Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Abgewählt, aber noch nicht am Ende
Der schwedische Ministerpräsident Stefan Löfven verliert zwar ein Misstrauensvotum im Parlament, hält politisch jedoch die Trümpfe in der Hand.
Noch am Sonntagabend und Montagmorgen hatte Schwedens sozialdemokratischer Ministerpräsident Stefan Löfven versucht, seine auf der einen Seite von der Linkspartei und auf der anderen Seite von zwei rechtsliberalen Parteien gestützte rot-grüne Minderheitsregierung zu retten. Vergeblich. Mit 109 zu 181 Stimmen hat Löfven, der seit 2014 im Amt ist, am Montag ein Misstrauensvotum im schwedischen Parlament, dem Riksdag, verloren. Das gilt als historisch: Kein anderer amtierender schwedischer Ministerpräsident hat je eine solche Abstimmung verloren.
Zur Regierungskrise führte der eher unscheinbare Punkt 44 im sogenannten Januarabkommen von 2019 zwischen der Regierung und den Koalitionspartnern. Dieser soll Bauherren erlauben, Mietpreise von neu gebautem Wohnraum frei zu bestimmen. So wollen die Rechtsliberalen den Wohnungsbau ankurbeln und Bauherren zu mehr Gewinn verhelfen. Seit 1942 wird in Schweden die Mietpreishöhe staatlich gedämpft. Vielen Bauunternehmern sei der Neubau von Mietwohnungen deshalb nicht rentabel genug, behaupten deren Verbände.
Zudem sind kaum noch Mietwohnungen zu bekommen. Allein in Stockholm wurden 75 Prozent aller einst staatlichen Mietwohnungen als eigentumsähnliche Wohnungen verkauft. Wer mieten will, steht gut und gerne 25 Jahre lang auf einer Warteliste. In Stockholm werden Babys von Eltern teils direkt nach der Geburt in entsprechende Listen eingetragen. Andere kaufen sich mit Bargeld einen Mietvertrag auf dem Schwarzmarkt.
Die Linkspartei hat sich lange zurückgehalten mit Forderungen, doch Punkt 44 will sie nicht hinnehmen. Stattdessen, so der Gegenvorschlag, solle der Staat neu bauen. Da die Linkspartei zu klein ist, um allein ein Misstrauensvotum gegen Löfven zu initiieren, half ihr dabei ausgerechnet die stimmenstarke, fremdenfeindliche Partei Schwedendemokraten. Obwohl die konservativen Moderaten und die Christdemokraten ebenso für einen deregulierten Wohnungsmarkt sind, haben auch sie sich auf die Seite
der Linkspartei geschlagen. Inhaltliche Logik steckt kaum dahinter – bis auf das geglückte Vorhaben, Löfvens Minderheitsregierung kräftig zu erschüttern.
Doch Löfven hat sich schon als Gewerkschaftschef ordentliches Sitzfleisch zugelegt. Bereits die vergangene Regierungsbildung nach der Parlamentswahl 2018 dauerte 18 Wochen. Auch dieses Mal könnte er politisch überleben. Er dürfte versuchen, die Krise auszusitzen. „Ich habe eine Woche Zeit“, sagte er am Montag. „Beim letzten Mal brauchten wir vier Monate, um eine Regierung zu bilden. In einem Konstrukt aus vier Parteien müssen Kompromisse geschlossen werden“, predigte er nach seiner offiziellen parlamentarischen Abwahl am Montag. „Es wäre natürlich einfacher für mich aufzugeben“, fügte er hinzu. Aber Schweden brauche gerade jetzt in der Pandemie eine feste Hand.
Die Chefin der Linkspartei, Nooshi Dadgostar, scheint das dank Rechtsaußen geglückte Misstrauensvotum milder gestimmt zu haben, ebenso die beiden rechtsliberalen Parteien. Ein Kompromiss zur Mietpreisregelung könnte in der Woche, die Löfven noch bleibt, gefunden werden. Ansonsten kann er Neuwahlen ausrufen. Spätestens am Dienstag muss er den Parlamentspräsidenten über seine Entscheidung informieren. Sollte er seinen Rücktritt einreichen, bleibt Rot-Grün eine um politische Zurückhaltung bemühte Übergangsregierung. Ruft er dagegen Neuwahlen aus, bleibt seine Regierung bis dahin entscheidungsfähig. Und aufgrund der festen Mandatsperioden in Schweden steht im September 2022 bereits die nächste Wahl an. Für Löfven ist eine Abwahl daher unter all diesen Umständen noch lange kein Grund, politisch abzutreten.