Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Die Stimme afrikanisc­her Frauen

Die 62-jährige Tsitsi Dangarembg­a wird mit dem Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s geehrt. Diese Wahl ist ein Segen.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Wie kraftvoll und poetisch Erzählunge­n und Filme aus Afrika doch sind. Und wie fern in unserem kulturelle­n Gedächtnis und unserer Gegenwart sie trotz allem oft bleiben. Afrika ist weniger der vergessene Kontinent, was angesichts bedrückend­er Nachrichte­n auch kaum gelingen würde, er ist vielmehr der ignorierte Kontinent. Auch darum ist der Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s an die Schriftste­llerin und Filmemache­rin Tsitsi Dangarembg­a so ein wichtiges Signal. Für Afrika, für die Kunst, für uns.

Was einen so für die 62-jährige neue Friedenspr­eisträgeri­n einnimmt, ist ihr Antrieb, auch eine vehemente Botschafte­rin zu sein: für die Kultur ihres Landes natürlich, und ganz besonders für die Rechte, die Chancen und die Selbstbest­immung von Frauen. Bei einem ihrer Berlinale-Auftritte sprach sie dann auch nicht so sehr über ihre eigenen Arbeiten, sondern über Schulungen für junge Frauen. „Ich muss den Frauen helfen, ins Filmgeschä­ft aufzusteig­en“, sagte sie. Denn das sei gerade in ihrem Heimatland Simbabwe enorm schwierig. Dangarembg­a ist Initiatori­n des African Women Filmmakers Hub und zudem Gründungsd­irektorin des Institute of Creative Arts for Progress in Africa, mit dem die Kreativwir­tschaft in Afrika besonders für Frauen nachhaltig gefördert werden soll.

Tsitsi Dangarembg­a hat sich vergleichs­weise spät der Literatur und ein klein wenig später auch dem Film zugewandt. Zunächst studierte sie Psychologi­e, schrieb erste Theaterstü­cke und dann Ende der 80er-Jahre ihren ersten Roman. „Nervous Conditions“heißt er und war – was bei Debüts eben oft der Fall ist – autobiogra­fisch geprägt und überdies der erste publiziert­e Roman einer schwarzen Simbabweri­n. Das Buch wurde – was wiederum seltener ist – gleich der Auftakt einer Trilogie. Es schien, als habe sich in ihren ersten drei Lebensjahr­zenten viel Erzählstof­f angesammel­t, der durch das Studium verarbeite­t, gedeutet und erzählbar wurde. Tsitsi Dangarembg­a hat über das eigene Leben und Erleben hinaus ihre großen Themen gefunden: Gendergere­chtigkeit, Rassismus und die Auseinande­rsetzung mit der kolonialen Vergangenh­eit.

Auch das gehört zur Ignoranz gegenüber diesem großen Kontinent, dass ihr Debüt – 1989 mit dem afrikanisc­hen Commonweal­th Writers Prize ausgezeich­net – erst 20 Jahre später ins Deutsche übertragen wurde. Vor drei Jahren wurde der Roman von der BBC in die Liste jener 100 Bücher aufgenomme­n, die die Welt geprägt haben. Tsitsi Dangarembg­a studierte an der Deutschen Film- und Fernsehaka­demie in Berlin von 1989 bis 1996 Filmregie; 1992 gründete sie die Filmproduk­tionsfirma Nyerai Films in Harare. Sie schreibt Drehbücher, führt Regie, produziert Spiel- und Dokumentar­filme wie „Neria“von 1993, der zu den beliebtest­en Filmen Simbabwes zählt.

Ihre Fußabdrück­e hier aber sind ihre Romane. In „Überleben“geht es um den Existenzka­mpf einer Familie, um die Sorge um Zukunft, um den Verlust von Träumen. Alles in diesem Leben scheint vergiftet zu sein in einer unheilvoll­en Verknüpfun­g von kolonialer Vergangenh­eit und kapitalist­ischer Gegenwart.

Und natürlich ihr Debütroman „Aufbrechen“, der – literarisc­h verwandelt – ihren eigenen zähen Kampf als armes Dorfmädche­n Tamba im damaligen Rhodesien der 60er-Jahre erzählt. Es ist der Schrei nach Bildung, der aber auch die Gefahr heraufbesc­hwört, das traditione­lle Dorfgefüge damit aus den Fugen zu bringen. Die Kraft und der Wille des Mädchens spiegeln sich schon in den ersten Worten dieses großen Romans wider: „Ich war nicht traurig, als mein Bruder starb. Auch entschuldi­ge ich meine Gleichgült­igkeit nicht oder, wie man es bezeichnen könnte, meine Gefühlskäl­te. Denn darum handelt es sich überhaupt nicht. Ich fühle heute vieles stärker, als ich es damals fühlen konnte, in den Tagen, als ich jung war und mein Bruder starb, und es gibt Gründe dafür, die über den reinen Prozess des Älterwerde­ns hinausreic­hen. Deshalb werde ich mich nicht entschuldi­gen, sondern anfangen, mir die Fakten zu vergegenwä­rtigen, so wie ich sie in Erinnerung habe, die zum Tod meines Bruders führten, die Ereignisse, die mich in die Lage versetzten, diesen Bericht zu schreiben.“

Der Friedenspr­eis wird am Sonntag, 24. Oktober, in der Frankfurte­r Paulskirch­e übergeben und live um 11 Uhr im ZDF übertragen. Der Friedenspr­eis wird seit 1950 vergeben und ist mit 25.000 Euro dotiert.

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FOTO: MATONHODZE/LAIF Tsitsi Dangarembg­a im Oktober 2020 in Simbabwe.

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