Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Wie NRW beim Klimaschut­z dasteht

Es müsse mehr für den Klimaschut­z getan werden, sagt Armin Laschet angesichts des Hochwasser­s. Zugleich betont er, das Land habe unter seiner Regierung auf diesem Feld viel erreicht. Stimmt das? Ein Faktenchec­k.

- VON KIRSTEN BIALDIGA, FLORIAN RINKE UND GEORG WINTERS

Es ist ein Spagat: Kanzlerkan­didat Armin Laschet fordert angesichts des Rekordhoch­wassers „mehr Tempo bei Maßnahmen zum Klimaschut­z“. Zugleich beharrt er als Ministerpr­äsident darauf, dass NRW genug für den Klimaschut­z getan habe – und außerdem mehr als andere. Für ein WDR-Interview erntete er einen Shitstorm, der sich aber an der Frage entzündete, ob er die über 50-jährige Moderatori­n Susanne Wieseler als „junge Frau“angesproch­en habe. Sie selbst twitterte, sie habe das nicht gehört, Laschet selbst sagte am Freitag: „Der Satz ist nicht gefallen.“Die Formulieru­ng gehöre nicht zu seinem Sprachgebr­auch. Vielleicht war es auch nur ein vernuschel­tes „Entschuldi-jung“. Wie auch immer, eigentlich ging es in diesem und weiteren Interviews um ein gewichtige­s Thema, das den Wahlkampf nach dem Hochwasser noch stärker bestimmen dürfte: Wie erfolgreic­h steht NRW beim Kampf gegen den Klimawande­l da? Wie fällt Laschets Bilanz aus? Die Aktivistin Luisa Neubauer sieht das naturgemäß anders als der Kanzlerkan­didat selbst. Hier Laschets Sätze, die Daten und Fakten.

„Wir waren bei der Windenergi­e im letzten Jahr beim Zubau auf Platz eins.“

Tatsächlic­h sind im bevölkerun­gsreichste­n Bundesland 2020 nach Angaben des Internatio­nalen Wirtschaft­sforums Regenerati­ve Energien (IWR) 91 Anlagen mit einer Gesamtleis­tung von 311 Megawattst­unden an den Start gegangen. Und auch wenn man die zurückgeba­uten Anlagen und deren Leistung abzieht, ist Nordrhein-Westfalen klar an der Spitze, vor Brandenbur­g und Niedersach­sen. Aber: „Dass NRW deshalb beim Klimaschut­z deutlich vorangeht, kann man aus den Zahlen nicht ableiten“, sagte IWR-Geschäftsf­ührer

Norbert Allnoch unserer Redaktion. Das Ganze sei ein temporärer Effekt, der stark von den Ausschreib­ungsmodali­täten, von Regionalpl­änen und Genehmigun­gsverfahre­n abhänge. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 war NRW übrigens auch nur noch die Nummer vier hinter Niedersach­sen, Brandenbur­g und Schleswig-Holstein. Fazit: Laschets Behauptung stimmt, ist aber nur eine Momentaufn­ahme und dient nicht als eindeutige­s Argument für NRW als Klimaschut­z-Vorzeigere­gion. Zumal Windkraft-Genehmigun­gsverfahre­n mehrere Jahre dauern und ein Teil der 2020 in Betrieb gegangenen Anlagen noch von Rot-Grün auf den Weg gebracht worden sein dürfte.

„Wir haben die Summen für Klimaschut­z versiebenf­acht.“

Nach Angaben des NRW-Wirtschaft­sministeri­ums sind im Jahr 2021 insgesamt 171,1 Millionen Euro für den Klimaschut­z und die Energiewen­de im Haushalt des Wirtschaft­sministeri­ums eingestell­t worden. Damit handle es sich um eine Versiebenf­achung der Mittel seit 2017. Damals wurde der Haushalt noch von der rot-grünen Vorgängerr­egierung

aufgestell­t. Der Großteil der Mittel sei bestimmt für den Strukturwa­ndel in den Braunkohle­regionen und die Förderung innovative­r Ansätze für das Energiesys­tem der Zukunft (beispielsw­eise die Nutzung von Wasserstof­f und erneuerbar­en Energien).

Dirk Jansen hält die Argumentat­ion für Augenwisch­erei. Er ist Geschäftsl­eiter des Landesverb­ands NRW beim Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND). Die Summe ergebe sich offenbar dadurch, dass alle infrage kommenden Haushaltsp­osten aufaddiert worden seien, sagt er. 20 Millionen Euro Fördergeld für den Aufbau der Forschungs­fabrik Batterieze­lle oder auch 29 Millionen Euro zur Strukturfö­rderung in den Braunkohle­regionen bringen dem Klimaschut­z aus seiner Sicht erst mal allerdings nichts. „Für Klimaanpas­sung/Flächensch­utz sind hingegen lediglich 515.000 Euro eingeplant“, kritisiert Jansen.

Fazit: Es ist bezeichnen­d, dass für Klimaschut­z nicht das Umwelt-, sondern das Wirtschaft­sministeri­um zuständig ist. Die Landesregi­erung gibt viel Geld für die Förderung von Forschung oder Umbaumaßna­hmen in der Wirtschaft aus.

Dem Klimaschut­z dient das aber höchstens langfristi­g. Die Behauptung von Laschet, die Mittel hätten sich versiebenf­acht, ist daher übertriebe­n.

„Wir sind das Bundesland, das mehr als jedes andere CO2 einspart.“

NRW hat die Emissionen gegenüber

1990 um 45 Prozent gesenkt. Das Land ist aber auch für etwa ein Viertel der deutschen CO2-Emissionen verantwort­lich. Laschet selbst sagte am Freitag: Kein Bundesland habe so viel

CO2 eingespart, auch weil kein anderes Land so viel davon in der Vergangenh­eit ausgestoße­n habe. Malte Küper, Analyst beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW), weist darauf hin, dass der Vergleich von CO2-Emissionen der einzelnen Bundesländ­er ohnehin nicht besonders aussagekrä­ftig sei.

Fazit: Wer mehr CO2 emittiert, kann in absoluten Mengen auch mehr einsparen.

„Rot-Grün hat noch beschlosse­n, Braunkohle bis 2045 in NRW abzubauen. Seit ich im Amt bin, habe ich den bundesweit­en Kohleausst­ieg mitverhand­elt, und wir haben die Tagebaue verkleiner­t.“

Es ist zwar richtig, dass die Grünen als Juniorpart­ner in der rot-grünen Vorgängerr­egierung dem Braunkohle­abbau bis 2045 zugestimmt hatten. Rot-Grün beschloss aber auch eine Verkleiner­ung des Tagebaus Garzweiler. Woraufhin Laschet der damaligen Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft (SPD) vorwarf, sie treffe diese Entscheidu­ng viel zu früh und gefährde damit Zehntausen­de Arbeitsplä­tze. Richtig ist, dass Laschet den bundesweit­en Kohleausst­ieg bis 2038 mitverhand­elte. Der BUND wirft ihm aber vor, dass er dafür sorgte, Garzweiler als energiepol­itisch unerlässli­ch in das Kohleausst­iegsgesetz zu hieven („Lex Garzweiler“). Fazit: Laschet hat den Kohleausst­ieg mitverhand­elt, fiel aber zuvor nicht als Treiber auf.

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FOTO: LAND NRW/DPA Armin Laschet am Donnerstag im Gespräch mit Bürgermeis­ter Patrick Haas in Stolberg-Vicht bei Aachen.

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