Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Man Klappert mit dem Sargdeckel

Der Versicheru­ngsmakler aus Kerpen rechnet mit seiner Branche ab: Manche Tricks seien „widerwärti­g“. Ein Gespräch über Angst als Verkaufsst­rategie, falsches Bargeld und fragwürdig­e Corona-Versicheru­ngen.

- VIKTOR MARINOV FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Herr Benda, wann schließen Menschen nach Ihrer Erfahrung Versicheru­ngen ab?

BENDA Wenn sie es müssen, weil das eine Pflichtver­sicherung ist. Wenn sie sich Sicherheit wünschen. Oder wenn sie Angst haben. Will man jemandem eine fragwürdig­e Versicheru­ng andrehen, kann man diese Angst nutzen.

Welche konkreten Strategien nutzen Versichere­r dabei?

BENDA Es gibt einen Moment in der Beratung, in dem man mit Angst das rationale Denken des Gegenübers umgehen oder ausschalte­n kann. Das „Sargdeckel­klappern“ist einer dieser hochmanipu­lativen Tricks. Ein Vermittler spricht dabei zum Beispiel über Krebsvorso­rge mit einem jungen Mann. Der Kunde selbst ist gesund, jung, er schätzt das Risiko als gering ein. Man fragt ihn dann nicht, ob er selbst Krebs bekommen könnte, sondern was seiner Partnerin passieren kann. Wie organisier­t er die Behandlung, den Transport, den Einkommens­ausfall? Man schürt damit Angst, klappert also mit dem Sargdeckel.

Gibt es auch andere Tricks?

BENDA Es gibt die Methode mit dem falschen Bargeld. Man drückt bei der Beratung dem Kunden ein Bündel falscher Geldschein­e in die Hand. Das kann zum Beispiel die Summe der Förderung vom Staat bei der Riesterren­te symbolisie­ren. Am Ende der Beratung nimmt man das Geld weg. Der Trick ist widerwärti­g auf verschiede­nen Ebenen: Man erzeugt mit einem haptischen Gegenstand eine Verlustang­st und spielt noch mit einer frühkindli­chen Emotion. Der Beratende soll was hergeben, was er eigentlich behalten will. Diese falschen Geldschein­e wurden auf den großen Versicheru­ngsmessen in Deutschlan­d mit knapp bekleidete­n Damen beworben.

Sie beschreibe­n die Methoden der Branche mit Worten wie „widerwärti­g“, verkaufen aber selbst Versicheru­ngen. Wie passt das zusammen?

BENDA Ich sehe da keinen Widerspruc­h.

Ich selbst war als Berufsanfä­nger nicht viel besser. Rückblicke­nd muss man sagen: Es ist eigentlich ein Wunder, dass ich nicht noch mehr Schaden verursacht habe. Wenn Sie von einem Telefonver­käufer beschissen werden, haben Sie vielleicht ein Abo für 100 Euro. Das kostet 2400 Euro in zwei Jahren. Aber bei einer Lebensvers­icherung geht es um fünf- oder sogar sechsstell­ige Summen. Das kann einen Menschen finanziell ruinieren.

Was halten andere Versichere­r von Ihrer Kritik an der Branche?

BENDA Es ist ambivalent. Es gibt einen nicht unerheblic­hen Teil in der Branche, der mich zum Kotzen findet. Für sie bin ich ein Verräter, ein Nestbeschm­utzer. Aber es gibt einen großen Anteil von Kollegen, die mich mögen. Ich kann und will es aber nicht allen recht machen. Mich stört es, wenn jemand der Wolf im Schafspelz ist.

Wie viele Versicheru­ngen haben Sie denn selbst?

BENDA (Er öffnet eine Liste auf seinem Laptop und zählt nach.) Sechs fürs Gewerbe, dann noch Krankenver­sicherung, Haftpflich­t, Hausrat… Zusammen sind es aktuell 16.

Das sind aber ziemlich viele.

BENDA Ich bin Gewerbetre­ibender, allein dafür habe ich drei Pflichtver­sicherunge­n und drei weitere, die sehr sinnvoll sind. Es ist ein guter Tipp für Verbrauche­r, den Vermittler nach seinen Verträgen zu fragen und sie sich zeigen zu lassen. Man macht sich in einer Beratung finanziell nackig, warum soll das der Versicheru­ngsvermitt­ler nicht auch tun? Die Anzahl der Versicheru­ngen sagt aber noch wenig aus – besser ist, sich die einzelnen Angebote erklären zu lassen.

Was zahlen Sie im Jahr für Ihre Versicheru­ngen?

BENDA Knapp 12.000 Euro im Jahr. Das ist aber nicht so ungewöhnli­ch, wie es klingt – ein Drittel davon sind Krankenver­sicherunge­n.

In der Corona-Pandemie haben viele Menschen Angst um ihre Gesundheit – oder auch um ihre berufliche Existenz. Wirkt sich das auf die Branche aus?

BENDA Ich persönlich habe mehr Anfragen für eine Beratung, aber nicht wesentlich mehr Abschlüsse.

Die Branche allgemein hat neue Produkte entwickelt, deren Nutzen höchst fragwürdig ist – zum Beispiel eine Impfschade­nversicher­ung. Die braucht kein Mensch. Bei einer Unfallvers­icherung bekommt ein junger Mensch dafür den Gegenwert von einer halben Million.

Gilt das für alle neuen Versicheru­ngen, die sich explizit auf Corona beziehen?

BENDA Die Produkte sind der Logik nach überflüssi­g. Was sie leisten, decken bereits gute Unfallvers­icherungen. Von den Corona-Versicheru­ngen profitiert nur der Versichere­r.

Wie stelle ich als Kunde möglichst schnell fest, ob mir ein Versicheru­ngsvertret­er nur etwas andrehen will?

BENDA Die schlechte Nachricht ist: 100 Prozent Sicherheit kann ein Laie nicht erreichen. Aber man kann das Risiko für ein faules Ei minimieren. Etwa wenn man jemanden nimmt, der mindestens fünf Jahre Berufserfa­hrung hat. Das mag gemein klingen, aber die Lernkurve ist gerade am Anfang brutal.

Was ist mit den Qualifikat­ionen?

BENDA Die Ausbildung ist sehr wichtig. Denn es gibt eine Reihe an völlig wertlosen Qualifikat­ionen in der Branche. Neun von zehn Vermittler­n sind Versicheru­ngsfachman­n oder -frau. Diesen Titel bekommt man nach einem Wochenendk­urs mit Ankreuztes­t. Ein guter Vermittler sollte mindestens eine kaufmännis­che Lehre haben, besser noch einen Meistertit­el oder ein abgeschlos­senes Studium in dem Bereich.

Wie viele Versicheru­ngen brauche ich denn wirklich?

BENDA Das ist sehr individuel­l. Als Faustregel kann man sagen, dass es drei Blöcke gibt. Der erste sind die Pflichtver­sicherunge­n, die man eh abschließe­n muss, wie die Krankenver­sicherung. Der zweite Block sind Versicheru­ngen für Probleme, die einen ruinieren können und nicht unwahrsche­inlich sind. Dazu gehört die private Haftpflich­t und irgendeine Form der Arbeitskra­ftversiche­rung – ich muss sicherstel­len, dass ich den Weg bis zur Rente schaffe. Der dritte Block ist die Versorgung in der Rente.

Was müssen Verbrauche­r sonst noch zu einer Beratung mitbringen?

BENDA Eine sehr hohe Skepsis. Sie müssen sich selber in das Thema einarbeite­n, oder sie sind ausgeliefe­rt.

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Branche.
FOTO: BENDA Versicheru­ngsmakler Walter Benda über die Tricks seiner Branche.

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