Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Forscher untersuchen „Fridays for Future“
Wissenschaftler der Uni Düsseldorf haben gemeinsam mit jungen Aktivisten erforscht, wie sich die Klimabewegung organisiert.
Freitags wird für das Klima gestreikt: Was mit Greta Thunberg begann, hat sich längst zu einer Bewegung junger Menschen über die ganze Welt ausgebreitet. Junge Menschen, die die Politik und die ältere Generation aufrütteln wollen, denn durch den Klimawandel und Umweltzerstörung wird ihre Zukunft kaputtgemacht. Und für ihre Zukunft gehen sie immer freitags auf die Straße. Doch wie funktioniert die „Fridays for Future“-Bewegung? Wer protestiert da eigentlich? Wie kann sie so viele Menschen mobilisieren? Wie laufen Entscheidungsprozesse ab? Um das herauszufinden, wurde „Fridays for Future“an der Uni Düsseldorf ein Jahr lang sozialwissenschaftlich untersucht. Und das mit einer besonderen Methode: dem Citizen-Science-Ansatz. Die Ergebnisse wurden nun präsentiert.
Für das Forschungsprojekt schauten die Sozialwissenschaftler der Universität Düsseldorf nicht von außen auf die „Fridays for Future“-Bewegung, sondern entwickelten Forschungsfragen gemeinsam mit den Aktivisten. Diese wurden so zu Co-Wissenschaftlern. „Es kommt zu einem Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, der beiden Seiten einen Mehrwert bringt“, sagt Laura Ferschner, Projektleiterin und Sozialwissenschaftlerin an der Heine-Uni: „Wir als Wissenschaftler haben einen ganz anderen Zugang zu den Aktivistinnen und Aktivisten bekommen und so Perspektiven und Datenmaterial, das bei einem Blick ,von außen’ so vielleicht nicht zustande gekommen wäre.“
Umgekehrt haben die beteiligten Jugendlichen und jungen Erwachsenen Einblick in Wissenschaft und Forschung erhalten: „Wissen wird so in die Gesellschaft hineingetragen und der Bürger – hier die Aktivisten von ,Fridays for Future’ – gestaltet Forschung aktiv mit.“
So wurde versucht, die Organisation und Arbeitsweise der lokalen „Fridays for Future“-Bewegung zu verstehen, eine Innenperspektive zu erhalten und das Jugendphänomen aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. „Dabei sollte das Wissen über die Organisation und deren Arbeitsweise mit den Augen, Ohren und Stimmen der Jugendlichen selbst produziert werden. Dieses Citizen-Science-Argument begründet sich in dem Gedanken, dass die Aktivistinnen und Aktivisten selbst Interesse daran haben, ihre Bewegung besser zu verstehen. Vor diesem Hintergrund sind sie diejenigen, die die Frage nach ,Wer sind wir?‘ adäquater stellen und differenzierter beantworten können als etablierte Forscherinnen und Forscher“, sagt Ferschner.
Für Leonard Ganz, einen Düsseldorfer „Fridays for Future“-Aktivisten, bot das Projekt spannende Einblicke in seine eigene Bewegung: „Natürlich gab es da vielleicht den einen oder anderen Loyalitätskonflikt. Schließlich spricht man in Interviews mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern über Insiderwissen. Wir haben uns mit dem Team der Heine-Uni aber immer auf Augenhöhe gefühlt, und die Ergebnisse können uns helfen, wissenschaftlich und objektiv über Fragen innerhalb der Bewegung zu diskutieren. Und ganz nebenbei habe ich als Student der Sozialwissenschaften auch einen direkten Blick in das wissenschaftliche Arbeiten bekommen.“
Im Mittelpunkt der Forschung standen die Themen Basisdemokratie, informelle Hierarchien sowie Personen. „Grundsätzlich haben alle Aktivisten in der ,Fridays for Future’-Bewegung die gleichen Rechte, alle Meinungen sind gefragt und werden gehört“, sagt Ferschner. „Allerdings haben wir einen Unterschied zwischen der lokalen Ebene und der Bundesebene festgestellt: Die Aktivisten schätzen es als schwer ein, auf Bundesebene Einfluss zu nehmen, sehen ihre Chancen auf lokaler Ebene aber gut. Konkret schätzt die Mehrheit ihren Einfluss auf die gesamte Bewegung als gering ein – hat aber in der Gruppe vor Ort das Gefühl, etwas bewegen zu können.“
Auch stelle die Basisdemokratie die Bewegung immer dann vor Herausforderungen, wenn schnelle Reaktionen, zügige Entscheidungen gefragt sind: „Der Wunsch, alles auszudiskutieren, stellt die Aktivisten vor eine große Herausforderung, wenn sie eigentlich schnell handeln müssen“, so die Sozialwissenschaftlerin: „Das basisdemokratische Selbstverständnis kann dann doch nicht immer so gelebt werden.“
Ein weiteres Forschungsergebnis: Die Aktivisten sehen ein Informationsungleichgewicht innerhalb der Bewegung. Nicht alle Akteure verfügten über die gleichen Infos, es herrsche eine Wissenshierarchie. „Konkret kam heraus, dass es stark von meinen eigenen Netzwerken und Freundeskreisen innerhalb der ,Fridays for Future’-Bewegung abhängt, was ich weiß. Während in den Ortsgruppen flache Hierarchien herrschen, gibt es eine Kontroverse um die sogenannte Bundesorga“, erklärt Laura Ferschner. Damit sind bekannte Aktivisten gemeint, die in der Öffentlichkeit stehen und beispielsweise regelmäßig in Talkshows zu sehen sind. „Diese Personen scheinen einen höheren Einfluss auf Entscheidungen zu haben als die Aktivistinnen und Aktivisten in den Ortsgruppen.“Außerdem interessant: Wer wie viele Follower bei Instagram hat, spielt laut den Befragungen keine Rolle.
Wissenschaftler wie Aktivisten werden mit den Ergebnissen dieses Citizen-Science-Projekts übrigens weiterarbeiten: Nachfolgendes Ziel des Projektes ist, gemeinsam herauszufinden, inwiefern „Fridays for Future“Transferpotenzial birgt, die verschiedenen Segmente der Gesellschaft stärker in politische Prozesse einzubinden, ohne dabei von einer Ikone wie Greta Thunberg oder einem spezifischen Thema abhängig zu sein. So möchten die Wissenschaftler untersuchen, wie man grundsätzlich auch bei anderen Themen eine größere Bürgerbeteiligung erreichen kann, wie man mehr Menschen für ein Thema mobilisieren kann. Das Projekt soll außerdem Impulse für weitere Ideen in der Bürgerforschung liefern.