Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
„Lehrer müssen wieder Lehrer sein dürfen“
Der NRW-Verbandspräsident über fehlende Luftfilter, Beförderungen und unauffällige Krankenstände.
Herr Bartsch, müsste man noch mal die Diskussion über Luftfilteranlagen für alle Klassenräume führen?
BARTSCH Das Agieren der Landesregierung in dieser Frage war unglücklich, weil sie zwar ein Programm aufgelegt hat, dies aber viel zu kompliziert war. Zwischenzeitlich wurde noch der Eindruck erweckt, die Wissenschaft würde das Lüften bevorzugen. Dann frage ich mich aber, warum das Bundesbildungsministerium noch mal ein Millionen-Programm für Luftfilter auflegt. Nach Gesprächen mit Vertretern des Landes habe ich inzwischen aber den Eindruck, dass man da ein Einsehen hat. Ich halte es für sinnvoll, mit Blick auf Mutanten oder andere Pandemien noch einmal über eine flächendeckende Einführung solcher Luftfilter zu sprechen. In einigen Städten hatten Eltern im Übrigen Geld für die Anschaffung gesammelt, die Stadt hat diese aber abgelehnt.
Aus welchem Grund?
BARTSCH Da ging es um Haftungsfragen. Unbestritten wichtige Fragen, aber wenn sich Eltern eigeninitiativ bereit erklären, in eine Schule zu investieren oder gleich bei der Schulklosanierung selbst mit anzupacken, sollte man sie nicht bremsen. Wenn das Geld von privater Seite da ist, warum es dann nicht ins Stadtsäckel überführen und einsetzen? Da fehlen mir Mut und Kreativität. Das kann natürlich keine flächendeckende Lösung sein, grundsätzlich müssen wir uns in Deutschland die Frage stellen, was uns Bildung wert ist, und dann entsprechendes Geld auch auf die Strecke bringen.
Der Bund kann die Schulpolitik nicht direkt finanzieren. Brauchen wir eine neue Föderalismusreform?
BARTSCH Wohl eher eine Finanzierungsreform. Personalfragen und Inhalte müssen Ländersache bleiben. Aber alle Themen rund um die Schulinfrastruktur sollten direkt vom Bund finanziert werden können – allein schon, um bundesweit einheitliche Standards zu haben. Wir haben extremen Nachholbedarf. Das hat uns Pisa in den vergangenen Jahren doch bestätigt. Dabei sind wir ein wohlhabendes Land. Alle, die jetzt in der Schule sind, werden irgendwann einmal die Verantwortung für diese Gesellschaft übernehmen. Nur gut ausgebildete Kinder sorgen dafür, dass die Sozialausgaben reduziert und die Rentenkasse gefüllt werden. Ich erwarte deshalb eine nie dagewesene Bildungsoffensive nach der Pandemie.
Wo fehlt es denn besonders?
BARTSCH Mir sagen viele Kollegen, wie toll es war, beim Wechselunterricht mit halben Klassen zu arbeiten. Man habe mehr und intensiver auf jeden einzelnen Schüler eingehen können. Auch wenn das eine teure Personaloffensive bedeutet, wäre es genau das richtige Mittel. 25 bis 30 Prozent der Kinder haben den Anschluss verloren. Die müssen wir wieder fitmachen. Diese Kinder haben einen Anspruch darauf, dass wir uns individuell mit ihm beschäftigen.
So schnell könnte man aber nie die Fachkräfte bekommen.
BARTSCH Stimmt. Aber allein mit Studenten, Lehramtsanwärtern, Referendaren und reaktivierten Pensionären lassen sich die Lernrückstände nicht aufholen. Das wäre nur ein Operieren an den Symptomen. Lehrer müssen wieder mehr Lehrer sein dürfen und nicht für die Bewältigung von bürokratischem Unsinn herhalten müssen. Da hätte das Land alle Möglichkeiten, das zu entschlacken.
Wie groß ist denn der Verwaltungsaufwand, den die Lehrer zu bewältigen haben?
BARTSCH Enorm. Qualitätsanalysen, Schulprogramm, Konferenzen, Vergleichsstudien. Dazu die Organisation von Klassenfahrten, das permanente Verschriftlichen von Beurteilungen, Elternkontakte. Ich hielte es für sinnvoll, wenn man mehr Verwaltungsangestellte in die Schulen bringt. Heute wird erwartet, dass die Lehrer Psychologen, IT-Administratoren, Sozialarbeiter und Bürokaufleute in einer Person sind. Alles ohne zusätzliches Zeitbudget oder Entgelt. Die Leidensfähigkeit der Kollegen ist hoch, aber so brennt man natürlich auch Belegschaften aus. Aus der CDU gibt es aber Signale, dass das Problem erkannt ist und angegangen werden soll.
Es gibt die Forderung, alle Lehrer schulformunabhängig nach A 13 zu bezahlen. Guter Plan?
BARTSCH Ich finde es schwierig, dass man per Handauflegen alle gleich nach A 13 bezahlt. Da könnten Polizisten oder Finanzbeamte zu Recht die Frage stellen, warum es zu so einer Spontanmassenbeförderung bei Grundschul- und Sek-I-Lehrern kommt, die pro Jahr 750 Millionen Euro verschlingt. Mein Vorschlag: Wir koppeln das an Fortbildungsangebote. Wer sich bereiterklärt, an den Wochenenden einen 60-stündigen Aufbaukursus zu absolvieren, wird in den höheren Dienst hochgestuft. Ältere Kollegen werden sich das dann schon sehr genau überlegen. Alternativ könnte ein höherer Stellenkegel an Beförderungen zur Verfügung gestellt werden.
Was halten Sie von dem Vorschlag, Nachwuchslehrer per Listenvergabe für Problemschulen zu verpflichten?
BARTSCH Die schulscharfe Einstellung hat sich eigentlich bewährt. Dadurch können wir viel schneller und besser besetzen. Wenn Kollegen gegen ihren Willen umziehen müssen, stellen sie spätestens nach drei Jahren den ersten Versetzungsantrag. Dann hat man wieder eine Vakanz. Natürlich muss die Politik reagieren, wenn alle Lehrer nach Köln, Münster oder Düsseldorf wollen, die ländlichen Regionen oder Ruhrgebietsstädte aber meiden. Das Listenverfahren könnte also durchaus Sinn machen, wenn es an eine Zulage gekoppelt wäre. Die Schulträger könnten aber auch selbst kreativ werden.
Wie steht es so kurz vor den Ferien um die Krankenstände bei Lehrern?
BARTSCH Wir haben keinerlei Rückmeldung, dass es da signifikant nach oben geschnellt ist, nachdem man vom Distanz- zum Präsenzunterricht gewechselt hat.
Das Engagement von Lehrern im Distanz- und Wechselunterricht war unterschiedlich. Es gibt auch Schilderungen, dass sich Lehrer zurückgelehnt haben. Welche Konsequenzen sollte das haben?
BARTSCH Es gab solche bedauerlichen Einzelfälle. Daraus jetzt einen Generalverdacht abzuleiten, hielte ich für falsch. Das Gros der Lehrer hat sich sehr engagiert mit den neuen technischen Möglichkeiten beschäftigt und entsprechende Angebote gemacht. In einigen Fällen war das Problem ein gegenteiliges: Manche Lehrer konnten ihre Schüler gar nicht erreichen. In der Anfangsphase der Pandemie kam noch die schlechte Ausstattung hinzu. Wenn ein Schüler kein Laptop oder Smartphone hat und kein W-Lan-Anschluss zu Hause ist, dann wird es mit dem Distanzunterricht schwierig.
Wie ist Ihre Prognose für das kommende Schuljahr?
BARTSCHWir sind jetzt bei Marathonkilometer 33: Das Ziel vor Augen, aber es ist der schwerste Kilometer. Da muss man noch mal richtig Gas geben und alle Luft in Bewegung setzen, die man noch hat. Wenn wir jetzt die Voraussetzungen schaffen für den Präsenzunterricht, sehe ich überhaupt kein Problem, dass wir ein ganz normales Schuljahr bekommen werden.