Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Abgewählt, aber noch nicht am Ende

Der schwedisch­e Ministerpr­äsident Stefan Löfven verliert zwar ein Misstrauen­svotum im Parlament, hält politisch jedoch die Trümpfe in der Hand.

- VON ANDRÉ ANWAR

Noch am Sonntagabe­nd und Montagmorg­en hatte Schwedens sozialdemo­kratischer Ministerpr­äsident Stefan Löfven versucht, seine auf der einen Seite von der Linksparte­i und auf der anderen Seite von zwei rechtslibe­ralen Parteien gestützte rot-grüne Minderheit­sregierung zu retten. Vergeblich. Mit 109 zu 181 Stimmen hat Löfven, der seit 2014 im Amt ist, am Montag ein Misstrauen­svotum im schwedisch­en Parlament, dem Riksdag, verloren. Das gilt als historisch: Kein anderer amtierende­r schwedisch­er Ministerpr­äsident hat je eine solche Abstimmung verloren.

Zur Regierungs­krise führte der eher unscheinba­re Punkt 44 im sogenannte­n Januarabko­mmen von 2019 zwischen der Regierung und den Koalitions­partnern. Dieser soll Bauherren erlauben, Mietpreise von neu gebautem Wohnraum frei zu bestimmen. So wollen die Rechtslibe­ralen den Wohnungsba­u ankurbeln und Bauherren zu mehr Gewinn verhelfen. Seit 1942 wird in Schweden die Mietpreish­öhe staatlich gedämpft. Vielen Bauunterne­hmern sei der Neubau von Mietwohnun­gen deshalb nicht rentabel genug, behaupten deren Verbände.

Zudem sind kaum noch Mietwohnun­gen zu bekommen. Allein in Stockholm wurden 75 Prozent aller einst staatliche­n Mietwohnun­gen als eigentumsä­hnliche Wohnungen verkauft. Wer mieten will, steht gut und gerne 25 Jahre lang auf einer Warteliste. In Stockholm werden Babys von Eltern teils direkt nach der Geburt in entspreche­nde Listen eingetrage­n. Andere kaufen sich mit Bargeld einen Mietvertra­g auf dem Schwarzmar­kt.

Die Linksparte­i hat sich lange zurückgeha­lten mit Forderunge­n, doch Punkt 44 will sie nicht hinnehmen. Stattdesse­n, so der Gegenvorsc­hlag, solle der Staat neu bauen. Da die Linksparte­i zu klein ist, um allein ein Misstrauen­svotum gegen Löfven zu initiieren, half ihr dabei ausgerechn­et die stimmensta­rke, fremdenfei­ndliche Partei Schwedende­mokraten. Obwohl die konservati­ven Moderaten und die Christdemo­kraten ebenso für einen deregulier­ten Wohnungsma­rkt sind, haben auch sie sich auf die Seite

der Linksparte­i geschlagen. Inhaltlich­e Logik steckt kaum dahinter – bis auf das geglückte Vorhaben, Löfvens Minderheit­sregierung kräftig zu erschütter­n.

Doch Löfven hat sich schon als Gewerkscha­ftschef ordentlich­es Sitzfleisc­h zugelegt. Bereits die vergangene Regierungs­bildung nach der Parlaments­wahl 2018 dauerte 18 Wochen. Auch dieses Mal könnte er politisch überleben. Er dürfte versuchen, die Krise auszusitze­n. „Ich habe eine Woche Zeit“, sagte er am Montag. „Beim letzten Mal brauchten wir vier Monate, um eine Regierung zu bilden. In einem Konstrukt aus vier Parteien müssen Kompromiss­e geschlosse­n werden“, predigte er nach seiner offizielle­n parlamenta­rischen Abwahl am Montag. „Es wäre natürlich einfacher für mich aufzugeben“, fügte er hinzu. Aber Schweden brauche gerade jetzt in der Pandemie eine feste Hand.

Die Chefin der Linksparte­i, Nooshi Dadgostar, scheint das dank Rechtsauße­n geglückte Misstrauen­svotum milder gestimmt zu haben, ebenso die beiden rechtslibe­ralen Parteien. Ein Kompromiss zur Mietpreisr­egelung könnte in der Woche, die Löfven noch bleibt, gefunden werden. Ansonsten kann er Neuwahlen ausrufen. Spätestens am Dienstag muss er den Parlaments­präsidente­n über seine Entscheidu­ng informiere­n. Sollte er seinen Rücktritt einreichen, bleibt Rot-Grün eine um politische Zurückhalt­ung bemühte Übergangsr­egierung. Ruft er dagegen Neuwahlen aus, bleibt seine Regierung bis dahin entscheidu­ngsfähig. Und aufgrund der festen Mandatsper­ioden in Schweden steht im September 2022 bereits die nächste Wahl an. Für Löfven ist eine Abwahl daher unter all diesen Umständen noch lange kein Grund, politisch abzutreten.

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FOTO: DPA Stefan Löfven wurde am Montag offiziell abgewählt.

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