Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Man Klappert mit dem Sargdeckel
Der Versicherungsmakler aus Kerpen rechnet mit seiner Branche ab: Manche Tricks seien „widerwärtig“. Ein Gespräch über Angst als Verkaufsstrategie, falsches Bargeld und fragwürdige Corona-Versicherungen.
Herr Benda, wann schließen Menschen nach Ihrer Erfahrung Versicherungen ab?
BENDA Wenn sie es müssen, weil das eine Pflichtversicherung ist. Wenn sie sich Sicherheit wünschen. Oder wenn sie Angst haben. Will man jemandem eine fragwürdige Versicherung andrehen, kann man diese Angst nutzen.
Welche konkreten Strategien nutzen Versicherer dabei?
BENDA Es gibt einen Moment in der Beratung, in dem man mit Angst das rationale Denken des Gegenübers umgehen oder ausschalten kann. Das „Sargdeckelklappern“ist einer dieser hochmanipulativen Tricks. Ein Vermittler spricht dabei zum Beispiel über Krebsvorsorge mit einem jungen Mann. Der Kunde selbst ist gesund, jung, er schätzt das Risiko als gering ein. Man fragt ihn dann nicht, ob er selbst Krebs bekommen könnte, sondern was seiner Partnerin passieren kann. Wie organisiert er die Behandlung, den Transport, den Einkommensausfall? Man schürt damit Angst, klappert also mit dem Sargdeckel.
Gibt es auch andere Tricks?
BENDA Es gibt die Methode mit dem falschen Bargeld. Man drückt bei der Beratung dem Kunden ein Bündel falscher Geldscheine in die Hand. Das kann zum Beispiel die Summe der Förderung vom Staat bei der Riesterrente symbolisieren. Am Ende der Beratung nimmt man das Geld weg. Der Trick ist widerwärtig auf verschiedenen Ebenen: Man erzeugt mit einem haptischen Gegenstand eine Verlustangst und spielt noch mit einer frühkindlichen Emotion. Der Beratende soll was hergeben, was er eigentlich behalten will. Diese falschen Geldscheine wurden auf den großen Versicherungsmessen in Deutschland mit knapp bekleideten Damen beworben.
Sie beschreiben die Methoden der Branche mit Worten wie „widerwärtig“, verkaufen aber selbst Versicherungen. Wie passt das zusammen?
BENDA Ich sehe da keinen Widerspruch.
Ich selbst war als Berufsanfänger nicht viel besser. Rückblickend muss man sagen: Es ist eigentlich ein Wunder, dass ich nicht noch mehr Schaden verursacht habe. Wenn Sie von einem Telefonverkäufer beschissen werden, haben Sie vielleicht ein Abo für 100 Euro. Das kostet 2400 Euro in zwei Jahren. Aber bei einer Lebensversicherung geht es um fünf- oder sogar sechsstellige Summen. Das kann einen Menschen finanziell ruinieren.
Was halten andere Versicherer von Ihrer Kritik an der Branche?
BENDA Es ist ambivalent. Es gibt einen nicht unerheblichen Teil in der Branche, der mich zum Kotzen findet. Für sie bin ich ein Verräter, ein Nestbeschmutzer. Aber es gibt einen großen Anteil von Kollegen, die mich mögen. Ich kann und will es aber nicht allen recht machen. Mich stört es, wenn jemand der Wolf im Schafspelz ist.
Wie viele Versicherungen haben Sie denn selbst?
BENDA (Er öffnet eine Liste auf seinem Laptop und zählt nach.) Sechs fürs Gewerbe, dann noch Krankenversicherung, Haftpflicht, Hausrat… Zusammen sind es aktuell 16.
Das sind aber ziemlich viele.
BENDA Ich bin Gewerbetreibender, allein dafür habe ich drei Pflichtversicherungen und drei weitere, die sehr sinnvoll sind. Es ist ein guter Tipp für Verbraucher, den Vermittler nach seinen Verträgen zu fragen und sie sich zeigen zu lassen. Man macht sich in einer Beratung finanziell nackig, warum soll das der Versicherungsvermittler nicht auch tun? Die Anzahl der Versicherungen sagt aber noch wenig aus – besser ist, sich die einzelnen Angebote erklären zu lassen.
Was zahlen Sie im Jahr für Ihre Versicherungen?
BENDA Knapp 12.000 Euro im Jahr. Das ist aber nicht so ungewöhnlich, wie es klingt – ein Drittel davon sind Krankenversicherungen.
In der Corona-Pandemie haben viele Menschen Angst um ihre Gesundheit – oder auch um ihre berufliche Existenz. Wirkt sich das auf die Branche aus?
BENDA Ich persönlich habe mehr Anfragen für eine Beratung, aber nicht wesentlich mehr Abschlüsse.
Die Branche allgemein hat neue Produkte entwickelt, deren Nutzen höchst fragwürdig ist – zum Beispiel eine Impfschadenversicherung. Die braucht kein Mensch. Bei einer Unfallversicherung bekommt ein junger Mensch dafür den Gegenwert von einer halben Million.
Gilt das für alle neuen Versicherungen, die sich explizit auf Corona beziehen?
BENDA Die Produkte sind der Logik nach überflüssig. Was sie leisten, decken bereits gute Unfallversicherungen. Von den Corona-Versicherungen profitiert nur der Versicherer.
Wie stelle ich als Kunde möglichst schnell fest, ob mir ein Versicherungsvertreter nur etwas andrehen will?
BENDA Die schlechte Nachricht ist: 100 Prozent Sicherheit kann ein Laie nicht erreichen. Aber man kann das Risiko für ein faules Ei minimieren. Etwa wenn man jemanden nimmt, der mindestens fünf Jahre Berufserfahrung hat. Das mag gemein klingen, aber die Lernkurve ist gerade am Anfang brutal.
Was ist mit den Qualifikationen?
BENDA Die Ausbildung ist sehr wichtig. Denn es gibt eine Reihe an völlig wertlosen Qualifikationen in der Branche. Neun von zehn Vermittlern sind Versicherungsfachmann oder -frau. Diesen Titel bekommt man nach einem Wochenendkurs mit Ankreuztest. Ein guter Vermittler sollte mindestens eine kaufmännische Lehre haben, besser noch einen Meistertitel oder ein abgeschlossenes Studium in dem Bereich.
Wie viele Versicherungen brauche ich denn wirklich?
BENDA Das ist sehr individuell. Als Faustregel kann man sagen, dass es drei Blöcke gibt. Der erste sind die Pflichtversicherungen, die man eh abschließen muss, wie die Krankenversicherung. Der zweite Block sind Versicherungen für Probleme, die einen ruinieren können und nicht unwahrscheinlich sind. Dazu gehört die private Haftpflicht und irgendeine Form der Arbeitskraftversicherung – ich muss sicherstellen, dass ich den Weg bis zur Rente schaffe. Der dritte Block ist die Versorgung in der Rente.
Was müssen Verbraucher sonst noch zu einer Beratung mitbringen?
BENDA Eine sehr hohe Skepsis. Sie müssen sich selber in das Thema einarbeiten, oder sie sind ausgeliefert.