Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
„Was wir heute erleben, ist der Anfang“
Für den Meteorologen belegt die Starkregen-Katastrophe, dass der Klimawandel voranschreitet. Es gelte, schnell gegenzusteuern.
Herr Plöger, haben Sie so eine Katastrophe schon mal erlebt?
PLÖGER Natürlich gab es immer schon extreme Regenereignisse, ich denke zum Beispiel an Braunsbach 2016. Da hatten wir eine ähnliche Wetterlage. Auch das Elbe-Hochwasser 2002 oder 2013 war ja katastrophal. Aber diese unglaublichen Mengen in Regionen, die gar nicht typisch sind, das ist schon herausragend und lässt alle Glocken läuten.
Örtlich ist innerhalb eines Tages die Regenmenge eines Vierteljahres gefallen. Schockiert Sie das?
PLÖGER Ja, natürlich. Vor allem weil Menschen gestorben sind oder noch vermisst werden. Nach Jahren der Trockenheit sehen wir nun diese extremen Regenmengen. Klimawandel bedeutet eben nicht nur ein Ansteigen der Mitteltemperatur, sondern am Ende eine Veränderung der atmosphärischen Zirkulation. Anders gesprochen: Das Wetter ändert sich, wenn sich die Statistik des Wetters – das Klima – ändert. Im Grunde ist das, was wir heute erfahren, wovor uns die Klimaforschung vor 40 Jahren gewarnt hat.
Sie sagen oft, dass Hitze und Trockenheit sowie Starkregen zwei Seiten derselben Medaille sind...
PLÖGER Richtig. Das liegt auch daran, dass die Höhenströmung, der Jetstream, sich verändert, weil das arktische Eis sich massiv zurückzieht und die polare Region sich übermäßig erwärmt. Damit nimmt der Temperaturunterschied zwischen Äquator und Pol ja ab. Die Natur will die Unterschiede immer ausgleichen, bewerkstelligt das mit Energietransport, also Bewegung von Luft – das Ergebnis ist der oben genannte Jetstream, ein Starkwindband in rund zehn Kilometern Höhe. Je geringer die Temperaturunterschiede zwischen Äquator und Pol werden, desto weniger Energietransport ist nötig, und desto stärker schwächelt die Strömung in der Höhe. Das führt zu einem Ausdruck, den ich versuche, in der Welt unterzubringen: Standwetter. Heißt einfach, die Hochs und Tiefs kommen nicht voran. Wir erleben jetzt die Haptik des Klimawandels: 2018 Dürre, Hitze, jetzt die Fluten und tragischerweise Vermisste und Tote. Das lässt jeden spüren, dass Veränderungen der Wettersituation große Gefahren für Leib und Leben bedeuten.
Müssen wir bald damit rechnen, über Monate ständig die gleiche Wetterlage zu haben, mit möglicherweise dramatischen Folgen?
Ja. Das ist genau, was die Klimaforschung sagt und was wir beobachten. Wenn man es verkürzt ausdrückt, ist es so, dass niemand mehr dem Hoch und Tief am Boden „sagt“, dass es weiterziehen soll. Das ist wie bei einem kaputten Rasensprenger, der nicht mehr gleichmäßig arbeitet. Auf der einen Seite sorgt er für eine Pfütze, auf der anderen verdorrt der Boden. Das ist das Problem.
Gerne wird ja angeführt, dass Extremereignisse Ausreißer seien und kein Indiz für den Klimawandel. Viele Experten sehen das anders.
PLÖGER Das Argument mit den Ausreißern ist Unsinn, wenn sich diese Ausreißer massiv häufen. Die Häufung zeigt selbstverständlich, dass sich die Statistik verändert, also das Klima. Interessant ist es, wenn man die sogenannte Zuordnungs- oder Attributionsforschung im Zusammenhang mit Ereignissen wie den fast 50 Grad Hitze in Lytton in Kanada bemüht. Natürlich ist das ein Ausreißer, aber wie wahrscheinlich ist eine so weit von der üblichen Spannbreite abweichende Extremtemperatur? Das war bisher ein tausendjähriges Ereignis, man kann aber nun berechnen, dass dies durch unsere heutige Klimaveränderung 150 Mal wahrscheinlicher geworden ist. Die Hitze in Lytton ist also eindeutig auf den Klimawandel zurückzuführen.
Das heißt auch, dass wir uns daran gewöhnen müssen, dass solche Ereignisse immer häufiger auftreten?
PLÖGER Was wir heute erleben, ist der Anfang. Es ist ein Blick auf unser zukünftiges, irgendwann leider „normales“Wetter. Diese Ereignisse werden sich immer mehr häufen. Aber natürlich nicht Jahr für Jahr. Es wird ruhigere und unruhigere Phasen geben. Das Wetter wird extremer, und je mehr Wärme da ist, desto schwieriger wird es. Und wenn wir das nicht wollen, müssen wir nun endlich beherzt gegensteuern. Verschiedene Studien sagen, dass jeder Euro, den wir jetzt nicht in den Klimaschutz stecken, uns später zwei bis elf Euro kosten wird. Je nach Studie. Nichts zu tun, wird immer teurer und irgendwann für die nachfolgenden
Generationen unbezahlbar.
Auch die Landwirtschaft und Städteplanung müssen sich mehr auf die sich verändernden Verhältnisse ausrichten, oder?
PLÖGER Richtig. Wir brauchen eine Transformation in ganz vielen Lebensbereichen, und wenn wir sie nicht selber machen, wird sie gemacht werden. Das ist ganz einfach. Wir müssen an die Wurzel des Übels, und das ist nun mal die Emission von Treibhausgasen. Wir werden zunehmend Opfer unserer eigenen Taten, denn das extreme Wetter ist schlicht das Ergebnis physikalischer Prozesse, weil wir immer mehr Energie, also Wärme in die Atmosphäre pumpen. Diese Physik läuft am Ende völlig emotionslos ab, und wir müssen einsehen, dass dieser Planet nicht uns braucht, sondern wir ihn. Vor diesem Hintergrund muss sich auch die Landwirtschaft verändern, und Städteplanung ist wichtig: Wir müssen die Städte quasi verländlichen, wir brauchen mehr Grün und Blau, also Pflanzen und Wasser, um Verdunstungskälte zu erhalten. Wir reagieren zwar so langsam, aber wir müssen schneller werden.
Von den Meteorologen werden immer genauere Vorhersagen verlangt. Oft hagelt es Kritik. Können Prognosen noch exakter werden?
Vorhersagen werden immer besser, deswegen gibt es auch viel Lob – Gott sei Dank. Aber in einem Zwei-Minuten-Wetterbericht für ganz Deutschland jede Region höchst präzise abzubilden, ist generell schwierig. Bevor man es sich zu leicht macht mit unfundierter Kritik, empfehle ich jedem, sich mal vier Wochen mit Niederschlags- und Wolkenphysik zu beschäftigen und die Kritik dann noch mal zu überdenken. Das ist nicht mit Groll gesagt, aber es hilft, sich mit der Sache zu beschäftigen. Ich kann sehr genau sagen, in welcher Region es das Potenzial für Gewitter gibt, aber ich kann nicht kilometergenau sagen: Dieser Ort ist betroffen und jener nicht. Das wird nie gehen, die Komplexität der Vorgänge ist zu hoch. Als Beispiel führe ich oft an, dass man sich einen Topf mit kochendem Wasser vorstellen soll. Da kann man vorhersagen, dass es blubbert. Wenn man aber die Stelle nennen soll, wo die nächste Blase hochpoppt, wird man ein Problem haben. Bei Unwettern kann man etwa eine Stunde vor einem Ereignis präziser werden. Das nennt man Nowcasting, man verfolgt dabei ein schon existierendes Gewitter.
Noch mal zum Klimawandel: Ist die 1,5-Grad-Marke realistisch überhaupt noch zu schaffen?
Wenn Sie das Wort „realistisch“weggelassen hätten und mich gefragt hätten, ob es überhaupt zu schaffen ist, wäre meine Antwort: Ja, klar. Das würde aber bedeuten, wir müssten A sagen und A machen. Wir Menschen neigen aber dazu, A zu sagen und B zu machen und nachher darüber zu staunen, dass A nicht klappt. Wir sind praktisch kurz unter dieser Marke, und wir emittieren ja in einer unglaublichen Weise weiter. Ich möchte aber die Hoffnung nicht aufgeben, solange ich weiß, dass etwas theoretisch möglich ist. Denn wenn wir erst einmal anfangen zu sagen: Es klappt sowieso alles nicht, dann verschwindet jegliche Motivation, und das wäre gegenüber Kindern und Enkeln zutiefst verwerflich. Deshalb gibt es für mich nicht die Option, das Ziel aufzugeben.