Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Der Regenbogen wird zum Politikum
Die Uefa propagiert Respekt und Vielfalt, doch schon ein kleines Symbol wird für sie ein Streitfall.
(dpa) Rot, orange, gelb, grün, blau, lila. Sechs in ihrer Kombination symbolträchtige Farben am Arm von Manuel Neuer stürzen die Uefa bei der Fußball-Europameisterschaft in ein sozialpolitisches Dilemma. Wie viel freie Meinungsäußerung kann der Fußball ertragen? Die Debatte um die Regenbogen-Binde des Kapitäns der deutschen Nationalmannschaft ist jedenfalls trotz der für Uefa-Verhältnisse erstaunlich schnellen Einstellung aller formalen Sanktionsprüfungen gegen die DFB-Auswahl am Sonntagabend noch längst nicht vorbei.
Mit dem Vorstoß, die Arena am Mittwoch (21.00 Uhr/ZDF und Magenta TV) im letzten Gruppenspiel gegen Ungarn in den Regenbogen-Farben erleuchten zu lassen, hält Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter das Thema gekonnt am Köcheln. Doch laut eines Berichts der „Bild“-Zeitung hat die Uefa den Vorstoß abgelehnt. Eine Bestätigung vom Kontinentalverband oder vom DFB dafür gab es am Montagabend noch nicht.
Die Uefa musste abwägen. Möglicherweise ein Shit-Storm in den sozialen Medien bei einer Absage oder eine Provokation einflussreicher Kritiker moderater Haltungen wie Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban, der für seine schwulenund lesbenfeindliche Politik von Reiter direkt angegangen wurde? Mit Dankbarkeit reagierte man beim Kontinentalverband jedenfalls auf eine DFB-Idee, die Arena an einem anderen Tag in den Regenbogen-Farben leuchten zu lassen.
Unabhängig von der Entscheidung war klar, dass Neuer gegen Ungarn zum vierten Mal die Regenbogen-Binde tragen wird. Dafür hat er seit Sonntagabend die Erlaubnis der Uefa. „Als Zeichen und klares Bekenntnis der gesamten Mannschaft für Diversität, Offenheit, Toleranz und gegen Hass und Ausgrenzung. Die Botschaft lautet: wir sind bunt!“, hieß es vom DFB.
Aus Berlin gab es – letztlich nutzlose – Unterstützung in der Stadionfrage, wenn die Entscheidung auch bei Sportverbänden und den Verantwortlichen vor Ort gesehen wurde. „Die Regenbogen-Fahne stehe „dafür, wie wir leben wollen - mit Respekt füreinander“- ohne die Diskriminierung, der Homosexuelle und andere Minderheiten lange Zeit ausgesetzt gewesen seien, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.
Das Dogma des unpolitischen Sports können die internationalen Fußball-Verbände im Brennglas der kritischen Öffentlichkeit nicht mehr einfach so aufrechthalten. Auch die symbolträchtigen Kniefälle der englischen, belgischen und schottischen Stars und sogar einiger Schiedsrichter werden straffrei akzeptiert. Für „the good cause“, die „gute Sache“, gibt die Uefa die Sondererlaubnis, hieß es zur deutschen Regenbogen-Causa. Was die gute Sache ist und was nicht, legt sie selbst fest und macht sich aus Sicht von Kritikern damit angreifbar. Politisch und gesellschaftlich im westlichen Europa nicht tolerierte Gesten wie den türkischen Militärgruß beim Torjubel ließ sie 2019 auf dem Weg zur EM nicht durchgehen.