Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Das Ende der Republik
Der erzkonservative Jurist Ebrahim Raisi hat die Präsidentenwahl im Iran gewonnen – aber der eigentliche Sieger ist Revolutionsführer Ali Chamenei. Er hat nun einen Präsidenten, der politisch völlig von ihm abhängig ist und dem Ausbau seiner Macht nicht i
Revolutionsführer Ali Chamenei hatte die iranische Präsidentenwahl ganz auf seinen 60-jährigen Vertrauten Ebrahim Raisi zugeschnitten, der bisher Chef der Justiz war. Der von Chamenei kontrollierte Wächterrat schloss prominente Rivalen von Raisi von der Wahl aus. Raisi ist ein Präsident allein von Chameneis Gnaden: Der Iran-Experte Alex Vatanka vom Nahost-Institut in Washington sagte dem britischen „Guardian“, Chamenei und die mächtige Revolutionsgarde seien sicher, Raisi kontrollieren und so das Überleben des Regimes sichern zu können.
Der Westen muss weiter mit einer aggressiven iranischen Außenpolitik rechnen. Die USA wollen deshalb noch vor der Amtsübernahme Raisis in sechs Wochen eine Neubelebung des Atomvertrages mit dem Iran unter Dach und Fach bringen, weil fraglich ist, ob es nach Raisis Amtsantritt noch eine Einigung geben kann.
Bei der Wahl am Freitag zeigte sich, dass sich Millionen Iraner vom System abgewandt haben. Nach offiziellen Zahlen erhielt Raisi zwar
62 Prozent der Stimmen, allerdings hatte sich weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten überhaupt beteiligt. Chamenei nahm diese Unzufriedenheit in Kauf, weil er ein anderes Ziel hatte: Mit Raisis Sieg ist die Machtübernahme der Hardliner komplett. Sie stellen mit Chamenei den Revolutionsführer und damit den mächtigsten Mann im Land, beherrschen das Parlament und nun das Präsidentenamt. Medienberichten
zufolge könnte Raisi den früheren Atom-Unterhändler Said Dschalili zum Außenminister ernennen. Dschalili ist ein ehemaliger Büroleiter von Chamenei und zählt ebenfalls zu den Hardlinern.
Die Wahl ist eine Wegscheide, weil sie den Dualismus an der Spitze der Islamischen Republik beendet. Nach der Verfassung ist der – vom konservativen Expertenrat bestimmte – Revolutionsführer zwar der entscheidende Mann. Doch der vom Volk frei gewählte Präsident bildet ein politisches Gegengewicht. Häufig in seinen mehr als 30 Jahren als Revolutionsführer musste Chamenei mit Präsidenten konkurrieren, die eigene mächtige Seilschaften anführten oder sich auf große öffentliche Unterstützung stützten. Ab sofort ist der Präsident klar dem Revolutionsführer untergeordnet. Kritiker wie Ex-Präsident Mohammed Chatami hatten deshalb vor der Wahl vor einem Ende der Republik gewarnt.
Chameini wolle ganz bewusst republikanische Elemente abschaffen, meint Ali Vaez, Iran-Experte der Denkfabrik International Crisis Group. Der 82-jährige Revolutionsführer wolle strukturelle Veränderungen im Staat durchsetzen, die seinem Amt die ganze Macht sichern – auch über seine eigene Lebenszeit hinaus, sagte Vaez dem Magazin „New Yorker“. Dass sich Raisi als Präsident gegen diese Pläne wehrt, ist unwahrscheinlich: Er ist als Nachfolger von Chamenei als Revolutionsführer im Gespräch.
Nach seiner Wahl versprach Raisi, seine Regierung werde für alle Iraner arbeiten und gegen die grassierende Korruption vorgehen. Ob Chamenei das erlauben wird, ist unsicher, weil
viele mächtige Gruppen wie die Revolutionsgarde wirtschaftliche Vorteile genießen, die ihnen bei geordneten Verhältnissen verschlossen wären. Innenpolitisch wird Raisi zudem daran gemessen werden, ob er die sanktionsbeladene iranische Wirtschaft wieder flottbekommt. In der Außenpolitik dürfte sich Raisi an die Vorgaben Chameneis halten, die den iranischen Einfluss im Irak, in Syrien und im Libanon unbedingt erhalten wollen.
Wirtschaftliche Zwänge dürften Chamenei und Raisi jedoch dazu bewegen, das Atomabkommen mit dem Westen zu reparieren, um die US-Sanktionen möglichst rasch zu beenden. Die seit dem Frühjahr laufenden Wiener Gesprächen über das Atomabkommen sollten am Sonntag wie geplant weitergehen. Auch die USA dringen auf einen schnellen Abschluss der Wiener Verhandlungen. Die israelische Regierung warnte dagegen, Raisis Wahl sei ein „Weckruf“, der den Westen davon abhalten sollte, mit dem Iran zu verhandeln.