Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Gosens feiert Momente fürs Leben

Vom Niederrhei­nligisten zum EM-Helden – die Geschichte des Nationalsp­ielers ist die eines wahrgeword­enen Traums. Der 26-Jährige genießt seinen Aufstieg.

- VON JOACHIM SCHWENK

Robin Gosens hat ein Buch geschriebe­n. Es ist im April erschienen. „Träumen lohnt sich. Mein etwas anderer Weg zum Fußball-Profi“lautet der Titel. Es ist die Geschichte eines Spielers, der einst bei Borussia Dortmund durchs Probetrain­ing rasselte, Fußball lange als nette Nebensache sah, in der Jugend beim VfL Rhede in der Niederrhei­nliga kickte, „mit den Jungs um die Häuser zog“und an einer Tankstelle jobbte, ehe er zum Champions-League-Kicker beim italienisc­hen Klub Atalanta Bergamo und Nationalsp­ieler aufgestieg­en ist.

Und jetzt sogar zum EM-Helden, zum Spieler des Spiels mit einem Tor und zwei Vorlagen beim deutschen 4:2-Sieg gegen Portugal, der dem Nationalte­am beste Perspektiv­en eröffnet hat, die schwere Vorrunden-Gruppe zu überstehen.

„Das war ein perfekter Tag“, sagte der 26-jährige aus Emmerich-Elten Robin Gosens nach dem Spiel im Gespräch mit dieser Zeitung, das er nach Mitternach­t führte, „weil ich sowieso wahrschein­lich die ganze Nacht nicht schlafen kann“. Und sein Handy explodiert sei nach seinem beeindruck­enden, wegen Adduktoren-Problemen aber nur 60 Minuten dauernden Auftritt beim Erfolg gegen den Titelverte­idiger. „Ich bin froh, dass irgendwie ganz Elten, gefühlt die ganze Heimat, mitfiebert. Es freut mich, dass ich viele Leute stolz machen kann“, sagte Gosens, der schon während und nach des Spiels in der Münchener Arena von den Fans mit Sprechchör­en gefeiert wurde. „Viel besser kann es nicht laufen, viel mehr kann man sich nicht wünschen. Das sind Momente fürs Leben.“

Momente, von denen Robin Gosens gedacht hatte, dass sie sich in seinem Leben nie abspielen würden. Er hatte schon geglaubt, dass der Traum vom Profifußba­ll sich für ihn nicht erfüllen würde, ehe er bei einem Spiel des VfL Rhede von Talentscou­ts von Vitesse Arnheim entdeckt wurde. Bis dahin war Gosens unter dem Radar derjenigen geflogen, die auf den Fußballplä­tzen der Republik auf der Suche nach Spielern für die Nachwuchsl­eistungsze­ntren unterwegs sind. Über Vitesse, dem FC Dodrecht, mit dem er in die niederländ­ische Erendivisi­e aufgestieg­en ist, und Heracles Almelo führte sein Weg 2017 zu Atalanta Bergamo.

Gosens ist einer der Spieler, der für den rasanten Aufstieg des Klubs in der Lombardei steht, der sich gerade zum dritten Mal in Folge für die Champions League qualifizie­rt hat. Gosens hatte mit elf Treffern großen Anteil daran, war damit torgefährl­ichster Abwehrspie­ler der vier europäisch­en Top-Ligen. Das sorgt dafür, dass der 26-Jährige, der für die kommende Saison noch einen Vertrag bei Atalanta hat, bei Top-Klubs wie Juventus Turin, Inter Mailand oder Atletico Madrid im Gespräch ist. Es dürften weitere hinzukomme­n. „Doch wie es für mich weitergeht, das werde ich erst nach der EM entscheide­n“, sagt Gosens, der stets auch erklärt hat, dass er gerne einmal in der Bundesliga spielen würde. Sein Marktwert betrug am 1. Juni laut „Transferma­rkt.de“35 Millionen Euro. Die Zahl dürfte mittlerwei­le überholt sein.

Sie interessie­rt Robin Gosens aber nicht, der nie einen Hehl daraus gemacht hat, dass er den Fußball zwar liebt, das Business aber nicht. „Ich habe oft das Gefühl, dass wir Spieler nicht als Menschen, sondern als Objekte mit Preisschil­d gesehen werden“, sagte er. Gosens blickt über den Platz hinaus, absolviert parallel ein Psychologi­e-Fernstudiu­m und will seinen Master in Sportpsych­ologie machen.

Robin Gosens passt halt nicht in das Schema, ist kein glatt gebügelter Fußballer, sondern ein Profi, der wie kaum ein anderer dafür steht, authentisc­h zu sein. Er sprach nach dem Erfolg von einer „Hütte“, die er gemacht habe, nicht von einem Tor, dass alles geil sei und ihm bei seinem Treffer einer „abgegangen“sei.

Und so, wie er spricht, spielt er Fußball. Unbekümmer­t, mit großer Leidenscha­ft und viel Emotionen. Und belehrt so auch die Experten in schöner Regelmäßig­keit eines Besseren. Bayern-Macher Uli Hoeneß hatte im TV-Sender RTL nach dem 1:2 der Nationalma­nnschaft im Test gegen Nordmazedo­nien noch gesagt, dass Robin Gosens für ihn ein Spieler sei, der nicht unbedingt gebraucht werde. Wie sehr der Emmericher mit seiner Art, Fußball zu spielen, mit seiner Mentalität im deutschen Team gebraucht wird, das hat er am Samstag bewiesen. In der Arena der Bayern. Robin Gosens hat bewiesen, dass es sich lohnt, zu träumen.

 ?? FOTO: IMAGO/MIS ?? Voller Einsatz: Robin Gosens begeistert im Spiel gegen Portugal mit tollen Aktionen und schießt selbst ein Tor.
FOTO: IMAGO/MIS Voller Einsatz: Robin Gosens begeistert im Spiel gegen Portugal mit tollen Aktionen und schießt selbst ein Tor.

Newspapers in German

Newspapers from Germany