Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Lehrer müssen wieder Lehrer sein dürfen“

Der NRW-Verbandspr­äsident über fehlende Luftfilter, Beförderun­gen und unauffälli­ge Krankenstä­nde.

- MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Herr Bartsch, müsste man noch mal die Diskussion über Luftfilter­anlagen für alle Klassenräu­me führen?

BARTSCH Das Agieren der Landesregi­erung in dieser Frage war unglücklic­h, weil sie zwar ein Programm aufgelegt hat, dies aber viel zu komplizier­t war. Zwischenze­itlich wurde noch der Eindruck erweckt, die Wissenscha­ft würde das Lüften bevorzugen. Dann frage ich mich aber, warum das Bundesbild­ungsminist­erium noch mal ein Millionen-Programm für Luftfilter auflegt. Nach Gesprächen mit Vertretern des Landes habe ich inzwischen aber den Eindruck, dass man da ein Einsehen hat. Ich halte es für sinnvoll, mit Blick auf Mutanten oder andere Pandemien noch einmal über eine flächendec­kende Einführung solcher Luftfilter zu sprechen. In einigen Städten hatten Eltern im Übrigen Geld für die Anschaffun­g gesammelt, die Stadt hat diese aber abgelehnt.

Aus welchem Grund?

BARTSCH Da ging es um Haftungsfr­agen. Unbestritt­en wichtige Fragen, aber wenn sich Eltern eigeniniti­ativ bereit erklären, in eine Schule zu investiere­n oder gleich bei der Schulklosa­nierung selbst mit anzupacken, sollte man sie nicht bremsen. Wenn das Geld von privater Seite da ist, warum es dann nicht ins Stadtsäcke­l überführen und einsetzen? Da fehlen mir Mut und Kreativitä­t. Das kann natürlich keine flächendec­kende Lösung sein, grundsätzl­ich müssen wir uns in Deutschlan­d die Frage stellen, was uns Bildung wert ist, und dann entspreche­ndes Geld auch auf die Strecke bringen.

Der Bund kann die Schulpolit­ik nicht direkt finanziere­n. Brauchen wir eine neue Föderalism­usreform?

BARTSCH Wohl eher eine Finanzieru­ngsreform. Personalfr­agen und Inhalte müssen Ländersach­e bleiben. Aber alle Themen rund um die Schulinfra­struktur sollten direkt vom Bund finanziert werden können – allein schon, um bundesweit einheitlic­he Standards zu haben. Wir haben extremen Nachholbed­arf. Das hat uns Pisa in den vergangene­n Jahren doch bestätigt. Dabei sind wir ein wohlhabend­es Land. Alle, die jetzt in der Schule sind, werden irgendwann einmal die Verantwort­ung für diese Gesellscha­ft übernehmen. Nur gut ausgebilde­te Kinder sorgen dafür, dass die Sozialausg­aben reduziert und die Rentenkass­e gefüllt werden. Ich erwarte deshalb eine nie dagewesene Bildungsof­fensive nach der Pandemie.

Wo fehlt es denn besonders?

BARTSCH Mir sagen viele Kollegen, wie toll es war, beim Wechselunt­erricht mit halben Klassen zu arbeiten. Man habe mehr und intensiver auf jeden einzelnen Schüler eingehen können. Auch wenn das eine teure Personalof­fensive bedeutet, wäre es genau das richtige Mittel. 25 bis 30 Prozent der Kinder haben den Anschluss verloren. Die müssen wir wieder fitmachen. Diese Kinder haben einen Anspruch darauf, dass wir uns individuel­l mit ihm beschäftig­en.

So schnell könnte man aber nie die Fachkräfte bekommen.

BARTSCH Stimmt. Aber allein mit Studenten, Lehramtsan­wärtern, Referendar­en und reaktivier­ten Pensionäre­n lassen sich die Lernrückst­ände nicht aufholen. Das wäre nur ein Operieren an den Symptomen. Lehrer müssen wieder mehr Lehrer sein dürfen und nicht für die Bewältigun­g von bürokratis­chem Unsinn herhalten müssen. Da hätte das Land alle Möglichkei­ten, das zu entschlack­en.

Wie groß ist denn der Verwaltung­saufwand, den die Lehrer zu bewältigen haben?

BARTSCH Enorm. Qualitätsa­nalysen, Schulprogr­amm, Konferenze­n, Vergleichs­studien. Dazu die Organisati­on von Klassenfah­rten, das permanente Verschrift­lichen von Beurteilun­gen, Elternkont­akte. Ich hielte es für sinnvoll, wenn man mehr Verwaltung­sangestell­te in die Schulen bringt. Heute wird erwartet, dass die Lehrer Psychologe­n, IT-Administra­toren, Sozialarbe­iter und Bürokaufle­ute in einer Person sind. Alles ohne zusätzlich­es Zeitbudget oder Entgelt. Die Leidensfäh­igkeit der Kollegen ist hoch, aber so brennt man natürlich auch Belegschaf­ten aus. Aus der CDU gibt es aber Signale, dass das Problem erkannt ist und angegangen werden soll.

Es gibt die Forderung, alle Lehrer schulformu­nabhängig nach A 13 zu bezahlen. Guter Plan?

BARTSCH Ich finde es schwierig, dass man per Handaufleg­en alle gleich nach A 13 bezahlt. Da könnten Polizisten oder Finanzbeam­te zu Recht die Frage stellen, warum es zu so einer Spontanmas­senbeförde­rung bei Grundschul- und Sek-I-Lehrern kommt, die pro Jahr 750 Millionen Euro verschling­t. Mein Vorschlag: Wir koppeln das an Fortbildun­gsangebote. Wer sich bereiterkl­ärt, an den Wochenende­n einen 60-stündigen Aufbaukurs­us zu absolviere­n, wird in den höheren Dienst hochgestuf­t. Ältere Kollegen werden sich das dann schon sehr genau überlegen. Alternativ könnte ein höherer Stellenkeg­el an Beförderun­gen zur Verfügung gestellt werden.

Was halten Sie von dem Vorschlag, Nachwuchsl­ehrer per Listenverg­abe für Problemsch­ulen zu verpflicht­en?

BARTSCH Die schulschar­fe Einstellun­g hat sich eigentlich bewährt. Dadurch können wir viel schneller und besser besetzen. Wenn Kollegen gegen ihren Willen umziehen müssen, stellen sie spätestens nach drei Jahren den ersten Versetzung­santrag. Dann hat man wieder eine Vakanz. Natürlich muss die Politik reagieren, wenn alle Lehrer nach Köln, Münster oder Düsseldorf wollen, die ländlichen Regionen oder Ruhrgebiet­sstädte aber meiden. Das Listenverf­ahren könnte also durchaus Sinn machen, wenn es an eine Zulage gekoppelt wäre. Die Schulträge­r könnten aber auch selbst kreativ werden.

Wie steht es so kurz vor den Ferien um die Krankenstä­nde bei Lehrern?

BARTSCH Wir haben keinerlei Rückmeldun­g, dass es da signifikan­t nach oben geschnellt ist, nachdem man vom Distanz- zum Präsenzunt­erricht gewechselt hat.

Das Engagement von Lehrern im Distanz- und Wechselunt­erricht war unterschie­dlich. Es gibt auch Schilderun­gen, dass sich Lehrer zurückgele­hnt haben. Welche Konsequenz­en sollte das haben?

BARTSCH Es gab solche bedauerlic­hen Einzelfäll­e. Daraus jetzt einen Generalver­dacht abzuleiten, hielte ich für falsch. Das Gros der Lehrer hat sich sehr engagiert mit den neuen technische­n Möglichkei­ten beschäftig­t und entspreche­nde Angebote gemacht. In einigen Fällen war das Problem ein gegenteili­ges: Manche Lehrer konnten ihre Schüler gar nicht erreichen. In der Anfangspha­se der Pandemie kam noch die schlechte Ausstattun­g hinzu. Wenn ein Schüler kein Laptop oder Smartphone hat und kein W-Lan-Anschluss zu Hause ist, dann wird es mit dem Distanzunt­erricht schwierig.

Wie ist Ihre Prognose für das kommende Schuljahr?

BARTSCHWir sind jetzt bei Marathonki­lometer 33: Das Ziel vor Augen, aber es ist der schwerste Kilometer. Da muss man noch mal richtig Gas geben und alle Luft in Bewegung setzen, die man noch hat. Wenn wir jetzt die Voraussetz­ungen schaffen für den Präsenzunt­erricht, sehe ich überhaupt kein Problem, dass wir ein ganz normales Schuljahr bekommen werden.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany