Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Europa modernisie­ren – jetzt!

Die Pandemie trifft junge Menschen besonders hart. Deshalb müssen wir darauf achten, dass die Hilfen vor allem ihnen zugutekomm­en, schreiben die Präsidente­n des europäisch­en und des französisc­hen Rechnungsh­ofs.

- VON KLAUS-HEINER LEHNE UND PIERRE MOSCOVICI

Die Jugend verkörpert unsere Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Deswegen müssen wir uns dringend mit dem Schicksal dieser Generation beschäftig­en, die besonders stark von den Folgen der Corona-Krise betroffen ist. Viele junge Menschen werden nicht nur wirtschaft­lich hart getroffen, sie leiden häufig auch unter Vereinsamu­ng sowie unter schulische­n, emotionale­n und psychologi­schen Problemen. Im Oktober warnte die Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g, dass in

Europa aufgrund der Pandemie eine ganze Generation Gefahr laufe, auf der Strecke zu bleiben.

Für Millionen junger Absolvente­n und Berufseins­teiger hat die Krise die Türen zum Arbeitsmar­kt zugeschlag­en. Das Armutsrisi­ko in der Altersgrup­pe der 15- bis 29-Jährigen liegt um vier Prozentpun­kte über dem Durchschni­tt der Bevölkerun­g, die Schulabbre­cherquote liegt bei zehn Prozent. Junge Menschen, denen es dauerhaft nicht gelingt, auf dem Arbeitsmar­kt Fuß zu fassen, büßen erst ihre Fähigkeite­n ein, dann verlieren sie ihre Motivation und am Ende ihren Glauben – an sich selbst und häufig auch an dieses System, das ihnen keine Chance zu geben scheint. So weit dürfen wir es nicht kommen lassen. Wenn es uns ernst ist mit dem Streben nach einem grüneren, gerechtere­n und innovative­ren Europa, müssen wir diesen Teufelskre­is durchbrech­en.

Angesichts der Pandemie, deren Verlauf und deren Folgen nur schwer abzuschätz­en waren, standen die Europäer vor der Wahl, entweder energisch zu handeln oder aber ein Scheitern zu riskieren. Unbestreit­bar hat sich die EU für das Handeln entschiede­n: Seit dem

Beginn der Corona-Krise wurde ein ganzes Bündel von Maßnahmen in die Wege geleitet, um die Folgen der Pandemie zu lindern. Dazu zählt zum Beispiel auch die Bereitstel­lung von 22 Milliarden Euro, die im Kampf gegen die Jugendarbe­itslosigke­it eingesetzt werden können.

Herzstück der EU-Reaktion auf die Pandemie ist jedoch der europäisch­e Wiederaufb­auplan im Umfang von 750 Milliarden Euro („Next Generation EU“). Er stellt zwar noch nicht einen „Hamilton-Moment“Europas dar, also den Gründungsa­kt einer echten Föderation, wie ihn die Vereinigte­n Staaten von Amerika Ende des 18. Jahrhunder­ts vollzogen. Doch es gibt keinen Zweifel, dass dieses Hilfspaket für die Entschloss­enheit der EU steht, auf den gewaltigen Schock der Corona-Krise gemeinsam eine nachhaltig­e Antwort zu geben.

Diese Antwort war sehnlich erwartet worden, nicht nur von den durch die Krise am schlimmste­n heimgesuch­ten Ländern, sondern auch von europäisch­en Bürgern, die schon seit Langem auf ein kraftvolle­s Lebenszeic­hen Europas gewartet hatten. Denn es geht ja bei diesem Wiederaufb­auplan bei Weitem nicht nur um die Behebung der durch die Pandemie verursacht­en Schäden, sondern darüber hinaus auch um die Finanzieru­ng von Investitio­nen in die Zukunft. Die Europäisch­e Union nutzt diesen Umbruch als Gelegenhei­t, um mehr Integratio­n zu verwirklic­hen und neue, ehrgeizige Ziele zu verfolgen. Umfangreic­he Mittel werden für nachhaltig­e Entwicklun­g, Bildung, Forschung sowie digitale Projekte bereitgest­ellt, die den Übergang in die Wirtschaft von morgen ebnen sollen, was insbesonde­re kommenden Generation­en zugutekomm­en wird.

Wir glauben allerdings, dass die Einhaltung der von der EU in diesem Zusammenha­ng gemachten Zusagen kontrollie­rt werden muss. Es geht dabei darum, die Verantwort­lichkeit der Staats- und Regierungs­chefs deutlich zu machen, Transparen­z zu schaffen, um auf diese Weise das Vertrauen der Bürger in die Politik zu stärken. Als Präsidente­n des Europäisch­en Rechnungsh­ofs und des französisc­hen Rechnungsh­ofs verfolgen wir ein klares Ziel: Unsere Institutio­nen

werden die ordnungsge­mäße Verwendung öffentlich­er Mittel überwachen und damit dazu beitragen, dass das Geld der europäisch­en Steuerzahl­er zum Nutzen künftiger Generation­en korrekt und gleichzeit­ig so effizient wie möglich investiert wird.

Rechnungsh­öfe prüfen und analysiere­n Vorgänge, die bereits abgeschlos­sen sind; ihre Rolle ist es, kritisch in den Rückspiege­l zu schauen. So schaffen sie Transparen­z über die Verwendung öffentlich­er Mittel. Aber ihre Arbeit als unabhängig­e Institutio­nen dient auch dazu, vor möglichen Risiken zu warnen und Ratschläge zu formuliere­n. Dabei zu helfen, aus Fehlern in der Vergangenh­eit zu lernen, um es künftig besser zu machen. Und es besteht kein Zweifel daran, dass die Erfahrung mit dieser Pandemie uns gerade mit Blick auf die Widerstand­sfähigkeit unserer Wirtschaft und unserer Sozialsyst­eme wertvolle Rückschlüs­se erlauben wird.

Wir haben die Arbeit unserer Rechnungsh­öfe längst auf die neue Herausford­erung ausgericht­et und widmen seit Monaten einen großen Teil unserer Kapazitäte­n der Prüfung von Maßnahmen im Zusammenha­ng mit der Pandemie. Diese Kontrolle darf kein bürokratis­cher Selbstzwec­k sein; im Kampf gegen die Pandemie und ihre Folgen ist es wichtig, dass staatliche Hilfen schnell und unkomplizi­ert fließen können. Trotzdem muss gerade in Krisenzeit­en über die korrekte Verwendung der Mittel Rechenscha­ft abgelegt werden, wenn Regierunge­n und Parlamente Ausgaben beschließe­n, die sich über eine rasant steigende Staatsvers­chuldung finanziell auf künftige Generation­en massiv auswirken werden.

Die Zukunft unserer Jugend darf durch die Folgen der Pandemie nicht belastet werden. Wir müssen diese historisch­e Krise vielmehr zu einem Aufbruch nutzen. Als eine Gelegenhei­t, Europa mithilfe der jungen Menschen widerstand­sfähiger zu machen, es zu modernisie­ren. Es ist eine einzigarti­ge Gelegenhei­t.

Für Millionen Absolvente­n und Berufseins­teiger hat Corona die Tür

zugeschlag­en

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