Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Jeder Tanz ein Jauchzer

„Lost and Found“war das passende Motto des ersten Ballettabe­nds nach acht Monaten Zwangspaus­e im Theater Duisburg.

- VON SEMA KOUSCHKERI­AN

Das Ballett am Rhein ist wieder da! Acht Monate war es für sein Publikum nicht zu sehen, probte unter Verschluss und erhielt seine Spannkraft, während die Sehnsucht, auf die Bühne zurückzuke­hren, jeden Tag wuchs.

Nun also der erste große Tanzabend im Theater Duisburg nach dem langen Verzicht. Ballettdir­ektor Demis Volpi nahm dies zum Anlass, um einige Worte an die Zuschauer zu richten, die sich, platziert in großem Abstand voneinande­r, in Sicherheit wiegen durften. „Es ist für uns eine große Freude, heute Abend für Sie auftreten zu dürfen. Seien Sie gewiss, dass wir die ganze Zeit über mit Ihnen in Verbindung geblieben sind.“

Im Oktober 2020 saß die Compagnie im Bus und fuhr zur Premiere nach Duisburg, als der Anruf kam, die Theater müssten wegen der Corona-Pandemie schließen. „Wie es uns in den Monaten danach ergangen ist, haben wir für Sie in einem Zeitraffer zusammenzu­tragen“, sagt Volpi. Viel habe man seither verloren, aber auch Wertvolles wiedergefu­nden. Der Vielfalt an Stimmungen ist der Titel des neuen Premierena­bends gewidmet: „Lost and Found“(„Verloren und wiedergefu­nden“). Sechs kurze Stücke hat Volpi ausgewählt, modern und energetisc­h, leichtfüßi­g, kraftvoll. Jedes ein Jauchzer: Die Tanzkunst ist zurück.

Zwei Werke des Ballettdir­ektors leiten den Abend ein. „A Simple Piece“ist ein Akt der Beschwörun­g zu einer A-cappella-Kompositio­n von Caroline Shaw, die auf besondere Weise Sprache, Seufzen, Melodien und Stimmeffek­te umfasst. Die Choreograf­ie setzt dem Klanggemis­ch Ordnung entgegen. Sechs Tänzer folgen einem strengen Bewegungsv­okabular, dem wieder neue Muster erwachsen.

Die pure Leidenscha­ft dann im nächsten Stück, „Allure“mit der wunderbare­n Doris Becker. Die Tänzerin ist in bester Stimmung für Amouren und schäkert mit ihrem Publikum zum vehementen Jazz Nina Simones. Becker ist eine Virtuosin klassische­r Ballettkun­st, in „Allure“demonstrie­rt sie charmant, wie viel Sex im Spitzentan­z steckt.

Einmal in Stimmung, kommen die Zuschauer in den Genuss weiterer Wolllust. In einem herrlich ironischen Pas de deux aus der Choreograf­ie „Love Song“von Andrey Kaydanovsk­iy gestalten Feline van Dijken und Eric White einen eleganten Liebesakt. Im Hintergrun­d singt Nina Simone das tieftrauri­ge „Ne me quitte pas“von Jacques Brel. Geräuschvo­ll mischt sich Bettgeknar­ze darunter, und das sinnliche Verlangen vertreibt die Wolken der Verzweiflu­ng im Nu.

Das Bühnenbild an diesem Band ist konsequent reduziert, es zählen der reine Tanz und das Licht. Nur ihnen gehört die Bühne. Nach der starken choreograf­ischen Arbeit von Compagnie-Mitglied Neshama Nashman und dem hinreißend­en Stück „Solo“von Hans van Manen – angeblich sein schnellste­s Stück, was man sofort glaubt – drängt sich mit voller Wucht ein Werk der israelisch­en Choreograf­in Sharon Eyal in den Theatersaa­l. „Salt Womb“(„Salzleib“) ist keine Kreation, sondern ein Aufprall, die Musik kein Instrument­enspiel, sondern ein Rave. Es sind die spannendst­en Minuten des Abends. Im Halbkreis stehen die Tänzer um ihren Guru, ihren Master of Ceremony, der sie antreibt. Auf geht’s, weitermach­en, bloß nicht aufgeben. Der Abend endet als Techno-Happening, als Rausch. Das Publikum ist begeistert und feiert das Ballett am Rhein.

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FOTO: BETTINA STOESS/DOR Szene aus Sharon Eyals Choreograf­ie „Salt Womb“, die die Tänzer des Balletts am Rhein in Duisburg zeigten.

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