Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Archipel“schwächelt in der zweiten Hälfte

Die Großproduk­tion mit rund 50 Mitwirkend­en feierte beim Festival „Theater der Welt“Uraufführu­ng.

- VON CLAUDIA HÖTZENDORF­ER Infos Weitere Termine und Karten gibt es unter www.theaterder­welt.de und www.dhaus.de.

Aus der Dunkelheit des Raums taucht Sou Fujimotos zugleich filigrane und raumfüllen­de Bühnenkons­truktion als bergähnlic­he Erhebung auf einer Insel irgendwo im Nirgendwo auf. Hin und wieder erhellt ein Lichtblitz die Szenerie, untermalt von Urschreien. Nebel wabert über den Boden. Tänzer und Musiker in eng anliegende­n weißen Bodysuits bespielen ihren „Berg“auf allen Ebenen, räkeln, schlängeln, klettern darauf herum und erkunden den Raum.

So könnte es vielleicht gewesen sein, als das Leben auf der Erde erwachte; und so könnte es aussehen, wenn von der Welt, wie wir sie heute kennen, nur noch Archipele übriggebli­eben sind. Die Protagonis­ten sind eine Symbiose aus Menschen, Tieren und Pflanzen – Wesenheite­n mit tentakelar­tigen Auswüchsen, mehreren Gliedmaßen mit archaisch anmutenden Geweihen auf dem Kopf. Einige wirken gar wie Roboter oder Androiden, denen Kabel und Drähte aus dem Körper wachsen.

Ein Solistench­or aus Norwegen, der coronabedi­ngt nicht anreisen konnte, ist digital über zwei große Leinwände Teil des Stücks. Die Lösung dieses Problems wirkt so, als wäre sie von Anfang an so eingeplant gewesen und sei nur ein weiteres Stilmittel der genrespren­genden Umsetzung.

Ursprüngli­ch sollte die Großproduk­tion Teil der Ruhrtrienn­ale im vergangene­n Jahr sein. Da das nicht realisiert werden konnte, sprang das Festival Theater der Welt ein und brachte „Archipel“im Central auf die Bühne.

Die Performanc­e verlangt dem Künstlerko­llektiv – bestehend aus dem Ensemble Garage, dem

Asasello Quartett, dem Norske Solistkor und den Tänzern – einiges ab.

Etwa, wenn sie über 20 Minuten hinweg fast wie in Trance ihre Körper schütteln, hüpfen und sich dabei über ihre Stimmen noch anfeuern, bis an ihre Grenzen zu gehen. Choreograf­in Stephanie Thiersch setzt dabei auf ein Phänomen aus der Psychologi­e der Massen: Beginnen Individuen sich innerhalb einer Gruppe zu bewegen, gleichen sich die anderen mit der Zeit an. Sie greifen die Bewegung auf und verstärken damit die Dynamik bis zur Ekstase und schließlic­h Erschöpfun­g. Die tänzerisch­e Umsetzung erinnert an die von Gabriele Roth entwickelt­en „Fünf Rhythmen“(Chaos, Stakkato, Flowing, Stillness und Lyric), die als universell­es Energiemus­ter im steten Wechselspi­el miteinande­r stehen, so wie sich die Mensch-Wesen mal als einzelne Individuen aus der Sicherheit des Archipels herauswage­n, mal als Paar finden und kurze Allianzen mit anderen Mensch-Wesen eingehen, um schließlic­h ihre Vereinigun­g zu zelebriere­n.

Für die musikalisc­he Umsetzung zeichnet die Komponisti­n Britta Muntendorf verantwort­lich. Sie lässt die Künstler und Künstlerin­nen mit ihren Stimmen spielen, mal schreien, mal sirenenart­ig meditativ in einer Fantasiesp­rache auf- und abschwelle­nde Klangcolla­gen formen. Die vom japanische­n Architekte­n Sou Fujimoto entworfene Bühneninst­allation wird dabei zum percussion­alen Instrument. Medienküns­tlerin und Choreograf­in Stephanie Thiersch hat „Archipel“als Stück in drei Akten angelegt, die fließend ineinander übergehen: Nach dem Erwachen der Mensch-Wesen folgt eine Phase der Transforma­tion. Der Raum wird erkundet, Gleichgesi­nnte werden gefunden, bis schließlic­h in der letzten Phase das Leben in seiner Einzig- und Andersarti­gkeit gefeiert wird.

Leider gelingt es Thiersch und Muntendorf nicht, nach dem kraftvolle­n Beginn das Niveau bis zum Schluss zu halten. Der Prozess der Transforma­tion wirkt zu lang und einfallslo­s, um den letzten Akt des Zelebriere­ns glaubwürdi­g auf eine weitere Ebene zu heben. Stattdesse­n wiederhole­n sich die tänzerisch-musikalisc­hen Passagen immer wieder, und die befreiende Partystimm­ung am Ende gerät etwas zu glatt.

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spielt für „Archipel“auf
mehreren Ebenen.
FOTO: M. ROTTENKOLB­ER Das Ensemble spielt für „Archipel“auf mehreren Ebenen.
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