit, und kann man das vielleicht zum Beruf machen?
„Viele junge Menschen können nach genauerer Beobachtung zumindest Berufsbereiche benennen, die sie interessant finden“, sagt die Beraterin. Dann würden sich etwa Praktika, der Girls‘- und der Boys‘-Day oder Messebesuche eignen, um Berufe und Tätigkeiten kennenzulernen.
„Berufe, unter denen Jugendliche sich nichts vorstellen können oder die unattraktiv klingen, werden oft im Vorfeld ausgeschlossen und nicht weiter beachtet.“
Monika Hackel Bundesinstitut für Berufsbildung
(BIBB)