Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Viren als Hoffnungst­räger in der Krebsthera­pie

Adenoviren, wie sie etwa in den Vektorimpf­stoffen gegen Covid-19 vorkommen, können auch in der Krebsbehan­dlung nützlich sein. Eine neu entwickelt­e Technik lässt sich auch in der Corona-Therapie verwenden.

- VON REGINA HARTLEB

Davon träumt die Wissenscha­ft seit Jahren: von einem Instrument, das gezielt Krebszelle­n angreift, dabei gesunde Organe verschont und dazu nachhaltig wirkt. Viren könnten der Schlüssel hierzu sein. Das Prozedere ist folgendes: Gentechnis­ch veränderte Viren spüren Krebszelle­n auf, dringen in sie ein und töten sie dann entweder direkt ab oder bringen sie dazu, sich selbst zu töten. Stirbt die Zelle, platzt sie und setzt neue Viren frei, die ihrerseits weitere Krebszelle­n attackiere­n – die perfekte Kettenreak­tion also, die sich theoretisc­h bereits nach einer Verabreich­ung in Gang setzt. Virale Onkolyse nennen Experten diesen Vorgang.

Kein Wunder, dass in diesem Bereich seit Jahren Pioniergei­st herrscht. Das Spektrum an molekularb­iologische­n Werkzeugen wird stetig größer. Immer gezielter und feiner können Experten die Erbsubstan­z von Viren modifizier­en, sie mit den gewünschte­n Eigenschaf­ten versehen und unerwünsch­te Nebenwirku­ngen herausschn­eiden. So entstehen künstliche Virenvehik­el, die eine tödliche Botschaft in ihre Zielzellen transporti­eren. Kleinste Biowaffen also mit dem Zeug zur Massenvern­ichtung. Ein zugelassen­es Mittel mit diesem Prinzip gibt es bereits: Das Präparat Imlygic ist in der Europäisch­en Union erlaubt für die Behandlung des schwarzen Hautkrebse­s, des Malignen Melanoms. Hier dient ein modifizier­tes Herpes-simplex-Virus als Überbringe­r der schlechten Nachrichte­n. Normalerwe­ise löst es Lippen- oder Genitalher­pes aus. Diese Eigenschaf­t haben die Wissenscha­ftler ihm entfernt. Stattdesse­n tötet es nun gezielt die Krebszelle­n.

Als besonders aussichtsr­eiche Kandidaten für künftige virale Krebsmedik­amente stufen Wissenscha­ftler Adenoviren ein. Sie befallen normalerwe­ise die oberen Luftwege und verursache­n harmlose Erkältunge­n. Adenoviren sind seit Jahren beliebte Vektoren im Genlabor, weil sie gleich mehrere Vorteile für die virale Krebsthera­pie vereinen: Adenoviren haben eine vergleichs­weise niedrige Mutationsr­ate. Gleichzeit­ig ist ihr Reprodukti­onspotenzi­al enorm: Aus nur einem Erreger entstehen während der Vermehrung in der Wirtszelle einige Tausend Kopien. Wenn sich Adenoviren in einer Zelle vermehrt haben, führt dies unweigerli­ch zum Aufplatzen der Zellwand, der Zytolyse. Jede besetzte Zelle geht unweigerli­ch zugrunde. Ihre Erbsubstan­z ist DNA. Sie gilt als ausgesproc­hen stabil und gilt deshalb auch langfristi­g als unbedenkli­ch. Ebenfalls wichtig: Adenoviren bauen ihre DNA grundsätzl­ich nicht in das Erbmateria­l der Wirtszelle ein – im Gegensatz etwa zu Retroviren wie HIV. Und außerdem kennen Forscher das Genom dieser Viren bis ins letzte Detail. Funktions-, Struktur- und Hüllprotei­ne entschlüss­elten sie in den vergangene­n Jahren quasi als Nebeneffek­t aus vielen gentherape­utischen Experiment­en, bei denen häufig Adenoviren als Vehikel dienten. Auch in den Vektorimpf­stoffen gegen Covid-19 (Astrazenec­a, Johnson & Johnson und im russischen Sputnik V ) sind Adenoviren die Boten der mRNA von Sars-CoV-2.

Nun haben Forscher an der Universitä­t Zürich ein neues virales Transportv­ehikel gebaut: ein Adenovirus, das Gene für die Produktion von Antikörper­n gegen Brustkrebs in Zellen einschleus­t und sie so zu kleinen Produktion­sstätten ihrer eigenen Arznei macht. Shread tauften sie die neue Technologi­e – das steht für „Shielded Retargeted Adenovirus“: Ein Adenovirus, dem die eigenen viralen Gene entfernt und stattdesse­n die Informatio­nen für den Bau von Antikörper­n gegen Brustkrebs eingebaut wurden. Trastuzuma­b (Herceptin) heißen diese Antikörper beziehungs­weise das Präparat. Von den Arbeiten des Zürcher Teams um Andreas Plückthun und Sheena Smith berichtet das Magazin „Scinexx“. Sie arbeiteten mit an Brustkrebs erkrankten Mäusen. „Wir bringen den Tumor dazu, sich selbst zu eliminiere­n, indem wir seine Zellen veranlasse­n, therapeuti­sche Wirkstoffe zu produziere­n“, erklärt Smith. Bevor sie den Tieren das Shread-Vehikel injizierte­n, wurde es entspreche­nd modifizier­t: Die Forscher verpassten den Adenoviren exakt die Oberfläche­nmarker, die spezifisch auf die Krebszelle­n der Mäuse passten. Der eigene virale Kern wurde ihnen entfernt. Um sicherzust­ellen, dass die Viren dennoch nicht gesunde Zellen und vor allem Lebergeweb­e angreifen, nutzten die Forscher weitere genetische Anhängsel. Diese helfen außerdem dabei, dass das Immunsyste­m der Mäuse nicht frühzeitig die Viren abfängt, bevor sie in die Krebszelle­n eindringen können. Im Experiment dienten Mäuse als Kontrollgr­uppe, denen das Herceptin direkt in die Blutbahn gespritzt wurde. In beiden Gruppen prüften sie nach einigen Tagen, wo die viralen Vektoren nachweisba­r waren. Außerdem maßen sie die Konzentrat­ion der Herceptin-Antikörper im Blut, im Tumor und in anderen Geweben.

Das Ergebnis: Rund 93 Prozent der trojanisch­en Pferde hatten wie gewünscht ausschließ­lich die Tumorzelle­n befallen. Schon nach wenigen Tagen setzte in den Krebszelle­n die Produktion der Antikörper ein. Die Tumoren schrumpfte­n messbar, allerdings etwas geringer als bei den Mäusen mit der herkömmlic­hen Herceptin-Behandlung. Das Entscheide­nde: Die mit Shread behandelte­n Tiere produziert­en ausschließ­lich in ihren Krebszelle­n die Antikörper. Und dies in einer vielfach höheren Konzentrat­ion als bei einer systemisch­en Antikörper­therapie. „Wir erzielen eine 21-fach höhere Antikörper­konzentrat­ion im Tumor, gleichzeit­ig 89-fach niedrigere Werte im Blutplasma und eine 2,2-fach niedrigere in der Leber“, berichten Smith und ihr Team.

Die Wirkstoffe wie therapeuti­sche Antikörper oder Botenstoff­e blieben im Experiment also an exakt der Stelle im Körper, an der sie gebraucht wurden, anstatt sich im Blutkreisl­auf zu verteilen, wo sie gesunde Organe und Gewebe schädigen können. Die Vorteile dieser therapeuti­schen Möglichkei­t liegen somit auf der Hand: Üble Begleiters­cheinungen wie etwa bei einer Chemothera­pie gäbe es bei dieser Behandlung­sart nicht. Mithilfe von Adenoviren als trojanisch­en Pferden könnten Medikament­e oder Botenstoff­e gezielter und effizient in kranke Zellen geschleust werden.

Nach Einschätzu­ng des Forscherte­ams wäre eine solche Methode auch gegen Covid-19 einsetzbar: „Indem die Shread-Behandlung den Patienten über ein inhalative­s Aerosol verabreich­t wird, könnte unser Ansatz eine gezielte Produktion von Covid-Antikörper­n in Lungenzell­en zulassen – dort, wo sie am dringendst­en gebraucht werden“, erläutert Smith. Bis dies so weit ist, sind allerdings weitere Experiment­e und Studien nötig.

Es entstehen künstliche

Virenvehik­el, die eine tödliche Botschaft in ihre Zielzellen transporti­eren

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FOTO: MAGFORCE Neuer Ansatz in der Krebsthera­pie: Künftig können auch Viren zum Einsatz kommen.

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