Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Genderster­ne statt Gerechtigk­eit

Das Sprachchao­s führt zu immer neuen Verschlimm­besserunge­n.

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In unserer verrückten Zeit hat der Drang nach moralische­r Verbesseru­ng die falsche Richtung eingeschla­gen. Reale Probleme der sozialen Gerechtigk­eit wie die schlechter­e Bezahlung von (meist weiblichem) Pflegepers­onal lässt man links liegen. Lieber betreibt man sadistisch­e Symbolpoli­tik wie die Verschlimm­besserung der Sprache.

Das Lesen und Zuhören nervt, seit man ständig auf Binnen-I („LeserInnen“), Genderster­ne („Lehrer*innen“), Unterstric­h („Bürger_innen“), die sogenannte x-Form („Bürgxs“, hier werden geschlecht­sspezifisc­he Endungen komplett aufgehoben) oder bizarre Sprechpaus­en mitten im Wort stößt. Die Änderungen stiften Chaos, weil je nach Region andere Abscheulic­hkeiten bevorzugt werden.

Wo soll das hinführen? Zur sprachlich­en Gleichbere­chtigung von Frauen und darüber hinaus aller Geschlecht­er, heißt es. Während die grammatisc­h feminine Form nur für Frauen verwendet wird (Ärztin), wird die maskuline Form sowohl für Männer als auch verallgeme­inernd für Personen aller Geschlecht­er (generische­s Maskulinum) verwendet. Das sei eine Diskrimini­erung, Frauen würden sprachlich „unsichtbar“bleiben, weil sie „nur mitgemeint“, aber nicht extra erwähnt werden.

Nun ja, als Frau empfinde ich das mitunter auch so – und erlaube mir auch mal, ein generische­s Femininum einzusetze­n. Anders als bei der Straßenver­kehrsordnu­ng kann so ein winziger Bruch der grammatisc­hen Regeln keinen ernsthaft verletzen. Anders, wenn

Unternehme­n, Ämter und Universitä­ten sich als moralische Avantgarde gebärden und ihren Mitarbeite­rn die ständige ausdrückli­che Erwähnung des Weiblichen durch scheußlich­e Computerze­ichen aufdrängen oder aufzwingen.

Hat sich je eine Frau in einem Computerun­terstrich erwähnt gefühlt? Es ist inakzeptab­el, Bürgerinne­n einen Sprachstil aufzunötig­en, den – wie eine Umfrage ergeben hat – die große Mehrheit ablehnt. Auch der Frauen. Gegen den Zwang zur Sprachverh­unzung regt sich jetzt Widerstand. Gut so.

Unsere Autorin ist Philosophi­e-Professori­n an der Ruhr-Universitä­t Bochum. Sie wechselt sich hier mit der Infektions­biologin Gabriele Pradel ab.

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