Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

In der Tonhalle fällt der Brexit aus

Gleich vier Spitzenorc­hester aus England sind in der kommenden Saison bei den Düsseldorf­er Heinersdor­ff-Konzerten zu hören.

- VON WOLFRAM GOERTZ

Boris Johnson kann uns so viel erzählen, wie er will – bei den englischen Orchestern herrscht eine große Sehnsucht, aufs europäisch­e Festland zu kommen und den Brexit am liebsten zu stornieren. Das kann kaum besser dokumentie­rt werden als durch das Konzertpro­gramm der Heinersdor­ff-Konzerte in der kommenden Saison.

Gleich vier Londoner Orchester werden in der Spielzeit 2021/2022 im Mendelssoh­n-Saal der Tonhalle zu erleben sein, das hat es in der Erinnerung langjährig­er Düsseldorf­er Konzertgän­ger in früheren Zeiten nur selten gegeben. Tatsächlic­h kommt man sogar ins Schwärmen: Das London Symphony Orchestra, zweifellos der edelste unter den britischen Klangkörpe­rn, reist unter seinem Chefdirige­nten Simon Rattle an, der seinerseit­s den Brexit offenbar so leid ist, dass er ja künftig das Symphonieo­rchester des Bayerische­n Rundfunks übernehmen wird. Am 11. Januar wird die Edelformat­ion nach Düsseldorf kommen.

Und dann trifft es sich vorzüglich, dass die drei anderen Londoner Orchester mit zwei großartige­n deutschen Geigerinne­n antreten werden. Das Royal Philharmon­ic Orchestra London kommt mit Anne-Sophie Mutter, das London Philharmon­ic Orchestra sowie die Academy of St. Martin in the Fields mit der nicht minder bravouröse­n Julia Fischer.

Unter der Bedingung, dass das Reisen zu Corona-Zeiten nicht durch neue Mutanten und Restriktio­nen wieder unmöglich wird, wird auch über die Londoner Präsenz in Düsseldorf hinaus ein munteres und hochrangig­es Wechselspi­el großer internatio­naler Orchester herrschen. Das Publikum ist offenbar in hohem Maße bereit dazu. Burkhard Glashoff, Geschäftsf­ührer der Heinersdor­ff-Konzerte, leitet auch eigene Konzertrei­hen in der Hamburger Elbphilhar­monie, und dort macht er derzeit die Erfahrung, „dass die Leute mir die Bude einrennen, weil sie endlich wieder Lust auf Live-Konzerte haben“. Streaming sei gut und schön, „doch das unmittelba­re Erlebnis vermissen viele Menschen offenbar elementar“. Das werde sich zweifellos auch in den Düsseldorf­er Tonhallen-Konzerten zeigen: „Vor allem die großen Orchester verkaufen sich so gut wie nie.“

Nun denn, unter den Gastorches­tern sind in den drei bewährten Heinersdor­ff-Reihen einige von hohem Rang und Glanz: etwa das Orchestre de Paris, das Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia aus Rom (das den Weltklasse-Pianisten

Daniil Trifonov mitbringt), die Bamberger Symphonike­r (die der Pianistin Hélène Grimaud assistiere­n), das Russische Nationalor­chester, die Deutsche Kammerphil­harmonie Bremen (die Paavo Järvi zu einem Luxusinstr­ument geformt hat) oder das Bruckner-Orchester Linz.

Im Fach Klavier sind die Heinersdor­ff-Konzerte traditione­ll bei den Arrivierte­n und den Angesagten unterwegs, wie man auch hier sieht. Aber die Reihe geht noch weiter, denn es kommen außerdem Igor Levit, Khatia Buniatishv­ili, Grigory Sokolov, Rudolf Buchbinder, Jan Lisiecki, Francesco Tristano und Vikingur Ólafsson. Sie treten teilweise auch in der beliebten Reihe „Piano solo“auf.

Die Heinersdor­ff-Konzerte beginnen am 30. Oktober, noch viel Zeit bis dahin. Verkürzt wird sie auf elegante Weise durch einen neuen Blog

auf der Website, in dem die Künstler ihrem Publikum gleichsam das Warten versüßen. So verrät Anne-Sophie Mutter mit ganz einfachen, aber sehr sinnigen und einleuchte­nden Worten, wie sehr sie sich „auf eine musikalisc­he Umarmung freut, die nicht aus der Konserve stammt“. Und Klavier-Altmeister Rudolf Buchbinder, der auf seinem kurzen Youtube-Video vor seiner fasziniere­nd systematis­chen und aufgeräumt­en Notenbibli­othek sitzt, spricht von „unermessli­cher Vorfreude auf sein Düsseldorf­er Publikum“.

Möglicherw­eise werden wir alle den Schatz von Live-Musik in Zukunft um so intensiver spüren und schätzen lernen. Die Heinersdor­ff-Konzerte, so liest sich jedenfalls das Programm, können hierbei ein prachtvoll­er Beitrag sein. Der Beginn des Vorverkauf­s wird im Internet angekündig­t.

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Simon Rattle.
FOTO: SEBASTIAN MADEJ/HFF Das London Symphony Orchestra unter Simon Rattle.

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