Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Union lehnt Steuererhöhungen ab
CDU und CSU legen ein Wahlprogramm vor, das auf die Entfesselung der Wirtschaft zielt. Die NRW-Grünen nennen es „unambitioniert und unehrlich“und sehen es als Angebot an die FDP.
Mit dem Versprechen eines „Modernisierungsschubs für Deutschland“bei „Sicherheit im Wandel“wollen CDU und CSU die Bundestagswahl gewinnen. Die Union wolle den aktuellen Epochenwechsel aktiv gestalten, sagte der CDU-Vorsitzende und Kanzlerkandidat Armin Laschet bei der Vorstellung in Berlin. Zuvor hatten die Spitzen beider Parteien das Wahlprogramm einstimmig beschlossen. „Wir verbinden konsequenten Klimaschutz mit wirtschaftlicher Stärke und sozialer Sicherheit“, betonte Laschet. CSUChef Markus Söder versicherte, es handele sich um ein „geschlossenes Programm“der Schwesterparteien.
Trotz der massiven Staatsverschuldung wollen CDU und CSU keine Steuererhöhungen. Sie wollen den Solidaritätszuschlag ganz abschaffen sowie kleine und mittlere Einkommen steuerlich entlasten, ebenso Familien mit Kindern. Angekündigt wird auch eine Unternehmensteuerreform.
Bei der Rente kündigt die Union an, die betriebliche Altersvorsorge zu stärken und die private Vorsorge neu zu gestalten.
CDU-Vizechefin Julia Klöckner betonte, man stehe für Maß und Mitte. „Wir wollen das Land nicht, wie andere, auf den Kopf stellen. Wir wollen keinen radikalen Wandel – sondern das Gute besser machen.“Die Union werde dabei an der Schuldenbremse festhalten. „Es sind die Grünen, die daran schleifen wollen und ein riesiges Ausgabenprogramm ohne seriöse Gegenfinanzierung versprechen“, sagte Klöckner.
Der Chef der Mittelstandsvereinigung in NRW, Hendrik Wüst, brachte es auf die Formel: „Modernisierung menschlich. Das ist genau der richtige Kurs für die nächsten Jahre.“Der Chef des Landesverbands der Jungen Union, Johannes Winkel, sagte, das Programm sende eine klare Botschaft: „Die Union ist die einzig verbliebene Volkspartei. Wir spielen Klima- nicht gegen Wirtschafts- und Sozialpolitik, Stadt nicht gegen Land aus, sondern halten dieses Land zusammen.“Aus Sicht der jungen
Generation freue ihn das klare Bekenntnis zur Schuldenbremse und zur Stärkung junger Familien. „Angesichts der demografischen Situation ist absehbar, dass wir in den nächsten Jahren eine Diskussion über die künftige Aufstellung des Rentensystems werden führen müssen.“Der Vorschlag einer Generationenrente könne dabei ein wichtiger Baustein sein.
„CDU wählen muss man sich leisten können“, sagte dagegen der Grünen-Chef
von NRW, Felix Banaszak, „die CDU scheut die inhaltliche Auseinandersetzung mit uns und fischt stattdessen bei den FDP-Wählern.“Dahinter stehe die Angst, dass die Liberalen sich auf ein Ampelbündnis einlassen könnten. „Immerhin hat Christian Lindner ja klar gesagt, dass er die Regierungsbeteiligung anstrebt. Das ist erkennbar nicht das Wahlprogramm von Armin Laschet, sondern von Carsten Linnemann und Friedrich Merz.“Klimaschutz sei nicht zum Nulltarif zu haben. Aber genau so stelle die CDU es dar. „Das ist unambitioniert und unehrlich. Mit diesem Programm würde der Strom teurer, aber ohne sozialen Ausgleich – wie wir ihn vorgeschlagen haben.“
Luisa Neubauer von der Bewegung „Fridays for Future“sprach von einer 139 Seiten langen Weigerung, „uns vor der Klimakrise zu schützen und das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Die noch größte Volkspartei weigert sich, die größte Krise anzuerkennen, geschweige denn sie anzugehen. Erschütternd.“(mitdpa)
Die Kulisse muss stimmen. An diesem Montagmittag besteht sie aus soliden Backsteinmauern neben modernen Glasfassaden – „Stabilität und Erneuerung“ist schließlich der Titel des frisch vorgestellten Wahlprogramms von CDU und CSU. Das Grün der jungen Birken in Pflanzkübeln darf auf dem Euref-Campus im Berliner Stadtteil Schönberg natürlich nicht fehlen. „Man kann auch grüne Politik machen ohne die Grünen. Wir brauchen sie nicht, wir können das selbst“, wird CSU-Chef Markus Söder später sagen. Es ist eine Kampfansage an den schwersten Gegner in diesem Wahlkampf und zugleich eine Form der Selbstvergewisserung.
Dass die Schwesterparteien diesen Ort für die Programmpräsentation gewählt haben, ist kein Zufall. Das rund 5,5 Hektar große Quartier versteht sich als Pilotprojekt für die Energiewende, die Stadt der Zukunft in denkmalgeschützten Bauten. Das Land erwarte einen „Modernisierungsschub“von CDU und CSU, sagt Kanzlerkandidat und CDUChef Armin Laschet. Schließlich lebe man in einem „Epochenwechsel“, darauf dürfe man nicht nur reagieren, sondern müsse diesen „aktiv gestalten“. Stolze 71 Mal sind die Worte „Modernisierungsjahrzehnt“, „modern“oder „modernisieren“im Programm zu finden. Die beiden Unions-Spitzenmänner Laschet und Söder geizen bei der Präsentation nicht mit großen Versprechen.
Dabei hatte Kanzlerin Angela Merkel das Stichwort des „Epochenwechsels“bereits in der vorangegangenen Sitzung der Vorstände von CDU und CSU gesetzt. Es sei wichtig, dass davon schon im ersten Kapitel des Programms gesprochen werde, sagte Merkel laut Sitzungsteilnehmern. Seit 2007 sei eine Herausforderung nach der anderen gekommen, mit der Pandemie würden die Karten auf der Welt noch einmal neu gemischt. Laschet grenzt sich nicht ab. Im Gegenteil, er greift das Wort der Kanzlerin mehrfach auf. Den Eindruck des „Weiter so“wird er so nicht abschütteln können.
Das ist überhaupt der große Knackpunkt für die Union. Sie hat 16 Jahre die Kanzlerin gestellt und muss den Wählern nun erklären, warum sie erst jetzt Planungsverfahren beschleunigen, Verwaltungsprogresse verkürzen und ein großes „Entfesselungspaket“für die Wirtschaft auf den Weg bringen will. All das ist im Wahlprogramm zu finden, das Söder siegessicher ein „Regierungsprogramm“nennt. Und Laschet verheißt: „Geht nicht, gibt’s in Deutschland nicht mehr.“Man wolle den Staat schneller, effizienter und digitaler machen. Wehrhafter werden gegen „Populismus, Extremismus und ökonomische Krisen“. Und man brauche den Dreiklang aus „Klimaschutz, wirtschaftlicher Stärke und sozialer Sicherheit“. Bei diesen griffigen Sätzen dürfte die neue Wahlkampf-Kommunikationschefin Tanit Koch, frühere „Bild“-Chefredakteurin, ihre Finger bereits mit im Spiel gehabt haben. Sie hält sich bei der Präsentation im Hintergrund, beobachtet und tippt auf dem Handy.
Söder hingegen gibt auf der Bühne alles. Der „grüne Höhenflug“sei vorbei, was Söder auch der „sehr guten Performance unseres Kanzlerkandidaten“zuschreibt. Überhaupt sieht Söder es als „Marktvorteil“für die Union, dass sie ihr Programm im Vergleich zu den anderen Parteien „am nähsten an der Wahl“vorlege. Ein Vorteil auf dem Markt, ein Vorteil durch den Markt – das ist das Geheimnis von CDU und CSU. Durch Selbst heilungskräft eder sozialen Marktwirtschaft wollen sie auch all die teuren Versprechen finanzieren. Man habe in vielen Jahren in der Bundesrepublik die Erfahrung gemacht, dass der Weg des Wirt schafts wachstums der richtige sei, sagt Laschet. Man sei sich sicher: „Dieser Weg, Bürokratie abzubauen, wirtschaftliche Fesseln wegzunehmen, eine neue Wirt schafts wachstums möglichkeit zu schaffen, wird am Ende zu mehr Steuereinnahmen und zum Finanzieren der Aufgaben führen, die wir uns hier in diesem Programm vorgenommen haben.“Alles sei „seriös durchgerechnet“.
Kritiker, auch in den eigenen Reihen, sehen das anders. Hinter vorgehaltener Hand bezweifelt manch einer, dass sich die Pläne aus dem Programm mit dem erklärten Festhalten an der Schuldenbremse vertragen. Es verträgt sich eben nicht, heißt es. Doch so viel Ehrlichkeit stört offenbar die Kulisse.
Und zu der gehört auch die wiederentdeckte Einigkeit zwischen Laschet und Söder. Es ist der erste gemeinsame Auftritt seit der Entscheidung über die Kanzlerkandidatur. Das sei damals eine „spannende Situation zwischen uns“gewesen, sagt Söder rückblickend, doch jetzt gelte: „Alles ist verarbeitet, alles ist ausgeräumt.“Und neben der „soliden, stabilen Basis“habe man auch „neue Lust an Verantwortung“entdeckt. Nach dem gemeinsamen Auftritt steigen Laschet und Söder schnell und getrennt voneinander in ihre dunklen Limousinen und fahren davon, an Backstein und Glasfassaden vorbei. Nun müssen sie die Pläne des 139-Seiten-Programms unters Volk bringen. 96 Tage bleiben ihnen dafür bis zur Wahl.