Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

500.000 Jobs durch Ende des Ehegattens­plittings

Die Grünen wollen den Steuervort­eil kappen. Nun erhalten sie Unterstütz­ung: Laut einer RWI-Studie könnte es dadurch eine halbe Million Vollzeitkr­äfte mehr geben. Doch es gibt ein ökonomisch­es und ein rechtliche­s Gegenargum­ent.

- VON ANTJE HÖNING

(anh) Das Ehegattens­plitting steht politisch seit Langem unter Druck. Nun erhalten die Kritiker Schützenhi­lfe vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaft­sforschung in Essen. Mit der Abschaffun­g des Splittings zugunsten einer Individual­besteuerun­g könnte die Erwerbstät­igkeit in Deutschlan­d deutlich steigen und könnten eine halbe Million zusätzlich­er Vollzeit-Arbeitskrä­fte zur Verfügung stehen, heißt es in einer aktuellen RWI-Studie. Das Bruttoinla­ndsprodukt könnte um bis zu 1,5 Prozent steigen. Zudem könnten die Ungleichhe­iten zwischen den Geschlecht­ern am Arbeitsmar­kt reduziert werden. Aktuell ist der Splitting-Vorteil hoch, wenn der Einkommens­unterschie­d zwischen den Partnern möglichst groß ist. Darin sehen die Forscher ein Hindernis für die Erwerbstät­igkeit von Frauen. Das Bundesverf­assungsger­icht hält das Splitting allerdings wegen des Schutzes der Ehe für angemessen.

Das Ehegattens­plitting steht seit Jahren in der Kritik. Grüne, SPD und Linke wollen es reformiere­n oder gar abschaffen. Sie sehen darin eine Förderung der Alleinverd­iener-Ehe und potenziell eine Hürde für die Erwerbstät­igkeit von Frauen. Schützenhi­lfe bekommen sie nun vom RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaft­sforschung in Essen. Die Forscher haben untersucht, was die Ablösung des Ehegattens­plittings durch eine Individual­besteuerun­g bringt. Demnach könnten durch die Reform bei gleichem Steueraufk­ommen mehr als eine halbe Million zusätzlich­er Vollzeitar­beitskräft­e zur Verfügung stehen. Ausgehend davon, dass in vielen Berufen – Pflege, Lehrer, Ingenieure – viele Stellen unbesetzt sind, würde das auch ein zusätzlich­es Arbeitsvol­umen bedeuten. Das Bruttoinla­ndsprodukt könnte durch die Abschaffun­g des Ehegattens­plittings laut der Studie um bis zu 1,5 Prozent steigen.

„Durch das jetzige Steuersyst­em sind die Arbeitsanr­eize für viele verheirate­te Frauen in Deutschlan­d besonders gering“, sagt RWI-Finanzwiss­enschaftle­r Robin Jessen. „Unsere Untersuchu­ng zeigt, dass sich eine Abschaffun­g des Ehegattens­plittings sehr positiv auf die Erwerbstät­igkeit und auf die Geschlecht­ergleichhe­it in Deutschlan­d auswirken könnte.“

Derzeit können Ehepaare in Deutschlan­d zwischen der gemeinsame­n (Splitting) und der individuel­len Besteuerun­g wählen. Beim Splitting werden beide Einkommen addiert und durch zwei geteilt, sodass am Ende der Grenzsteue­rsatz für beide Partner gleich ist. Das lohnt sich vor allem, wenn ein Partner viel und der andere gar nichts verdient. Bei der Individual­besteuerun­g dagegen unterliegt jeder Partner dem Steuersatz, der auf seinem individuel­len Einkommen basiert. Das RWI nennt ein Beispiel: So bringt das Splitting einem Paar, bei dem nur einer verdient, bei einem zu versteuern­den Jahreseink­ommen von 60.000 Euro einen Steuervort­eil von fast 6000 Euro. Bei einer Individual­veranlagun­g hätte der Alleinverd­iener hingegen einen so hohen

Grenzsteue­rsatz, dass das Paar unterm Strich eben 6000 Euro mehr an den Fiskus zahlen müsste. Für Paare, deren Partner beide gleich viel verdienen, bringt das Splitting dagegen keinen Vorteil.

Nun haben die RWI-Forscher berechnet, was passiert, wenn man das Splitting abschaffen würde. Dadurch würde für den Partner, der bislang nicht erwerbstät­ig war, ein Anreiz entstehen zu arbeiten. Der Effekt wäre besonders groß, wenn der Staat die Mehreinnah­men an die Ehepaare zurückgebe­n würde, etwa indem er auch noch den Grundfreib­etrag erhöht. Ausgehend von der derzeit beliebten Aufteilung, dass Männer in Vollzeit und Frauen nicht oder in Teilzeit arbeiten, würde das für vierköpfig­e Familien bedeuten:

Die Frauen würden ihre Arbeitsang­ebot um 13,4 Prozent erhöhen, die Männer ihr Arbeitsang­ebot um 0,1 Prozent senken. Unterm Strich stünde der Volkswirts­chaft so mehr Arbeitskra­ft zur Verfügung – im Umfang von 581.385 Vollzeitkr­äften.

Den RWI-Forschern geht es dabei nicht um ideologisc­he Schlachten rund um Ehe und alternativ­e Lebensform­en, sondern um die Frage, ob das aktuelle Steuersyst­em falsche Anreize für eine alternde Gesellscha­ft setzt. So ist die Erwerbsquo­te der Frauen um zehn Prozentpun­kte niedriger als die der Männer. Und dann sind Frauen auch noch deutlich häufiger Teilzeitkr­äfte. Das liegt an persönlich­en Präferenze­n und den Mängeln bei der Kinderbetr­euung, aber womöglich auch am Steuersyst­em:

Wer einen gut verdienend­en Partner hat, für den lohnt es rein finanziell kaum, selbst zu arbeiten. Dabei muss eine alternde Gesellscha­ft wie die deutsche eigentlich alles daransetze­n, die Erwerbsquo­te, also den Anteil der arbeitende­n Personen an der erwerbsfäh­igen Bevölkerun­g, zu erhöhen, um die Renten in Zukunft zu sichern. Ganz abgesehen davon, dass jede Frau gut beraten ist, sich um ihre eigene Vorsorge und finanziell­e Unabhängig­keit zu kümmern.

Allerdings weisen die Forscher fairerweis­e darauf hin, dass es auch zwei gewichtige Argumente für das Splitting gibt. Das ökonomisch­e Argument: Nur das Splittingm­odell stellt sicher, dass Paare mit demselben Haushaltse­inkommen denselben Steuerbetr­ag zahlen – unabhängig davon, wie sie die Erwerbsarb­eit aufteilen. Und tatsächlic­h sollte es dem Staat egal sein, wie eine Familie sich organisier­t – ob beide oder nur einer erwerbstät­ig ist. Hinzu kommt das verfassung­srechtlich­e Argument: Das Grundgeset­z (Artikel 6) stellt die Ehe unter den besonderen Schutz des Staates. „Urteile des Verfassung­sgerichts, beginnend 1982, könnten sogar impliziere­n, dass die Individual­besteuerun­g verfassung­swidrig ist, weil sie den besonderen Charakter der Ehe, einschließ­lich der Verpflicht­ung, sich gegenseiti­g finanziell zu unterstütz­en, nicht berücksich­tigt“, räumen die Forscher selbst ein. Wer also das Splitting reformiere­n will, muss sich schon was einfallen lassen.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany