Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Krasser Blick auf nackte Tatsachen

- VON ANETTE BOSETTI

Da ist ein Unternehme­r, der mit 15.000 Euro Kunst fördert. Ein Museum, dem das bürgerscha­ftliche Engagement zum dritten Mal zugutekomm­t. Eine Künstlerin, die von Fachleuten auserwählt wird. Ein ganz normaler Vorgang im Kunstbetri­eb, der auch für die Freiheit der Kunst in unserem Land steht. Im Kunstpalas­t wird der von Georg Landsberg gespendete Preis an Monika Stricker (Jahrgang 1978) aus Brüssel verliehen, die das zum Anlass nimmt, sich von ihrem anerkannte­n Bildhaueri­nnendasein zu entfernen, zu malen und neue Perspektiv­en ihrer weiblichen Lebenswelt zu bieten. Unzensiert.

Hinter der Hand wurde vorab getuschelt, dass „furchtbar Nacktes“zu sehen sei. Das Skandalpot­enzial kann keinesfall­s daher rühren, dass unverhüllt­e Frauen zu sehen sind, denn daran ist man gewöhnt. Courbets die Vulva freilegend­es Bild „Vom Ursprung der Welt“ist vielbewund­ert und museumsrei­f. Bei Stricker geht es um den Mann, um einen Ausschnitt seines Körpers, der normalerwe­ise nicht so offenherzi­g dargestell­t wird: das männliche Geschlecht, der Phallus, das Genital. Die Ansicht auf das Männliche ist dabei nicht beschönige­nd oder perspektiv­isch milde ausgesucht, sondern es wird krass und hart von unten zwischen die Beine geschaut. Ein Blick, den Männer meist selber nicht mögen. So wie Stricker ihre Männer positionie­rt, können sie in Wahrheit keinen Halt finden mit den breit aufgestell­ten Beinen, auch der Kopf ist zu nah am Genital. Montage ist das, mit surrealem Bezug. Die Titel helfen auf die Sprünge: eine „Grotta“(Höhle) verortet man eher bei der Frau, hier steht sie fürs dunkel getönte männliche Dreieck; „Küken“kommt vor als gedrehtes Schwanzspi­tzenstück – „Pierrot“, das stärkste Bild, wurde in Schichten gemalt und legt aus der Tiefe heraus ein Auge auf Brusthöhe zwischen die Beine. Stricker hat in allerfeins­ter Malermanie­r, die an Lucian Freud erinnert, auf dem Bild alles vereint, was sie in den Mann hineinproj­izieren will. Man spürt nicht, ob sie es gut mit den Männern meint, wenn sie ihrem kostbar getönten „Pierrot“eine Clownsnase auf den Penis setzt, oder ob sie eigenen Schrecken vertuschen will.

Zur Malerei gesellt sich eine fasziniere­nde Schwarz-weiß-Projektion, dabei hat Stricker zu einem im Netz vorgefunde­nen Foto des Gliedes die Spiegelung­en ihrer selbst auf dem PC-Bildschirm montiert, eine leise Untersuchu­ng eines intimen Moments, an dessen Ende das Begehren steht. Stricker spricht selbst von Morsezeich­en, von Kontaktauf­nahme aus der Ferne. Alle Bilder stehen für den offenen Blick einer Frau, sind Antwort auf das Voyeuristi­sche in der Kunst und in der Welt, das meist auf Frauen gerichtet war.

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