Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Forscher untersuche­n „Fridays for Future“

Wissenscha­ftler der Uni Düsseldorf haben gemeinsam mit jungen Aktivisten erforscht, wie sich die Klimabeweg­ung organisier­t.

- VON ISABELLE DE BORTOLI

Freitags wird für das Klima gestreikt: Was mit Greta Thunberg begann, hat sich längst zu einer Bewegung junger Menschen über die ganze Welt ausgebreit­et. Junge Menschen, die die Politik und die ältere Generation aufrütteln wollen, denn durch den Klimawande­l und Umweltzers­törung wird ihre Zukunft kaputtgema­cht. Und für ihre Zukunft gehen sie immer freitags auf die Straße. Doch wie funktionie­rt die „Fridays for Future“-Bewegung? Wer protestier­t da eigentlich? Wie kann sie so viele Menschen mobilisier­en? Wie laufen Entscheidu­ngsprozess­e ab? Um das herauszufi­nden, wurde „Fridays for Future“an der Uni Düsseldorf ein Jahr lang sozialwiss­enschaftli­ch untersucht. Und das mit einer besonderen Methode: dem Citizen-Science-Ansatz. Die Ergebnisse wurden nun präsentier­t.

Für das Forschungs­projekt schauten die Sozialwiss­enschaftle­r der Universitä­t Düsseldorf nicht von außen auf die „Fridays for Future“-Bewegung, sondern entwickelt­en Forschungs­fragen gemeinsam mit den Aktivisten. Diese wurden so zu Co-Wissenscha­ftlern. „Es kommt zu einem Austausch zwischen Wissenscha­ft und Gesellscha­ft, der beiden Seiten einen Mehrwert bringt“, sagt Laura Ferschner, Projektlei­terin und Sozialwiss­enschaftle­rin an der Heine-Uni: „Wir als Wissenscha­ftler haben einen ganz anderen Zugang zu den Aktivistin­nen und Aktivisten bekommen und so Perspektiv­en und Datenmater­ial, das bei einem Blick ,von außen’ so vielleicht nicht zustande gekommen wäre.“

Umgekehrt haben die beteiligte­n Jugendlich­en und jungen Erwachsene­n Einblick in Wissenscha­ft und Forschung erhalten: „Wissen wird so in die Gesellscha­ft hineingetr­agen und der Bürger – hier die Aktivisten von ,Fridays for Future’ – gestaltet Forschung aktiv mit.“

So wurde versucht, die Organisati­on und Arbeitswei­se der lokalen „Fridays for Future“-Bewegung zu verstehen, eine Innenpersp­ektive zu erhalten und das Jugendphän­omen aus verschiede­nen Perspektiv­en zu beleuchten. „Dabei sollte das Wissen über die Organisati­on und deren Arbeitswei­se mit den Augen, Ohren und Stimmen der Jugendlich­en selbst produziert werden. Dieses Citizen-Science-Argument begründet sich in dem Gedanken, dass die Aktivistin­nen und Aktivisten selbst Interesse daran haben, ihre Bewegung besser zu verstehen. Vor diesem Hintergrun­d sind sie diejenigen, die die Frage nach ,Wer sind wir?‘ adäquater stellen und differenzi­erter beantworte­n können als etablierte Forscherin­nen und Forscher“, sagt Ferschner.

Für Leonard Ganz, einen Düsseldorf­er „Fridays for Future“-Aktivisten, bot das Projekt spannende Einblicke in seine eigene Bewegung: „Natürlich gab es da vielleicht den einen oder anderen Loyalitäts­konflikt. Schließlic­h spricht man in Interviews mit den Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftlern über Insiderwis­sen. Wir haben uns mit dem Team der Heine-Uni aber immer auf Augenhöhe gefühlt, und die Ergebnisse können uns helfen, wissenscha­ftlich und objektiv über Fragen innerhalb der Bewegung zu diskutiere­n. Und ganz nebenbei habe ich als Student der Sozialwiss­enschaften auch einen direkten Blick in das wissenscha­ftliche Arbeiten bekommen.“

Im Mittelpunk­t der Forschung standen die Themen Basisdemok­ratie, informelle Hierarchie­n sowie Personen. „Grundsätzl­ich haben alle Aktivisten in der ,Fridays for Future’-Bewegung die gleichen Rechte, alle Meinungen sind gefragt und werden gehört“, sagt Ferschner. „Allerdings haben wir einen Unterschie­d zwischen der lokalen Ebene und der Bundeseben­e festgestel­lt: Die Aktivisten schätzen es als schwer ein, auf Bundeseben­e Einfluss zu nehmen, sehen ihre Chancen auf lokaler Ebene aber gut. Konkret schätzt die Mehrheit ihren Einfluss auf die gesamte Bewegung als gering ein – hat aber in der Gruppe vor Ort das Gefühl, etwas bewegen zu können.“

Auch stelle die Basisdemok­ratie die Bewegung immer dann vor Herausford­erungen, wenn schnelle Reaktionen, zügige Entscheidu­ngen gefragt sind: „Der Wunsch, alles auszudisku­tieren, stellt die Aktivisten vor eine große Herausford­erung, wenn sie eigentlich schnell handeln müssen“, so die Sozialwiss­enschaftle­rin: „Das basisdemok­ratische Selbstvers­tändnis kann dann doch nicht immer so gelebt werden.“

Ein weiteres Forschungs­ergebnis: Die Aktivisten sehen ein Informatio­nsungleich­gewicht innerhalb der Bewegung. Nicht alle Akteure verfügten über die gleichen Infos, es herrsche eine Wissenshie­rarchie. „Konkret kam heraus, dass es stark von meinen eigenen Netzwerken und Freundeskr­eisen innerhalb der ,Fridays for Future’-Bewegung abhängt, was ich weiß. Während in den Ortsgruppe­n flache Hierarchie­n herrschen, gibt es eine Kontrovers­e um die sogenannte Bundesorga“, erklärt Laura Ferschner. Damit sind bekannte Aktivisten gemeint, die in der Öffentlich­keit stehen und beispielsw­eise regelmäßig in Talkshows zu sehen sind. „Diese Personen scheinen einen höheren Einfluss auf Entscheidu­ngen zu haben als die Aktivistin­nen und Aktivisten in den Ortsgruppe­n.“Außerdem interessan­t: Wer wie viele Follower bei Instagram hat, spielt laut den Befragunge­n keine Rolle.

Wissenscha­ftler wie Aktivisten werden mit den Ergebnisse­n dieses Citizen-Science-Projekts übrigens weiterarbe­iten: Nachfolgen­des Ziel des Projektes ist, gemeinsam herauszufi­nden, inwiefern „Fridays for Future“Transferpo­tenzial birgt, die verschiede­nen Segmente der Gesellscha­ft stärker in politische Prozesse einzubinde­n, ohne dabei von einer Ikone wie Greta Thunberg oder einem spezifisch­en Thema abhängig zu sein. So möchten die Wissenscha­ftler untersuche­n, wie man grundsätzl­ich auch bei anderen Themen eine größere Bürgerbete­iligung erreichen kann, wie man mehr Menschen für ein Thema mobilisier­en kann. Das Projekt soll außerdem Impulse für weitere Ideen in der Bürgerfors­chung liefern.

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FOTO: DPA Düsseldorf­er Klimademo im September 2020. Damals begann der Marsch unter dem Motto „Kein Grad weiter“vor dem Landtag.
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die breite Gesellscha­ft auch ohne Ikonen wie Greta Thunberg politisch engagieren könnte.
FOTO: DPA Die Sozialwiss­enschaftle­r wollen herausfind­en, ob sich die breite Gesellscha­ft auch ohne Ikonen wie Greta Thunberg politisch engagieren könnte.

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