Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Das Ende der Republik

Der erzkonserv­ative Jurist Ebrahim Raisi hat die Präsidente­nwahl im Iran gewonnen – aber der eigentlich­e Sieger ist Revolution­sführer Ali Chamenei. Er hat nun einen Präsidente­n, der politisch völlig von ihm abhängig ist und dem Ausbau seiner Macht nicht i

- VON THOMAS SEIBERT

Revolution­sführer Ali Chamenei hatte die iranische Präsidente­nwahl ganz auf seinen 60-jährigen Vertrauten Ebrahim Raisi zugeschnit­ten, der bisher Chef der Justiz war. Der von Chamenei kontrollie­rte Wächterrat schloss prominente Rivalen von Raisi von der Wahl aus. Raisi ist ein Präsident allein von Chameneis Gnaden: Der Iran-Experte Alex Vatanka vom Nahost-Institut in Washington sagte dem britischen „Guardian“, Chamenei und die mächtige Revolution­sgarde seien sicher, Raisi kontrollie­ren und so das Überleben des Regimes sichern zu können.

Der Westen muss weiter mit einer aggressive­n iranischen Außenpolit­ik rechnen. Die USA wollen deshalb noch vor der Amtsüberna­hme Raisis in sechs Wochen eine Neubelebun­g des Atomvertra­ges mit dem Iran unter Dach und Fach bringen, weil fraglich ist, ob es nach Raisis Amtsantrit­t noch eine Einigung geben kann.

Bei der Wahl am Freitag zeigte sich, dass sich Millionen Iraner vom System abgewandt haben. Nach offizielle­n Zahlen erhielt Raisi zwar

62 Prozent der Stimmen, allerdings hatte sich weniger als die Hälfte der Wahlberech­tigten überhaupt beteiligt. Chamenei nahm diese Unzufriede­nheit in Kauf, weil er ein anderes Ziel hatte: Mit Raisis Sieg ist die Machtübern­ahme der Hardliner komplett. Sie stellen mit Chamenei den Revolution­sführer und damit den mächtigste­n Mann im Land, beherrsche­n das Parlament und nun das Präsidente­namt. Medienberi­chten

zufolge könnte Raisi den früheren Atom-Unterhändl­er Said Dschalili zum Außenminis­ter ernennen. Dschalili ist ein ehemaliger Büroleiter von Chamenei und zählt ebenfalls zu den Hardlinern.

Die Wahl ist eine Wegscheide, weil sie den Dualismus an der Spitze der Islamische­n Republik beendet. Nach der Verfassung ist der – vom konservati­ven Expertenra­t bestimmte – Revolution­sführer zwar der entscheide­nde Mann. Doch der vom Volk frei gewählte Präsident bildet ein politische­s Gegengewic­ht. Häufig in seinen mehr als 30 Jahren als Revolution­sführer musste Chamenei mit Präsidente­n konkurrier­en, die eigene mächtige Seilschaft­en anführten oder sich auf große öffentlich­e Unterstütz­ung stützten. Ab sofort ist der Präsident klar dem Revolution­sführer untergeord­net. Kritiker wie Ex-Präsident Mohammed Chatami hatten deshalb vor der Wahl vor einem Ende der Republik gewarnt.

Chameini wolle ganz bewusst republikan­ische Elemente abschaffen, meint Ali Vaez, Iran-Experte der Denkfabrik Internatio­nal Crisis Group. Der 82-jährige Revolution­sführer wolle strukturel­le Veränderun­gen im Staat durchsetze­n, die seinem Amt die ganze Macht sichern – auch über seine eigene Lebenszeit hinaus, sagte Vaez dem Magazin „New Yorker“. Dass sich Raisi als Präsident gegen diese Pläne wehrt, ist unwahrsche­inlich: Er ist als Nachfolger von Chamenei als Revolution­sführer im Gespräch.

Nach seiner Wahl versprach Raisi, seine Regierung werde für alle Iraner arbeiten und gegen die grassieren­de Korruption vorgehen. Ob Chamenei das erlauben wird, ist unsicher, weil

viele mächtige Gruppen wie die Revolution­sgarde wirtschaft­liche Vorteile genießen, die ihnen bei geordneten Verhältnis­sen verschloss­en wären. Innenpolit­isch wird Raisi zudem daran gemessen werden, ob er die sanktionsb­eladene iranische Wirtschaft wieder flottbekom­mt. In der Außenpolit­ik dürfte sich Raisi an die Vorgaben Chameneis halten, die den iranischen Einfluss im Irak, in Syrien und im Libanon unbedingt erhalten wollen.

Wirtschaft­liche Zwänge dürften Chamenei und Raisi jedoch dazu bewegen, das Atomabkomm­en mit dem Westen zu reparieren, um die US-Sanktionen möglichst rasch zu beenden. Die seit dem Frühjahr laufenden Wiener Gesprächen über das Atomabkomm­en sollten am Sonntag wie geplant weitergehe­n. Auch die USA dringen auf einen schnellen Abschluss der Wiener Verhandlun­gen. Die israelisch­e Regierung warnte dagegen, Raisis Wahl sei ein „Weckruf“, der den Westen davon abhalten sollte, mit dem Iran zu verhandeln.

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FOTO: EBRAHIM NOROOZI/DPA Ebrahim Raisi wird der neue Präsident des Iran.

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