Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Als Herberger Ungarn entzaubert­e

Der Bundestrai­ner gewann, weil er Nandor Hidegkutis zentrale Rolle durchschau­te.

- VON KARSTEN KELLERMANN

Die Ungarn sind stolz auf ihre Nationalma­nnschaft. 1:1 hat sie gegen Frankreich gespielt, das ist eine der Überraschu­ngen der bisherigen Europameis­terschaft. Die Ungarn haben mit großen Herzen gekämpft gegen die derzeit wohl beste Mannschaft der Welt. Anfang der

50er Jahren waren es die Ungarn, die als solche galten, es war die Zeit der „Goldenen Elf“, die den Fußball nicht nur zelebriert­e, sondern auch revolution­ierte.

Alle machen alles, das war das Prinzip von Trainer Gusztav Sebes, „Wenn wir angriffen, griff jeder mit an, wenn wir verteidigt­en, war es das Gleiche. Wir waren der Prototyp des totalen Fußballs“, sagte Ferenc Puskas, der Kapitän des Teams, das vom

4. Juni 1950 bis zum 4. Juli 1954 in

32 Spielen unbesiegt blieb und 1952 Olympia-Gold holte.

„Die Ungarn haben ihre Helden von einst nicht vergessen“, sagt Michael Oenning. Der deutsche Trainer hat Ujpest Budapest 2021 zum Pokalsieg geführt und vorher auch schon Vasas Budapest trainiert. In Ungarns Hauptstadt erinnert ein gigantisch­es Gemälde an einer Häuserwand noch heute an das größte Spiel der „Goldenen Elf“: das 6:3 im Londoner Wembley-Stadion gegen England am 25. November 1953.

An diesem Tag war vor allem ein Mann den Briten ein Rätsel: Nandor Hidegkuti. Er trug die Nummer 9 des Mittelstür­mers, ließ sich aber immer wieder ins Mittelfeld zurückfall­en und zog da das Spiel auf. Hidegkuti ist der Urvater der hängenden Spitze, er war im wahrsten Sinne des Wortes eine “falsche 9”. Englands zentraler Verteidige­r Harry Johnston, der im üblichen, starren WM-System gewohnt war, die Nummer 9 abzuschirm­en, war derart verwirrt, dass er befand: „Ich hatte keinen Gegenspiel­er.“Hidegkuti traf dreimal.

Kein Tor jedoch gelang ihm am 4. Juli 1954 im Berner Wankdorfst­adion, als die Siegesseri­e der Ungarn im WM-Finale riss. Überhaupt war es nicht Hidegkutis Spiel, und das war ein Schlüssel für den Triumph der deutschen Mannschaft. Trainer Sepp Herberger war einer der wenigen Trainer, der das ungarische Prinzip durchschau­t hatten. „Der Kopf ist nicht Puskas, sondern Hidegkuti“, sagte Herberger vor dem Spiel und beauftragt­e Horst Eckel, Ungarns heimlichen Spielmache­r „bis zum Klo“zu folgen. „Absolut kaltstelle­n konnte ich ihn natürlich nicht, aber er hat kein Tor gemacht und er kam nicht so zum Zug, wie das in den vorigen Spielen der Fall war“, sagte Eckel mal „11 Freunde“. „Ich möchte, dass Hidegkuti von Ihnen träumt“, sagte Herberger zu Eckel. Genauso kam es, wie Hidegkuti seinem deutschen Gegenspiel­er viele Jahre nach dem Finale gestand.

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